laut.de-Kritik
Auf Zeitreise mit dem Mr. Spock des Progrock.
Review von Yan VogelMit den ersten Takten des Openers "Worlds Of Yesterday" zieht Tim Bowness den Hörer in seinen Bann. Ein hypnotisches Akustikgitarren-Picking in impressionistischer Klangkulisse liefert die Bühne für den sich in den ersten Zeilen entspinnenden Konflikt zwischen Tradition und Moderne, gipfelnd in den Zeilen "You're Locked In The Worlds Of Yesterday, But The Colours Turn To Grey".
Der greise Rockstar a.D. trauert im Herbst seiner Karriere den alten Zeiten nach und sieht sich mit dem schwindenden Wert seiner Musik in digitalen Zeiten konfrontiert. Auch sein ehemals enthusiastisches Publikum befasst sich eher mit dritten Zähnen und Altersbeschwerden, denn mit der befreienden Kraft der Musik. Entsprechend schwer bis unmöglich fällt der Versuch, die alten Zeiten wieder heraufzubeschwören. Bowness kreiert und besingt diesen Charakter, Bestandteil der fiktiven 70er Progrock-Größe Moonshot. Schon der Bandname rekurriert auf die Phase kultureller und wissenschaftlicher Meilensteine in den 60ern und 70ern. Entsprechend weniger Ambient- und Dream Pop-lastig fällt der vierte Output des Engländers aus.
Die meisten Stücke des Konzepts durchzieht ein melancholischer Grundton, die Bowness mit seiner gehauchten und unaufdringlichen Stimme narrativ begleitet. Die Textzeile "You'll Be The Silence, And They Can Make The Noise" passt wie die Plüschfaust aufs Auge. Die Anklänge an die ruhigen und dramatischen Momente von Genesis, Pink Floyd, King Crimson und Van der Graaf Generator sind nicht zu überhören. Es dominieren Klassik-Arrangments, warme Synthies und eingängige Gitarren-Parts. Selten bricht die Story aus und offenbart das zerwühlte Innenleben des Protagonisten wie in der Prog-Passage von "You Wanted To Be Seen", im Furor der grandiosen Rock meets Streichquartett-Nummer "Kill The Pain That's Killing You" oder der epischen zweiten Hälfte von "Moonshot Manchild".
Nie um kreativen Beistand verlegen, nützt der Mittfünfziger seine Connections zu seinem No-Man Partner Steven Wilson. Dieser schneidert als Klangmagier dem schillernden Konzept einen brillianten Sound auf den Leib.
Die tiefe Verbeugung vor der Prog-Vergangenheit offenbart, neben der Vinyl-typischen Spielzeit von 40 Minuten, ein Blick auf die Gästeliste. Ian Anderson (Jethro Tull) und Kit Watkins (Happy The Man, Camel) bringen den Songs die Flötentöne bei. Andrew Keelling (Hilliard Ensemble, Robert Fripp) versieht drei Stücke mit Streicherarrangements und David Rhodes (Peter Gabriel, Kate Bush) brilliert mit seiner Gitarre.
Daneben hat Bowness eine Kernbesetzung zusammengetrommelt, die eine erlesene Mischung des Who is Who des Neo-Prog/Artrock darstellt. Bruce Soord, Mastermind von The Pineapple Thief, liefert die kernige E-Gitarre. Colin Edwin (Porcupine Tree) spielt songorientiert, aber stets melodisch prägnant auf dem E-Bass, Double-Bass sowie Fretless und harmoniert excellent mit den beiden Schlagzeugern Hux Nettermalm (Paatos) und Andrew Booker (No-Man). Co-Songwriter Stephen Bennett bedient die gesamte Tastenpalette, vorzugsweise im Dunstkreis eines Rick Davies (Supertramp) und Tony Banks (Genesis).
Natürlich kann man den deklamierenden Gesangstil als zu gleichförmig, gar emotionslos finden, weswegen Bowness häufig als Mr. Spock des melancholischen Prog bezeichnet wird. Aufgrund der grandiosen Musik in Sound und Songwriting sowie dem detaillierten Konzept fällt dieser Kritikpunkt jedoch nicht negativ ins Gewicht.
Noch keine Kommentare