laut.de-Kritik

David Lynchs Bruder im Geiste sucht nach den dunklen Seiten Hollywoods.

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Zwischen dem belebten Treiben des Sunset Strips und den Filmsets der Studio City liegen die grünen Hügel von Laurel Canyon, Los Angeles. In den Sechzigern bieten sie den Boden für utopisch angehauchten, drogeninduzierten Folkrock. In Joni Mitchells Haus nehmen Crosby, Stills & Nash erste Stücke auf, und auch Carole King oder die Eagles treiben sich in der Nachbarschaft herum. Später tragen Frank Zappa, Jim Morrison und Iggy Pop mit ihrer ganz eigenen Lebensführung zum legendären Ruf der idyllischen Wohngegend bei.

Fast ein halbes Jahrhundert später sucht Taylor Kirk hier nach Inspirationen für sein Ein-Mann-Projekt Timber Timbre. Nicht von ungefähr betitelt Kirk seinen fünften Langspieler "Hot Dreams". Timber Timbres einst knorrig-melancholischer Folk-Ansatz hat sich spätestens seit "Creep On Creepin' On" zunehmend in fiebrige Gefilde verlagert. Ausladende Effektgewitter legen sich hier über morbide Interpretationen von Blues und Doo Wop.

Die "Hot Dreams" des Kanadiers zeigen aber zumindest auf den ersten Blick einen geerdeteren Sound, als es das einst LSD-getränkte Wohnviertel suggerieren mag. Timber Timbre spielt sogar mit astreinen Americana-Anleihen und greift in "Grand Canyon" schwärmerisches Planwagen-Flair auf. In klassischem Storytelling und typisch kehlig besingt er wandernde Schatten auf den roten Sandsteinbergen der Prärie. Auch in "Bring Me Simple Men" finden sich mit schwärmerischer Geige und Totenglocke solch ur-amerikanische Topoi des Westerns.

Zusammen mit Ko-Arrangeur Simon Trottier findet Taylor Kirk auf "Hot Dreams" zu Vibraphon, Theremin und Saxophon. Vor allem letztere tauchen in den kakophonischen Soundkollagen auf, die das überraschende Ende von "Grand Canyon" oder "New Tomorrow" ausmachen. Die kreischenden Saxophon-Arpeggien liefert der kanadische Jazzer Colin Stetson, der unter anderem auf Tom Waits‘ "Blood Money" und "Alice" zu hören ist.

In sanfterer Form versüßt Stetson mit seinem Instrument ebenfalls den Titelsong "Hot Dreams", der in Roy Orbison-Manier umgarnt. Über zarten Gitarrenanschläge und schunkelndem croont Kirk Taylor hier in verbleichten Technicolor-Klangfarben. Wie bereits in den letzten Alben untermauert der Kanadier seine Liebe zu den 1950ern, die so vielleicht nur Regisseur David Lynch teilt. Zusammen suchen die Brüder im Geiste nach dem Abseitigen in der samtigen Wonne des Happy Days-Jahrzehnts.

In "Run From Me" findet Timber Timbre eben jene dunkle Seite, die zwischen den süßlich intonierten Zeilen hervor scheint, und überspitzt diese mit sirenenhaften Backing Vocals oder wild anschwellenden Zwischenspielen. Piano, Schlagzeug, Mandoline und modulierte elektronische Klänge peitschen das doppelbödige Rührstück in hypnotische Höhen.

Schließlich findet "Hot Dreams", zweifellos das vielseitigste Timber Timbre-Album, doch wieder in sumpfige Gefilde. Egal ob Western-Romantik oder Fünfzigerjahre-Charme – es endet doch alles im heißen Morast, den Kirk im Schlussstück "The Three Sisters" zeichnet. Ganz im Geiste des Vorgängeralbums schleppt sich sein Grusel-Folk zu Cembalo, Theremin und Cello dahin, bevor die morbide Schönheit in abstraktem Rauschen untergeht und lediglich ein körperloser Wind einsam weht.

Nicht ganz zufällig schlängelt sich der Mulholland Drive durch die Hügel von Laurel Canyon, einer Straße, der David Lynch im gleichnamigen Film ein düster-surreales Denkmal gesetzt hat. Taylor Kirk hat verstanden, was die Faszination daran ausmacht und warum diese dunkle Seite interessanter sein kann, als das Erbe verblichener Musik-Größen dieses Wohngebiets aufzuarbeiten.

Trackliste

  1. 1. Beat The Drum Slowly
  2. 2. Hot Dreams
  3. 3. Curtains!
  4. 4. Bring Me Simple Men
  5. 5. Resurrection Drive Part II
  6. 6. Grand Canyon
  7. 7. This Low Commotion
  8. 8. The New Tomorrow
  9. 9. Run From Me
  10. 10. The Three Sisters

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2 Kommentare

  • Vor 10 Jahren

    Seit Freitag nahezu unermüdlich im Player am rotieren. Fantastisch. Mullholland Drive trifft's ganz gut, die passenden Medien musikalisch untermalt hat er ja schon mit Breaking Bad ("Magic Arrow" vom Drittwerk "Timber Timbre", irgendwann in der 2. Staffel :D )

    Titeltrack gehört zu meinen absoluten Favoriten, mit diesem wunderbar schmalzigen Sax zum Ende hin...
    Dieses Jahr bisher erste Wahl für laue Sommernächte am See oder in der Natur.

  • Vor 10 Jahren

    So langsam kommen die Tage, an denen ich die '14er Veröffentlichungen durchgehe und nach von mir verpassten Juwelen durchforste. Dieses Album ist ganz klar eines davon.