laut.de-Kritik
Gang Of Four-Huldigung mit Idles, RHCP, Tankian und Grönemeyer.
Review von Michael SchuhWie schwer es ist, Gang Of Four-Songs neu zu interpretieren, wissen wir seit 2005. Befeuert vom Franz Ferdinand-Hype und allem, was danach aus britischen Proberäumen quoll, landeten die Postpunk-Innovatoren aus Leeds plötzlich ganz oben auf der Liste der Wunsch-Reunions neben den Smiths und Police. Es folgte das Doppelalbum "Return The Gift" mit neu eingespielten Klassikern der Originalbesetzung, ergänzt um eine vermutlich gut gemeinte Remix-Hommage diverser Musiker*innen.
Fast alle dieser Bands sind heute entweder out of order oder niemandem mehr ein Begriff, von Ladytron und No Doubt mal abgesehen. Da wirkt die Gästeliste vorliegender Coverplatte schon zeitloser, was den Anlass leider nicht angenehmer macht. Das ursprünglich von Go4-Gitarrist Andy Gill zum 40. Geburtstag des Klassiker-Debüts "Entertainment!" geplante Projekt ist nach seinem Tod im Februar 2020 nun ein Vermächtnis, fertiggestellt von seiner Ehefrau Catherine Mayer.
Die hochgesteckten Ambitionen lassen sich schon am Cover ablesen, für das Konzeptkünstler Damien Hirst gleich mehrere Versionen anfertigte. Gill wählte einen niedlichen Wauwau, mal nicht in Formaldehyd eingelegt. Noch aus dem Krankenhausbett heraus habe der Workaholic im Dezember 2019 die Planung überwacht, nebenher neue Demos angehört und eine kommende Tournee vorbereitet, erzählen seine Bandkollegen.
Eine besondere Note erhielt die Tragik seines viel zu frühen Ablebens, nachdem Mayer die offizielle Todesursache Lungenentzündung und Organversagen mit einer Covid-19-Infektion in Verbindung brachte. Tatsächlich tourten Gang Of Four im November 2019 in China, wenn auch nicht in Wuhan. Gills hartnäckige Krankheitssymptome (Sauerstoffmangel, Geschmacksverlust und Lethargie) wurden in diesem Prä-Pandemie-Stadium noch nicht mit dem neuartigen Virus in Verbindung gebracht. Als Mitte 2020 bekannt wurde, dass sich ein Franzose schon im Dezember in seiner Heimat infiziert hatte, eine Erkrankung also nicht zwingend auf einen Aufenthalt in Wuhan zurück zu führen ist, war Gill bereits tot. Zudem erwischte es während der China-Tour auch den 26-jährigen Tourmanager, der im Dezember mit massiven Atemproblemen eine Woche ins Krankenhaus musste. Dass die Go4-Tournee ursprünglich im Frühjahr 2019 hätte stattfinden sollen und nur wegen Krankheit verschoben wurde, klingt in diesem Zusammenhang wie ein sehr makabrer Epilog.
Trübe Gedanken, die der Dezibelsturm der Idles im Nu vertreibt. Mit "Damaged Goods (Idles)" und "Natural's Not In It (Tom Morello & Serj Tankian)" eröffnet "The Problem Of Leisure: A Celebration Of Andy Gill And Gang Of Four" mit den beiden wohl prägendsten Songs der Gang Of Four. Joe Talbots Aggrokläfferei ist eine reine Liebeserklärung, und auch sonst belegen die Bristoler lückenlos, wie sehr die Power-DNA der Gang in ihrer Musik aufgegangen ist.
Serj Tankian hält sich erstaunlicherweise an die Original-Leadmelodie und verzichtet auf seine üblichen Kapriolen, erst im voluminösen Mittelteil blitzt sein Kamikaze-Organ kurz auf. RATM-Gitarrist Morello erkennt man kaum, so sehr orientiert er sich an Gills minimalistischem Stil. Helmet betraten für ihren Freund Gill erstmals nach fünf Jahren wieder ein Aufnahmestudio und spielen "In The Ditch (Helmet)", einen Song vom zweiten Album "Solid Gold" (1981), quasi originalgetreu nach. Im Umkehrschluss spürt man sofort, wo sich Hamilton und Co. Ende der 80er ihre Inspirationen her holten.
