laut.de-Kritik
Längst fällige Sammlung von Live-Aufnahmen.
Review von Jakob RondthalerEines möchte Sänger Colin Meloy gleich am Anfang klarstellen. "Das hier ist kein Keith Urban-Konzert", sagt er. Wer ein Konzert von Urban erwartet hätte, dem Country-Popstar und Ehemann von Nicole Kidman, der würde bitter enttäuscht werden, so viel sei klar.
Dann fangen die Decemberists an zu spielen, und sie spielen richtig gut. Um es gleich vorweg zu sagen: Diese Band ist eine Liveband. Eine Band, die man sich auf einem Konzert ansehen sollte, allein – der jüngste Auftritt der US-Amerikaner in Deutschland liegt fünf Jahre zurück. Deshalb ist "We All Raise Our Voices to the Air" eine schöne, nein: längst fällige Sammlung von Live-Aufnahmen. Sie sind bei elf Konzerten im November vergangenen Jahres entstanden.
Schlagzeuger John Moen hält sich beim Eröffnungsstück "The Infanta" noch zurück, spielt dezenter und langsamer als auf Platte – trotzdem wirkt das Stück intensiver als auf "Picaresque". Was der Studioaufnahme an Pathos fehlen mag, dafür sorgen live vor allem die Bläser- und Streichersektionen. Überhaupt, die Streicher. Sie verleihen dem Sound der Decemberists eine ungewohnte Nonchalance; viele Lieder klingen weniger streng als auf den Alben, fast lässig.
Aus "The Soldiering Life" zaubern die Trompeten zum Ende hin ein kleines Highlight. Egal ob Up-Tempo-Nummer ("Calamity Song") oder melancholische Hymne ("Leslie Anne Levine"), die Band überzeugt live – fast immer. "Sing with us", animiert Meloy sein Publikum bei "Billy Liar", "you have a beautiful singing voice". Nicht einmal bei den Decemberists – wahrlich keine Stadionband – ist man vor Mitmachspielchen gefeit. Geschenkt.
Die Indie-Folk-Band spielt sich einmal durch ihre Diskografie. Das meiste stammt – natürlich – vom jüngsten Album "The King is Dead", nur zwei Songs vom Debüt, dafür erfreulich viel vom Drittling "Picaresque". Highlights? Bei diesem Oeuvre schwer zu bennen. Wie viele Hits die Band mittlerweile hatte, ist verblüffend. Die beiden Songs "Crane Wife 1 and 2" und "Crane Wife Pt. 3", die die Band, anders als auf dem Album, hintereinander spielt, gehören dazu; die Single "Down by the Water", die für zwei Grammys nominiert war, ist auch live ein Höhepunkt. Einen Punkt Abzug gibt es dafür, dass die Band ihr großartiges "Sons & Daugthers" vom 2007er-Album The Crane Wife nicht aufs Livealbum gepackt hat.
Dafür "We Both Go Down Together". Vor dem Song hält es das Publikum nicht mehr auf den Stühlen, "jetzt wo alle stehen", sagt Meloy trocken, spiele die Band einen Song über "gemeinschaftlichen Selbstmord". Immer wieder erfreut man sich an seinen trockenen Bemerkungen. Man hätte dem Sänger der Decemberists gar nicht so viel Humor zugetraut – wenn man ihn nicht zufällig in der Hipster parodierenden Sitcom Portlandia gesehen hätte, in der er neben James Mercer und Corin Tucker Teil der fiktiven Indieband "Echo Echo" ist.
Decemberists-Pianistin Jenny Conlee spielt in der Serie die erfolglose Solokünstlerin Sparkle Pony und spätestens diese beiden Gastauftritte haben die Band als feste Größe der Indie-Szene geadelt. In Deutschland ist die Band freilich kein Geheimtipp mehr, aber der ganz große Erfolg setzt hierzulande nicht ein.
Das ist verwunderlich. Die Decemberists stehen Bands wie Arcade Fire in nichts nach, das beweist "We All Raise Our Voices to the Air" einmal mehr. Der einzige Wermutstropfen: dass ein Livealbum nicht zwingend auch mit der Ankündigung verknüpft ist, dass sich die Band bald wieder auf Tour begibt.
1 Kommentar
5 Jahren nich mehr live hier im Ländl ... ein kleiner Trost die Platte