23. Mai 2008

"Das Album-Format ist uns wichtig"

Interview geführt von

Mit "The Optimist LP" gelang Olly Knights (Gesang) und Gale Paridjanian (Gitarre) 2001 ein Überraschungserfolg. Mittlerweile haben sie sich als Folk-Duo mit harten Kanten etabliert.Turin Brakes kommen in der zweiten Maihälfte für mehrere Auftritte nach Deutschland. Zu diesem Anlass unterhielten wir uns am Telefon mit Olly über alte und neue Platten, die Zwänge des Erfolgs und die Bedeutung eines kryptischen Bandnamens.

Elf Uhr morgens ist eigentlich keine gute Zeit für einen Musiker …

Kein Problem, wir sind gerade im Studio angekommen, um für unsere Auftritte in Deutschland zu proben. Wir schleppen gerade einen Haufen schwerer Geräte rein.

2001 habt ihr mit "The Optimist LP" euer erstes Album veröffentlicht. In einem Stück namens "The Door" hast du gesungen: "Nimm die schnelle Spur und brich auf / Bevor du keine Spuren hinterlässt". Hast du nun, sieben Jahre später, das Gefühl, dass ihr diesen Zeilen gerecht worden seid?

Ja, vielleicht. In dem Song ging es darum, dass man die Welt seiner Jugend verlassen sollte, bevor man sich in die ewigen Jagdgründe begibt. Ich hoffe, dass uns das gelungen ist. Wir haben Spuren hinterlassen, in Form von guter Musik, aber ich glaube nicht, dass wir das Ziel erreicht haben. Der Weg ist noch lang.

Damals lautete das Motto, "quiet is the new loud". Ihr seid mit vielen Bands verglichen worden, etwa mit Kings Of Convenience oder sogar mit Leonard Cohen und Simon & Garfunkel. Ihr habt das Etikett "Folk Radiohead" angehängt bekommen. Was hältst du davon, in solche Schubladen gesteckt zu werden?

Wenn es darum geht, Musikzeitschriften zu verkaufen, ist das wohl notwendig. Aber es ist sicherlich problematisch. Wir waren damals noch sehr jung und naiv und hatten keine Ahnung, welche Auswirkungen dieses frühe Marketing auf unsere Karriere haben würde. Natürlich waren wir zu zweit und haben Akustikgitarren gespielt, wir waren aber nie das softe Folk-Duo, das man in uns hineindichtete. Turin Brakes waren schon damals kantig, aber die Leute wussten das nicht, als sie die Artikel über uns lasen. Ich glaube nicht, dass wir jemals wie Simon & Garfunkel geklungen haben, wir waren rauer und auch zeitgenössischer. Bei uns geht es ums 21. Jahrhundert. Dass wir in einer großen Stadt wie London leben, hat sicherlich auch einen Einfluss. Könnte ich das Rad zurückdrehen, würde ich versuchen, die Kanten mehr hervor zu heben. Aber so ist es halt, so geht es wohl jeder Band.

Das Problem liegt eher darin, dass wir bei jedem neuen Album Kritik einstecken müssen, weil wir nicht dem Bild entsprechen, das sich die Leute von uns gemacht haben. Wir finden das sehr frustrierend, denn wir sehen uns als Künstler und wollen nicht ständig dasselbe wiederholen. Wir mögen "The Optimist LP" und denken, dass das mit unser bester Output war, aber wir wollen nicht ständig die gleiche Platte aufnehmen. Es war unsere Absicht, dass jede neue Platte anders klingt als die vorige. Manche Leute mögen sie, andere hassen sie, aber ich möchte auf eine Karriere zurückblicken, die ein bisschen mutig war, und nicht auf eine, bei der wir uns ständig wiederholt haben, nur weil es einfach und sicher war.

Instinkt statt großem Plan

Nach dem mehr oder weniger in Eigenregie entstandenen Debüt seid ihr für "Ether Song" (2003) nach Los Angeles geflogen und habt euch in ein Studio mit Sessionmusikern und einem namhaften Produzenten begeben. Das muss völlig anders gewesen sein.

Ja, klar. Das war eine tolle Erfahrung. Ich grinse immer noch, wenn ich an damals denke. Wir haben den Glamour und den Erfolg genossen, es hat riesig Spaß gemacht. Plötzlich wollten Leute mit uns zusammenarbeiten, wir waren in Los Angeles und nahmen ein Album auf, bei dem manche unserer Lieblingsmusiker dabei waren. Leute, die wir nur von Platten her kannten und unglaublich gut spielten. Das war fantastisch.

Im krassen Gegensatz zu eurem dritten Album "JackInABox" (2005).

