laut.de-Kritik

Menschelnder Discofox mit Hardstyle-Synths.

Review von

In der Geschichte der Popmusik ist es gute Tradition, lediglich als Interpret aufzutreten. Elvis Presley oder Joe Cocker beispielsweise beteiligten sich höchst selten am Songwriting, lebten von Stimme, Ausstrahlung und Persönlichkeit. Wenn man keine der genannten Eigenschaften besitzt, aber trotzdem im Unterhaltungsgeschäft erfolgreich sein möchte, hilft nur noch ein guter Produzent.

Die allerbesten dieses Berufsstandes vermögen es, aus dem hässlichsten Entlein einen Star zu machen. Sie haben das sichere Gefühl für den momentanen Geschmack der halbtauben Masse von Konsumenten. Sie wissen was ankommt und leisten möglichst ökonomisch kreative Arbeit in ständiger Rücksicht auf den Markt. Was wäre Deutschland ohne Menschen wie Ralph Siegel, Frank Farian oder Dieter Bohlen?

Christian Geller ist eine weitere treffsichere Industriegröße, er feierte bereits im Jahr 2000 seinen ersten großen Erfolg. Vor zwanzig Jahren sangen die Big-Brother-Promis Zlatko Trpkovski und Jürgen Milski den von ihm mitkomponierten Nummer-1-Hit "Großer Bruder". Bis heute wird dieser Klassiker des gepflegten Einhandklatschens von Stralsund bis Konstanz in jeder Dorfdisco und hinter jedem Bierzelt eifrig mitgereihert. Auch für die Produktion von Heinos erstem Coveralbum "Mit freundlichen Grüßen" oder das Comeback des ehemaligen Caught-In-The-Act-Mitglieds Eloy de Jong zeichnet Geller verantwortlich.

Weil der Mann also äußerst lukrativ Geräusche herstellen kann, ihn jedoch kein Zuschauer des "Frühlingsfests der Volksmusik" kennt, singen andere seine Lieder. Airplay im Radio und auf Großveranstaltungen bedeutet für Rechteinhaber GEMA und GEMA heißt Knete. Reichlich Asche müssen die Schlagerhelden Florian Silbereisen und Bernd Weidung alias Thomas Anders also bereits im Voraus bekommen haben, um ihr Duo-"Album" aufzunehmen, weil sie laut Produktionsinformationen nur marginalst verwertungsbeteiligt sind. Die beiden Boulevardlieblinge komponierten keinen einzigen Song darauf selbst, lediglich Anders ist bei einem einzigen Lied als Texter mitaufgeführt.

Sage und schreibe siebzehn Versionen von harten bis zarten Discofox-Stampfern finden sich auf dem Tonträger. Kein Lied überrascht, die ersten drei ("Sie sagte doch sie liebt mich", "Sie hat es wieder getan" und "Sie ist wieder da") sind kaum auseinander zu halten. Im ersten Moment könnte man vermuten, es handle sich hierbei um ein Konzeptalbum zum Thema "enttäuschte Männerschaft singt über leichtbekleidete Frauen auf Ü-40-Parties".

Silbereisen und Anders hauchen irgendwas von verlorener Liebe und Bier. Auch der ehemalige Grand-Prix-Schlager "Rücksicht" von Hoffmann & Hoffmann wird gemenschelt und gesülzt. Alles beim Alten im selbstreferenziellen Kosmos des reaktionären Entertainments; auch sogenannte Frauenzeitschriften verbreiten bekanntermaßen nur Nichtnachrichten aus vergangenen Zeiten.

Überraschend ist auf "Das Album" höchstens die Soundkulisse, deren Synthesizergewand aus dem Hardstyle/Jumpstyle und dem Achterbahn-Dubstep der frühen 2000er entliehen ist. Irgendwann wird alles zur Volksmusik: Schließlich zählt Tomorrowland im belgischen Boom zu den größten Festivalereignissen Europas.

Trackliste

  1. 1. Sie sagte doch sie liebt mich
  2. 2. Sie hat es wieder getan
  3. 3. Sie ist wieder da
  4. 4. Versuch's nochmal mit mir
  5. 5. Rücksicht
  6. 6. Deine oder meine
  7. 7. Meine beste Melodie
  8. 8. Risiko
  9. 9. Freunde wie wir
  10. 10. Geliebt, gelacht, geweint
  11. 11. Du kannst ein Sieger sein
  12. 12. Wie ein großes Feuerwerk
  13. 13. Stärker als die Zeit
  14. 14. 100.000 Wunder
  15. 15. Ein kleiner Moment
  16. 16. Wenn der Himmel uns umarmt
  17. 17. Weiter als der Horizont

Videos

Video Video wird geladen ...

Weiterlesen

LAUT.DE-PORTRÄT Thomas Anders

Wie Tim und Struppi, Pinky und Brain, Bonnie und Clyde oder Sonny und Cher sind auch die Namen Anders und Bohlen fest miteinander verschweißt. Beide …

18 Kommentare mit 27 Antworten