laut.de-Kritik

Afro-Reggae mit ausgefeilten Arrangements - Geheimtipp!

Review von

Den Fans des Jazz-durchtränkten Roots Reggae von Groundation wird "Asante" ganz gewiss gefallen. Das Debütalbum des in Italien lebenden Thierry weist zum kalifornischen 'Professor' Harrison Stafford eine stattliche Reihe an Ähnlichkeiten auf: in der Art des Sängers zu intonieren, Luft zu holen, weibliche Background-Stimmen stark einzubinden, einer Bläser-Sektion viel Raum für kunstvolle Verrenkungen zu lassen, Habgier und Ausbeutung in der Welt anzuprangern, zwischen den Worten viel Platz für instrumentale Zwischenteile und Meditation zu lassen, überdurchschnittlich hohe Melodiösität in seinen One Drop zu integrieren und historisch-weltpolitische Consciousness über sein musikalisches Schaffen zu stellen.

Auch die Zielgruppen von Tiken Jah Fakoly und Alpha Blondy werden musikalisch kompetent versorgt. Die Schattierungen der Platte variieren zwischen einer funkrockigen "Purple Rain"-Gitarre im Intro-Stück "Borderline" und überhaupt kräftigen Momenten mit E-Gitarre (etwa am Ende von "Propaganda"), andererseits einer zarten Flamenco-Gitarre samt Kuba-Son-Feeling ("Emma ft. Italee"), dann sehr gelungenem Ska ("Time", "(We Will Stay) Not Alone"), Mut zu wirkungsvoll platzierten dubbigen Effekten wie im Nyabinghi-durchtrommelten "Conquerors" und im visionär-verträumten "Them Muzzle Ya", und dann eben dieser Anlehnung an den langsamen Alpha Blondy in "Nimi Muzima".

Bei allen Feinheiten und Unterschieden in dieser insgesamt feinfühligen, mitunter perfektionistisch produzierten Platte, bildet die doch ein recht homogenes Ganzes, erinnert in Schwermut und Arrangements an den verstorbenen Akae Beka. Highlight ist Akrobatik an Trompete und Posaune gegen Ende von "Them Muzzle Ya" mit Roberto und Max aus der fantastisch guten Begleit-Band. Alle Tunes hält zusammen, wie Thierry seine Vocals mit mit den Background-Sängerinnen Daisy, Francesca Lucia, Michela und Rosa, quasi seinen I-Fours und in "Emma ft. Italee" mit Gast Italee Watson verzahnt. Watson, eine der profiliertesten Offbeat-Stimmen für soziale Gerechtigkeit, ist Jamaikanerin, lebt in Kingston, wurde vor einem Vierteljahrhundert schon vom Mista Boombastic entdeckt, droppt seither nur alle drei Jahre mal ein Lied, ist aber zum Beispiel als Festival-Organisatorin und insbesondere im Vernetzen von europäischen Bands mit der Kapitale der Karibikinsel umtriebig. Auf Jamaika nahmen Thierry, seine beiden Tontechniker und seine 15 italienischen Musiker*innen das Album auf.

Der Künstler aus der Region um Venedig singt an keiner Stelle Italienisch, im Schlussstück "Mon Rêve" hingegen auf Französisch, und zwar, sehr poetisch: "Wenn du schon sprichst, kannst du gleich singen / wenn du schon läufst, kannst du auch tanzen."

Französisch ist die Amtssprache der einstigen belgischen Kolonie Kongo. Im Kongo liegen die familiären Wurzeln von Thierry Bragagna. Der Opener "Borderline" bezieht sich mitnichten auf eine Persönlichkeitsstörung, sondern auf Migration und Grenzen. Afrika ist immer wieder Thierrys Thema, "Mama Africa", mit Stolz auf "our fathers' land", das er eigentlich vermisst ("Nimi Muzima"), und für das er einen tiefen Wunsch formuliert: "Ich will keine Eroberer mehr sehen!" (im Song "Conquerors").

Neokoloniale Strukturen machen sich trotzdem immer wieder breit, ob sie nun im Kongo durch die großen Smartphone-Hersteller den klassisch-merkantilistischen Abtransport von Kobalt und Bauxit unter widerlichen Arbeitsbedingungen betreffen oder die Abholzung von Regenwald zugunsten europäischer Möbelfabrikanten.

Auswanderung aus Afrika hat weitaus nicht immer nur mit Kriegen, ethnischen Konflikten, religiöser und politischer Verfolgung, Dürren, Flucht vor Wehrpflicht oder "brain-drain" zu tun, sondern zum Teil mit Zerstörung von Ökosystemen und Lebensgrundlagen und dem Import von Konserven auf dem Rücken lokaler Landwirte. So spannend das alles ist, wäre Thierry zu raten, eben so konkret und präzise wie möglich auf diese Umstände und Ursachen einzugehen, wie es ja Tiken Jah Fakoly durchaus mit Erfolg (auf Französisch) bereits tut. Newcomer Thierry bleibt in seinen Lyrics jedoch leider schwammig, wolkig, allgemein, faselt von "global confusion", "an upside-down world" und dem "homeland under attack", alles leider klassischen Redewendungen populistischer Politiker*innen auf Stimmenfang.

Er sieht das laut Pressetext wohl anders, denn "Asante" versteht er als "Liebesgebet, das an jeden adressiert ist", und betont "seine tiefste Essenz, bedingungslose Liebe, auf einer Reise zu unserem 'ich'." Wäre das 'wir' (also das gute alte 'I'n'I', um im Slang zu bleiben), nicht besser? Die ewige Suche nach Selbstliebe , die Krankheit unserer Zeit, unter noch so spirituellen Vorzeichen - da ist sie wieder, sorry, Thierry. Wären Bob, Jimmy, Max, Desmond, Third World und der Eddy nicht explizit politischer gewesen, dann wäre dieses Genre wohl gar nie relevant geworden, nicht um die Welt gewandert.

Musikalisch macht der Debütant, der in einer anderen Band auch trommelt, aber alles richtig. Er vermeidet die Fehler des jamaikanischen, stets Afrika-verbundenen Grandseigneurs Burning Spear auf seinem aktuellen Album "No Destroyer", nämlich Afro-Reggae als klischeehafte Zitate-Sammlung der 80er stagnieren zu lassen, bis er großväterlich altbacken oder gar lächerlich vorhersehbar klingt. Da gehen Thierry und sein Ensemble erheblich frischer und filigraner zu Werke, womit sie sich in die zurzeit wachsende Rastajazz-Nische zwischen Groundation, Moja, Stick A Bush (aus Wien) und Jah9 mit einem sehr schönen Erstling hinein grooven.

Trackliste

  1. 1. Borderline
  2. 2. Prayers
  3. 3. (We Will Stay) Not Alone
  4. 4. Emma ft. Italee
  5. 5. Propaganda
  6. 6. Them Muzzle Ya
  7. 7. Nimi Muzima
  8. 8. Real Love
  9. 9. Time
  10. 10. Conquerors
  11. 11. Mon Rêve

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