Ja, dafür haben uns Gale und ich in ein kleines Londoner Studio eingeschlossen. Nur wir zwei. Das war ziemlich genau das Gegenteil. Für unser letztes Album "Dark On Fire" haben wir uns überlegt, was wir noch nicht getan hatten. Zum Beispiel ein Album mit unserer Liveband aufnehmen, die uns immerhin schon seit acht Jahren begleitet. So haben wir es zu fünft aufgenommen.

Ihr habt also eine Vielzahl an Ansätzen. Gibt es so etwas wie einen roten Faden, der sich durch eure Platten zieht, oder seid ihr da eher spontan und lasst euch vom Augenblick inspirieren?

Wir lassen uns inspirieren. Es war niemals so, dass wir ewig lang Ideen gebrütet haben. Es gibt meistens einen Auslöser. Das kann ein Klang, ein Lied oder auch eine Situation sein. Damit beginnt ein Prozess, und es kommt etwas Neues zustande. Wir nehmen eine Platte auf, gehen auf Tour, dann ruhen wir uns meistens ein paar Monate aus, bis zu dem Moment, in der wir das Gefühl haben, dass nie mehr etwas passieren wird. Dann geschieht doch etwas, ich bringe Gale ein paar neue Texte vorbei, wir finden einen passenden Sound und es geht wieder los. Irgendwie sind wir jedesmal eine neue Band. Es hat also nicht viel mit einem Plan zu tun, es ist eher Instinkt.

Dann hast du wahrscheinlich noch keine Ahnung, wie sich euer nächstes Album anhören wird …

Ich habe eine Vorahnung. Nachdem wir acht Jahre lang auf den Deckel gekriegt haben, weil wir immer wieder etwas Neues gemacht haben, und uns ständig anhören mussten, dass wir zurück zum Folk der Ursprünge kehren sollten, haben wir den Punkt erreicht, in dem wir denken: "Vielleicht sollten wir es tatsächlich mal ausprobieren". Wir wollen also versuchen, jeglichen Ballast abzuwerfen und nur das Nötigste reinzupacken. "Let's rock", lautet da unser Motto. Also eher wieder Folk, aber natürlich mit einem zeitgenössischen Schliff.

Euer zweites Album "Ether Song" war mit Platz vier in den britischen Charts euer bislang erfolgreichstes. Ward ihr enttäuscht, dass eure folgenden zwei Alben schlechter abgeschnitten haben?

Ja, wir waren sicherlich enttäuscht, dass unser drittes Album nicht so erfolgreich war. Je mehr Erfolg du hast, desto höher sind auch deine Erwartungen, das ist unvermeidlich. Wir haben "JackInABox" geliebt, da steckte sehr viel von uns drin. Es hat uns verletzt, dass es nicht so gut ankam. Aber wir haben auch eine wichtige Lehre daraus gezogen und haben uns Gedanken darüber gemacht, was Erfolg für uns bedeutet. Die Zahl an verkauften Platten ist nicht unbedingt das alleinige Maß der Dinge. Wenn du eine Platte liebst und erfährst, dass auch andere Leute, die dich mögen, mit ihr etwas anfangen können, ist das auch Erfolg.

In einem Lied des Albums, "They Can't Buy The Sunshine", singst du: "Es war toll, aber Berühmtheit und Erfolg sind nicht für die Ewigkeit / deshalb flüchten wir uns in den Sound". Das scheint die Angelegenheit treffend zu beschreiben.

Ja, genau. Das war der Opener. Wir wollten damit sagen: Es war spannend, einen Ausflug in die kommerziell erfolgreiche Sparte der Musik gemacht zu haben, aber vielleicht ist das nicht unser Schicksal. Wir bewegen uns nun in eine andere Richtung. Singles, die Top 40 und ein Major-Label im Nacken sind nicht unsere Zukunft. Ich denke, dass die Musik noch mehr im Mittelpunkt stehen wird, als es ohnehin schon der Fall ist. Auch wenn wir wahrscheinlich kleinere Brötchen backen müssen, wenn wir überleben und weiterhin gute Musik machen wollen.

"Turin Brakes" bedeutet alles und gar nichts

Ihr seid also nicht so sehr daran interessiert, zu den Global Players zugehören, sondern wollt eure Unabhängigkeit bewahren und das tun, worauf ihr Lust habt.

Es ist ein hartes Brot, wenn du bei einem Major unter Vertrag stehst. Für manche Leute ist es sicherlich sinnvoll. Wenn du in einer sehr kommerziell orientierten Popband spielst, ist das genau das Richtige. Du schneiderst deine Musik so, dass sie so erfolgreich ist wie möglich. Bei uns ist das anders. Manchmal denke ich, dass es toll wäre, unabhängiger zu arbeiten und einfach nur die Musik in den Mittelpunkt zu stellen. So haben wir es eigentlich schon immer getan, aber es war ein ständiger Kampf. Es wäre schön, wenn wir mal nicht kämpfen müssten.

