laut.de-Kritik
Progressiv und atmosphärisch dicht.
Review von Jan HassenpflugSchon immer gaben Underoath die Gratwanderer zwischen den Welten. Zum einen nähren sie die nostalgischen Gefühle aller Emo-Kids der 2000er Jahre, zum anderen machten sie Post-Hardcore mit progressiven Elementen salonfähig. Nicht umsonst gilt "They're only chasing safety" bis heute als Aushängeschild der Screamo-Welle. Doch genau jener Sonderstatus, so scheint es, wiegt auch wie eine Bürde auf den Schultern der Amerikaner.
Mit dem Comeback 2015 gelang es zumindest in Teilen, die Vergangenheit abzustreifen und etwas Neues vorzulegen. "Erase Me" hatte die meisten Spuren der Teenagertage verwischt. Die wütende Verzweiflung der Jugend war einem kontrollierteren Umgang mit den eigenen Emotionen gewichen. Wohldosiert gehören elektronische Nuancen dabei fest zum Repertoire.
Ein bisschen Schwund ist immer: Bei der Veränderung weg vom wilden Screamo ging natürlich auch ein Stück Identität flöten. Womöglich ein Stück zu viel. Und so müssen Underoath mal wieder austarieren, sich als besagte Gratwanderer beweisen. "Voyeurist" wagt mit einem kleinen Schritt zurück genau diesen Drahtseilakt. Die Rückbesinnung auf einen organischen Sound ist zwar gleich spürbar, fällt aber bei allem guten Willen schon deutlich aus der Zeit. Gerade in wuchtigeren Momenten wirkt die Produktion verwaschen wie ein Demotape. Synthie-Samples kommen nach wie vor zum Einsatz, wenngleich etwas subtiler.
Bei allem Manko hat die Platte ihre Stärken, besonders gegen Ende der Spielzeit. Zu Beginn sind die Jungs noch stark damit beschäftigt, sich in ihrer neuen Komfortzone einzurichten. Bequem ist es dort keineswegs. "Damn Excuses" faucht jedenfalls gehörig drauf los. Brutaler denn je setzt sich Spencer Chamberlaine mit seinen Shouts über den kratzigen Instrumental-Sound hinweg.
Die dystopische Grundstimmung der gesamten Platte macht sich mit "Hallelujah" so richtig breit. Wenn die Chor-Samples einsetzen, dürften Bring Me The Horizon kurz mal neugierig rüberschielen. Überhaupt lassen sich bewusst oder unbewusst einige Referenzen zur poppigen Inkarnation des Death-Core wiederfinden. Von poppig bleiben Underoath jedoch weit entfernt.
Trotz mitunter vielversprechender Ansätze steckt das Songwriting zunächst in der Findungsphase fest. So untröstlich der Titel auch daherkommt, "I'm Pretty Sure I'm Out Of Luck And Have No Friends" sucht vor allem in langen Instrumentals ambitioniert nach der inneren Mitte. Und dann wäre da noch besagte Unwucht in der Produktion, die einen Song wie "Cycle" komplett ausbremst.
Klickt es noch mal so richtig? Als sich unter dem Eindruck des Zwischengeplänkels "(No Oasis)" langsam sowas wie Enttäuschung einstellt, holt das Sextett noch einmal tief Luft ("Take A Breath"), besinnt sich auf Wesentliches und bündelt alle Stärken. Siehe da: Plötzlich fügt sich das Puzzle. Hooks bleiben hängen, Breaks entfalten ihre Wirkung. Sind da etwa Underoath in ihrer bestmöglich Version zurück?
Sowohl "We're All Gonna Die" als auch "Numb" legen den Verdacht nahe. Beide rufen das volle Potenzial ab, absolutes Hit-Format. Zum Ausklang meistert "Pneumonia" in epischer Länge das große Finale. Progressiv und atmosphärisch dicht. Gesucht, gefunden!
Noch keine Kommentare