laut.de-Kritik
Indie-Hymnen ohne den Gestenreichtum vergangener Tage.
Review von Mathias MöllerEines der herzlichsten "Willkommen zurück!" in diesem Jahr geht meinerseits an die Weakerthans. Nach dem schönen 2003er "Reconstruction Site" und dem epochalen "Left And Leaving" aus dem Jahr 2000 schickt sich die Band aus Winnipeg und Toronto an, mit "Reunion Tour" erneut mein musikalisches Herz zu erobern. Alsdann, bring it on!
Nach ein paar effektvoll bearbeiteten Takten empfängt das Quartett den Hörer mit "Civil Twilight", einer typischen Weakerthans-Uptempo-Nummer. Die Strophen dominiert eine Akustikgitarre, über der Hook liegt eine warme Decke von E-Gitarren-Akkorden.
Im tatsächlich hymnischen "Hymn Of The Medical Oddity" begleitet eine wundervoll gepickte Gitarre die markante, immer etwas ins Nasale lehnende Stimme John K. Samsons. Und spätestens als der Sänger "Relative Surplus Value" aus der Sicht eines Bankers erzählt, wird klar, hier handelt es sich um ein Themen-Album.
Die Weakerthans nahmen "Reunion Tour" in ihrem Heimatort Winnipeg in der kanadischen Provinz Manitoba auf, die Protagonisten der Songs sind die Einwohner der Stadt. Banker eben, Busfahrer oder Menschen bei einem Curlingturnier.
Und auch mit einer Katze namens Virtute feiert der Hörer ein Wiederhören. Musikalisch wagt das Quartett keine Experimente, der immer warme Indiesound irgendwo zwischen Singer/Songwriter-Melancholie und Gitarrenpoprock wirkt dennoch wohltuend gewohnt wie das eigene Bett nach einer langen Reise.
"Elegy For Gump Worsley", eine gesprochene Hommage an den im Januar dieses Jahres verstorbenen Eishockeyspieler, stellt den ruhigen Höhepunkt des Albums dar. Danach darf es wieder ein wenig poppiger werden, nur "Bigfoot!" durchbricht noch einmal mit seiner Reduziertheit den wunderbar eingänglich-süßen Sound.
Leider fehlt "Reunion Tour" die ganz große musikalische Geste, die "Left And Leaving" und "Reconstruction Site" so besonders machte. Das Album beinhaltet solides Weakerthans-Material, das immer noch locker zwei Ligen über hunderten von Durchschnitts-Indiebands rangiert, lässt aber das mitreißende Moment vergangener Tage missen.
6 Kommentare
Vier Jahre mussten wir diesmal auf einen neuen Output der immerguten Kanadier warten. Vier Jahre - viermal Herbstwetter ohne die adäquate musikalische Untermalung. Denn wohl keine andere Band ist in der Lage den optimalen Soundtrack für diese Jahreszeit zu kreieren.
Vier Alben haben sie uns bereits geschenkt. "Fallow" hieß das Debütalbum und beinhaltete bittersüße Poppunk-Hymnen und introvertierte, reduzierte Singer-Songwriter Perlen. Der Nachfolger "Left And Leaving" darf mittlerweile zu den besten Alternative Alben der letzten Jahre gezählt werden. Ein düster-poetisches Meisterwerk mit Songs, die auch nach dem hundertsten Durchlauf Gänsehaut erzeugen und den Hörer in entsprechender Stimmung zu Tränen rühren. Songs zwischen Punk, Folk und Indie deren lyrische Vielschichtigkeit literarische Ausmaße annimmt. Songwriter John K. Samson schrieb Texte und erschuf Figuren die einen für den Rest des Lebens begleiten.
Drei Jahre nach dem Meisterwerk kamen die Kanadier mit ihrem dritten Album "Reconstruction Site" um die Ecke. Und diesmal hatten sie einen folkigen Pop-Appeal im Gepäck, der nur auf den ersten Blick die Tiefe des Vorgängers vermissen ließ. Mit der Zeit wuchs auch das dritte Album zum unverzichtbaren Begleiter für sämtliche Gelegenheiten an: Man konnte sich dazu wunderbar mit Freunden besaufen, dann heulend in den Armen liegen und die ganze Melancholie am Ende mit einem trockenen Whiskey runterspülen.
