laut.de-Kritik

Eine halbe Stunde voller Energie und künstlerischer Ausgelassenheit.

Review von

Manchmal kommt es vor, dass man doch ganz vergisst, wie lange eine Band schon gemeinsam unterwegs ist, wenn die Anzahl der Alben dies nicht vermuten lässt. Genau das passierte mir erst kürzlich bei Wallows. Seit mehr als zehn Jahren – wenn auch nicht schon immer als Wallows – machen Dylan Minnette, Braeden Lemasters und Cole Preston inzwischen schon zusammen Musik. Mit "Tell Me That It's Over" präsentiert das Trio aus L.A. jetzt allerdings erst sein zweites Album. Sofort fällt jedoch auf, dass die Jungs sich nicht erst seit gestern kennen, sondern schon seit Kindheitstagen sowohl auf musikalischer als auch auf freundschaftlicher Ebene ein eingespieltes Team sind.

Während der Zusammenhalt der Kindheitsfreunde somit nach wie vor keinerlei Abnutzungserscheinungen zeigt, waren wiederum andere, individuelle Beziehungen das zentrale Motiv für die Entstehung und die Richtung des Albums. "Wir alle gingen während des Schreibprozesses entweder ernsthafte Beziehungen ein oder verließen sie. Das Album hebt die Höhen und Tiefen von Beziehungen Mitte 20 hervor und wie ernst sie sich anfühlen können, weil man älter wird. Entscheidungen in dieser Phase des Lebens fühlen sich intensiver an, weil man das Gefühl hat, dass sie den Verlauf der Zukunft beeinflussen können", so die Band in einem Interview mit Wonderland.

Ganz im Sinne dieser Unvorhersehbarkeit entpuppt sich "Tell Me That It's Over" auch als das bisher experimentellste und vielschichtigste Projekt ihrer Karriere. Schon auf dem abwechslungsreichen Opener "Hard To Believe" existieren intime, reduzierte Parts aus Vocals und Streicherschnipseln neben kraftvollen Alt-Rock-Passagen mit heulenden E-Gitarren und brachialen Drums, bis im großen Finale alle Teile zusammenkommen und in einem bombastischen Feuerwerk münden.

Allerdings nicht nur auf diesem Track, sondern auch in weiten Teilen der gesamten Platte, verabschieden sich Wallows selbst vom letzten bisschen Zurückhaltung, das nach ihrem Debüt "Nothing Happens" noch übriggeblieben ist. Losgelöst von jeglichen Fesseln und Einschränkungen, erschaffen Dylan, Braeden und Cole zusammen mit Produzent Ariel Rechtshaid ein analoges Feuerwerk an Instrumentenvielfalt, das nur so vor Persönlichkeit und Energie strotzt. Immer wieder stechen dabei auch vereinzelte Einflüsse ihrer Idole vergangener Tage, allen voran der Beatles, aus der Songkollektion heraus.

So entwickelt sich auf dem explosiven "I Don't Want To Talk" neben einer flötenartigen Synth-Line und Coles mitreißenden Drum-Parts die Mundharmonika schnell zum großen Star des Songs, nur um im Anschluss auf "Especially You" neben einem fetten Bass und einigen Sound-Spielereien gleich für eine weitere, wenn auch zurückhaltendere Vorführung zurückzukehren. "At The End Of The Day" überrascht an anderer Stelle wiederum mit einer unerwarteten Synth-Pop-Aufmachung, die es im Wallows-Kosmos in dieser Weise noch nicht allzu oft zu hören gab.

Wie auch schon auf "Nothing Happens", sind dabei die Gesangsanteile auf der Platte fast gleichmäßig zwischen Braeden und Dylan aufgeteilt. Während Dylan in der Folge noch die auf dem süßen, verspielten Pop-Track "Marvelous" neben Bläsern und Melltoron überzeugt, ist es auch gerade das bittersüße Duett mit seiner Freundin und Regrettes-Frontwoman Lydia Night ("Permanent Price"), das alles aus ihm herausholt. Ein weiteres Indiz für die Unberechenbarkeit der Jungs auf diesem Projekt, ist hingegen die Entscheidung, das von Breaden angeführte "Missing Out" direkt als nächsten Song aufzufahren. Mit maximal verzerrten E-Gitarren und abermals knallenden Drums, genauso wie mit erneut dynamischer Songstruktur, erweist sich das Stück bis zu seinem jazzigen Ende als komplettes Kontrastprogramm.

Während die Gruppe somit eine bis dato einwandfreie Quote an mitreißenden Tracks aufweist, schleichen sich kurz vor Ende mit "Hurts Me" und "That's What I Get" dann allerdings doch noch zwei kleine Ernüchterungen ein. Sowohl die 80s-Vibes auf "Hurts Me" als auch die uninspirierte Aufmachung von "That's What I Get" offenbaren sich als erste und einzige wirkliche Downphase. In der Sorge, auf dieser enttäuschenden Note aus dem Album entlassen zu werden, hat sich die Band jedoch ein weiteres Highlight für den Schluss aufgehoben. Angefangen mit einem Lofi-Akustikgitarren-Intro, entwickelt sich "Guitar Romantic Search Adventure" nach und nach zu einem atmosphärisch beeindruckendem Erlebnis, das für Gänsehautgarantie sorgt.

Somit beenden Wallows ihren mitreißenden und energiegeladenen Album-Sprint von etwas mehr als einer halben Stunde nicht nur mit einem würdigen Finale, sie glänzen auch fast auf ganzer Linie. Zu sagen, dass die Band der großen Vorfreude und den hohen Erwartungen an ihr zweites Album gerecht geworden ist, ist somit fast schon eine Untertreibung. Denn "Tell Me That It's Over" macht nicht nur Spaß, sondern auch Lust auf mehr von einer Band, deren Potential nahezu endlos erscheint.

Trackliste

  1. 1. Hard To Believe
  2. 2. I Don't Want To Talk
  3. 3. Especially You
  4. 4. At The End Of The Day
  5. 5. Marvelous
  6. 6. Permanent Price
  7. 7. Missing Out
  8. 8. Hurts Me
  9. 9. That's What I Get
  10. 10. Guitar Romantic Search Adventure

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