laut.de-Kritik

Viel hilft viel.

Review von

Sein 42. Album "Latest Record Project: Volume 1" zu nennen, macht Van Morrison grundsympathisch. Der Titeltrack als Opener fängt herrlich lakonisch an: "If you got my latest songs I'm singing / You got my latest songs I'm singing", mehr will der Nordire erstmal nicht sagen. "Latest Record Project: Volume 1" ist also nicht das schon halbwegs erwartete Anti-Coronapolitik-Album geworden, nachdem einige Songs im Herbst 2020 in diese Richtung geschielt hatten.

Der Opener ist trotzdem eine Finte. Stinkig, mitteilungsbedürftig und kapriziös gibt sich der notorisch streit- und klagewillige Kelte nach wie vor. "Why Are You On Facebook?" fragt er etwas dümmlich und mindestens so überflüssig wie das Gesichtsbuch selbst, aber der Song kommt wahnsinnig beschwingt daher, man singt sogar den Refrain gerne mit. Noch etwas blöder gerät "They Own The Media", das nur Morrison-Standard-Qualität erreicht. Und das heißt auch 2021 unverändert: wirklich ziemlich gut.

Der Erfinder und einzige ernsthafte Interpret des Celtic Soul nimmt diesen weiterhin nicht auf, auch nicht den Jazz von "The Prophet Speaks", sondern bleibt dem Bluesrock des ausgesprochen gelungenen direkten Vorgängers "Three Chords & The Truth" treu. Ganz so trennscharf lässt sich das natürlich nicht sagen, Van the Man braut wie gehabt ein Amalgam aus Blues, R'n'B-Songverständnis und souligem Einsatz der eigenen Stimme.

Und mit dieser seiner Stimme schlägt er um sich: Auf Corona ist er sauer ("Deadbeat Saturday Night"), mit "No Good Deed Goes Unpunished" bekommt die Musikpresse ihr Fett ab. Wirkt alles etwas egozentrisch-trotzig, die Zeiten von "And It Stoned Me", das mit ebenso einfachen Mitteln bildgewaltige Gefühle weckte, sind wohl vorbei. Gottlob gibt es nicht nur Rufe von der Seitenlinie: Die gute, smoothe Nummer "Tried To Do The Right Thing" ist zwar auch zänkisch, aber persönlicher und gleich viel packender.

Die von Morrison altbekannte Hammond B-3 prägt viele Blues-Songs wie, der Name verrät es, "Thank God For The Blues" und "Big Lie", ein gelungenes Duett mit Chris Farlowe. Das in vielen Songs präsente Response-Frauenteam ist unnötig, der undankbare Makulaturjob der Damen bringt musikalisch wenig. Denn der Meister selbst trällert hervorragend aufgelegt. Stimmgewaltig ist kein Mann mit 75 Jahren, aber auf "It Hurts Me Too" schafft der Sänger dafür eine Nähe und Unmittelbarkeit, die ihm erstmal einer nachmachen muss.

Dazu kommt, dass der Musiker wahnsinnig gut transportiert, was für eine coole Socke er ist. Die Höhepunkte auf "Latest Record Project: Volume 1" sind nicht die guten Blues-Songs, sondern die Dinger mit dem meisten Groove. Auf "Few Bars Early" schleicht sich Morrison einen ganzen Song lang von hinten an. "Psychoanalyst's Ball" ist eine richtig geniale laid-back Nummer, die keine Sekunde kürzer sein dürfte als ihre fünf Minuten. Auf "Only A Song" kehrt Van den kaltschnäuzigen Lakoniker raus, der ihm sehr gut steht: "When the penguins march along and go home / It's only a song". Die beste Gesangsleistung versteckt sich auf "Diabolic Pressure", bei dem der frühere Frontmann von Them richtig aus sich rausgeht.

Es ist nicht alles Gold in Ulster: Manche Nummer wird eine Spur zu routiniert heruntergebetet. "Where Have All The Rebels Gone" könnte um 2 Uhr nachts im rührseligen Bierzelt laufen und "The Long Con" ist einfach fad. Aber wofür veröffentlicht man denn 28 Songs an einem Stück? Muss der Hörer halt mal skippen, wird der alte Griesgram denken. Und überhaupt: Wer sonst kann außer der veröffentlichungswütigen Elsa Soares Nordirlands so schön ein ganzes Album keifen, um auf "Love Should Come With A Warning" (Won't somebody help me / Mend this heart of mine") doch nur in den Arm genommen werden zu wollen?

Trackliste

  1. 1. Latest Record Project
  2. 2. Where Have All the Rebels Gone?
  3. 3. Psychoanalysts' Ball
  4. 4. No Good Deed Goes Unpunished
  5. 5. Tried To Do The Right Thing
  6. 6. The Long Con
  7. 7. Thank God For The Blues
  8. 8. Big Lie
  9. 9. A Few Bars Early
  10. 10. It Hurts Me Too
  11. 11. Only A Song
  12. 12. Diabolic Pressure
  13. 13. Deadbeat Saturday Night
  14. 14. Blue Funk
  15. 15. Double Agent
  16. 16. Double Bind
  17. 17. Love Should Come With A Warning
  18. 18. Breaking The Spell
  19. 19. Up County Down
  20. 20. Duper's Delight
  21. 21. My Time After a While
  22. 22. He's Not The Kingpin
  23. 23. Mistaken Identity
  24. 24. Stop Bitching, Do Something
  25. 25. Western Man
  26. 26. They Own The Media
  27. 27. Why Are You On Facebook?
  28. 28. Jealousy

Videos

Video Video wird geladen ...

2 Kommentare mit einer Antwort