Und jetzt? Was konnte nach drei Meisterwerken noch kommen? Erst mal kann man getrost Entwarnung geben. Viel geändert hat sich nichts. Mr. Samson schreibt nach wie vor erstaunlich anrührende Texte. Vielleicht bessere als je zuvor. In die Musik selbst schleichen sich ein paar Keyboards und Synthies. Doch bevor das jemanden abschrecken könnte sei erwähnt, dass sich diese kleinen Experimente nahtlos in den Weakerthans Kosmos einfügen. Die ersten Durchgänge könnten durchaus etwas enttäuschend sein. Irgendwie bleibt nichts so recht hängen. Und nach knapp vierzig Minuten ist die Platte vorbei. Doch der Kenner weiß, dass Weakerthans Album einem guten Wein gleich ein bisschen Zeit brauchen. Und siehe da: Nach ein paar Durchgängen fließen spätestens bei "Virtute the cat..." die ersten Tränen. Generell hat die Winnipeg Institution mit dieser ergreifenden Ballade um die selbstreflexive Katze Virtute einen Song für die Weakerthans Hall Of FAme geschrieben. Beeindruckend mit wie wenig Aufwand die Band innerhalb von Sekunden sämtliche Körperhaare zu Berge stehen lässt. Nach sanft perlendem Beginn erreicht "Virtute" mit einem Mal den Klimax. Und was für einen! Die Gitarren beginnen sich zu verzerren, das Schlagzeug beginnt ein wenig zu scheppern, John singt etwas lauter als sonst... und alle Dämme brechen. Wenn schließlich das Gitarrensolo am Ende sowohl Song als auch Zuhörer noch mal bei der Hand nimmt öffnen sich die geschlossenen Augen und die Traurigkeit des Gehörten macht grenzenloser Euphorie Platz. Mit Sicherheit einer der besten Songs des Jahres. Auch poppige Quasi Hymnen, wie "Sun in an empty room" oder "Relative Surplus Value" drücken unaufdringlich aber bestimmt durch die Gehörgänge ins Langzeitgedächtnis. "Night Windows" sorgt mit repetetiven Drumming, sanftem Gitarrenpicking und perfekter Melodieführung für angenehme Wehmut und weiche Knie. Der Abschluss "Utilities" zeigt die Weakerthans noch mal in Bestform und ein anfangs seltsam zähes Stück wie "Reunion Tour" schickt einen durch den plötzlichen Einsatz von wundersamen Flöten innerhalb von Sekunden in die Wolken. Generell scheint das Album die ganze Zeit über zu schweben. Irgendwie unwirklich schön erklingt ein Banjo und wir erfahren vom bewegten Leben des Eishockeyspieler "Gump Worsley". Verstimmte Trompeten aus den Tiefen von Nirgendwo begleiten "Bigfoot" und ein unverschämter Pop-Appeal macht am Ende auch den eigentlich standardisierten Opener unverzichtbar.
Knarzende Schaukelstühle, ein kühler Wind bläst dir ins Gesicht, das Feuer im Kamin knackt wohlig und durch die vom Frost beschlagenen Fenster siehst du eine Welt, die am Ende gar nicht so übel ist, wie du vorher dachtest. Denn wenn du die Tür öffnest und sie betrittst, fallen dir die Geschichten von John K. Samson ein, die dich traurig machen, aber im selben Moment immer einen Mantel um dich wickeln, der wärmer nicht sein könnte. Und du wirst glücklich.
Denn genau das machen die Weakerthans auch auf ihrem vierten Album: glücklich.
schön geschrieben. wird von mir unterschrieben.
leider gibts schon nen thread zum album namens "neues aus winnipeg..".
Macht neugierig. Und die kommen Anfang Dezember auch nach Deutschland. Memo an mich: Hingehen (Lido).
Die Weakerthans im Lido war ganz cool. Vor ein paar Jahren in Köln im Stollwerk war irgendwie cooler mit Olli Schulz & Hund Marie als Vorprogramm. Diesmal drei Bands im Vorprogramm, die keiner gesehen hat (jedenfalls die erste, die vor 15 Mann/Frau gespielt haben (schade).
Das Weakerthans-Konzert an sich war natürlich gut, nur irgendwie hat es mich nicht so gepackt wie ich erwartet hätte. Lag vielleicht an mir.
JEdenfalls wurde das KOnzert mitgefilmt und kommt nächstes Jahr auf sly-fi.com.
hey yorckle, wenns dir darum geht, für sly-fi werbung zu machen, dann sag das doch einfach!
hier gibts auch viele live-concerte zum streamen:
http://www.fabchannel.com/