Es ist wohl im Sinne Gills gewesen, auf der Platte ein äußerst breites künstlerisches Spektrum zu versammeln. Als Hörer könnte man es auch Wahllosigkeit nennen. Ich mag mich täuschen, aber die Schnittmenge von Herbert Grönemeyer- und Gang Of Four-Fans dürfte überschaubar sein. Für den Bochumer natürlich kein Hinderungsgrund, den langjährigen Freund Gill nicht zu ehren, schließlich holte er ihn schon für das 2011er Album "Content" auf sein Label Grönland. Überhaupt ist der geschichtsbewusste Grönemeyer seit seiner gelungenen Befriedung der ewigen Streithähne Klaus Dinger und Michael Rother für die Neu!-Rereleases 2001 bundesverdienstkreuzwürdig. "I Love A Man In A Uniform (Herbert Grönemeyer feat. Alex Silva)" ist trotzdem schwer auszuhalten. Wie schon bei seinem Fehlfarben-Cover kommt es einem vor, als würde Christian Brückner Jim Carrey synchronisieren.
Massive Attacks 3D, bekanntlich ein Riesen-Fan, wählte einen Song aus dem fürchterlichen 2015er Album "What Happens Next", wissend, dass er dann nur glänzen kann. Mit den Nova Twins fabriziert er einen sphärischen, bassgetriebenen Track, der das Original mühelos in den Schatten stellt.
Gary Numan, ein Mann aus Gills Generation, beschäftigte sich 1979/80 nicht mit der Gang Of Four, schließlich hatte er genug damit zu tun, Luxuslimousinen und Flugzeuge zu kaufen. Im höheren Alter wurde ihm die Musik dann von Trent Reznor nahegebracht, und so hört man ihn hier, wie er mit Langzeit-Partner Ade Fenton "Love Like Anthrax" in seine dystopischen Keyboardburgwelten überführt und selbst einen Ethno-Touch passend integriert.
Klar auch, dass sich Gail Ann Dorsey, die letzten 20 Jahre Bassistin in David Bowies Band, am peitschenden Slapping-Trademark des Go4-Bassers Dave Allans erfreut. Sie wählt keinen bekannten Track und kitzelt stattdessen aus "We Live As We Dream, Alone" den Pop-Charakter heraus. Könnte auch ein Track von "Scary Monsters" sein.
Der aktuelle Gang Of Four-Sänger John "JJ" Sterry rührt "5:45" in einem 80er-Pop-Fass sämtliche Ecken ab, bevor La Roux diesem den Boden ausschlägt: Ihr grausamer Kik-Funk in "Damaged Goods" schunkelt sich in die Nähe von Wham! und Men At Work. Ausgerechnet die Dandy Warhols fangen mit ihrem lässige Remake von "What We All Want" den Spirit der Gang Of Four ein, und auch Warpaint drücken der dunklen Komplexität des "Paralyzed"-Originals ihre eigene Note auf. Die über alle Zweifel erhabenen Everything Everything wiederum zeigen in "Natural's Not In It" zu viel Respekt vor dem Original.
Gill schaffte es außerdem, Flea und John Frusciante zu einer Coverversion zu überreden, was "Not Great Men (Flea & John Frusciante)" zur ersten offiziellen Hörprobe des RHCP-Duos seit "Stadium Arcadium" macht. Alte Fans können Taschentücher bereit legen, denn hier lebt der Funkrock alter "Mother's Milk"-Zeiten neu auf. Den Gesang übernimmt ein Schüler-Chor aus Fleas Musikschule in L.A.
Ein mehr als würdiger Schlusspunkt ist die Live-Version "Not Great Men (live) (Sekar Melati)" der japanischen Formation Sekar Melati, die den Klassiker im Stile des indonesischen Genres Gamelan nachspielt, einer faszinierenden Gong-Musik. Es war Andy Gills liebste Gang Of Four-Coverversion.
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