Tom Petty hat gerade ein neues Album herausgebracht, nachdem er vor zwei Jahren seinen Rückzug aus dem Musikbusiness angekündigt hatte. "Wenn du es magst, gut, wenn nicht, ist es dein Problem", scheint nun seine Haltung zu sein.

Das ist wahrscheinlich die Zukunft von vielen Künstlern. Das hat damit zu tun, wie Musik heutzutage verkauft und wahrgenommen wird. Viele Leute werden sich eine Nische und Lieblingskünstler aussuchen, es wird also nicht mehr darum gehen, dass man weltweit ins Radio kommt und einen universellen Anklang findet. Musikkonsumenten können heutzutage viel einfacher genau das finden, wonach die suchen. Sie haben es nicht mehr nötig, sich etwas auftischen zu lassen. Ich finde das toll. Zwar werden manche Leute weniger Geld verdienen, dafür wird aber die Musik qualitativ besser sein.

2005 habt ihr den Mitschnitt "Live At The Palladium" herausgebracht, den es nach wie vor nur als Download gibt. Auf eurer MySpace-Seite bietet ihr Lieder zum kostenlosen Download an, auf eurer offiziellen Webseite gibt es einen Haufen Videos zu sehen. Glaubst du immer noch ans klassische Longplayer-Format, oder werdet ihr euch immer mehr dem Internet zuwenden?

Es war eine natürliche Entwicklung. Das Gute an einer Webseite und an MySpace ist die Unmittelbarkeit. Es gibt niemanden zwischen uns und den Fans. Kein Label. Es gibt keine Filter, du musst dich nicht mit Leuten auseinandersetzen, die falsche Ideen haben. Dennoch halten wir das Album für sehr wichtig. Wir möchten nicht eine jener Bands sein, die nur einzelne Stücke herausbringen. Wenn du ein Album anhörst, begibst du dich in eine eigene Welt, und das ist uns sehr wichtig. Es ist wie eine Reise, in die du auf dich nimmst.

In den nächsten Tagen seid ihr in Deutschland auf Tour. Was können die Besucher von euch erwarten?

In diesen Shows werden wir folgendermaßen spielen: Zwei Akustikgitarren, ein Kontrabass und ein Footstomp, so etwas wie eine kleine Trommel, die durch die Lautsprecher zu hören ist. Der Schwerpunkt liegt aber auf den Stimmen. Es wird rau sein, aufs Essentielle reduziert. Zwar wird es ruhige Momente geben, aber auch sehr intensive. Altmodischer Rock'n'Roll, sozusagen. Wir haben zwar schon damit experimentiert, aber nun bestreiten wir zum ersten Mal ein ganzes Konzert auf diese Art. Das hat auch mit unserem nächsten Album zu tun, das sich in die gleiche Richtung bewegen soll.

Ihr habt einen Bandnamen, der sich leicht im Kopf fest setzt. Mir ist es aber noch nicht gelungen, herauszufinden, was er eigentlich bedeuten soll …

Haha, er bedeutet alles und gar nichts. Eigentlich sind es nur zwei wahllos nebeneinander gesetzte Worte. Wie mochten schon immer eine Band aus den USA namens Royal Trucks. Wir dachten, das sei der coolste Namen aller Zeiten, und dass wir uns etwas ähnlich Gutes überlegen sollten. So haben wir Freunde eingeladen, um uns gemeinsam die Köpfe zu zermartern. Nach einem durchzechten Wochenende in Brighton war "Turin Brakes" der einzige Name, an den wir uns erinnern konnten. Es stand eine EP für ein kleines Label an, so kam er zustande. Ich bin zufrieden damit. Der Instinkt hat Ja gesagt, und man sollte seinem Instinkt folgen. Turin Brakes steht einfach nur für unsere Musik, es hat keine andere Bedeutung. Was wirklich cool ist: Wenn du den Namen bei Google eingibst, landest du direkt auf unserer Webseite. Daran haben wir vor zehn Jahren natürlich noch nicht gedacht.

Dankeschön, Olly. Viel Spaß bei den Proben und viel Glück in Deutschland!

Weiterlesen

LAUT.DE-PORTRÄT Turin Brakes

Turin Brakes ist ein seltsamer Name für eine Band, die aus England stammt und mit Italien und FIAT nichts am Hut hat. Wie die Beteiligten auf den Namen …

Noch keine Kommentare