laut.de-Kritik

WeissGPT blickt fragend auf die menschliche Natur.

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Der KI-generierte Song "Heart On My Sleeve" mit den Stimmen von Drake und The Weeknd schreckte Mitte April die Musikindustrie auf. Schreiben womöglich Programme die Hits der Zukunft? Reduziert sich die Rolle des Sängers auf die eigene Marke? Linda Zervakis und Matthias Opdenhövel gingen dem Phänomen im ProSieben-Format "ZOL" auf den Grund. Als Experte nahm Wincent Weiss auf der Studiocouch Platz. In dem notdürftig getarnten Promotermin zeigte er sich ebenso beeindruckt wie besorgt. Es sei beängstigend, wenn sich der "Fake nicht mehr von der Realität unterscheiden" lasse.

Um seine eigene Karriere mache er sich aber nur bedingt Sorgen. Zwar könne eine künstliche Intelligenz sicherlich brauchbare Songs schreiben, doch er "als Person" ließe sich nicht ersetzen und "Seele und Gefühl" würden wohl auch fehlen. Schließlich merke seine Hörerschaft, ob die Musik "wirklich von Herzen" komme. Wer so vehement abstreitet, seine Songs seien das Produkt eines Chatbots, macht sich natürlich verdächtig. Und tatsächlich gibt Wincent Weiss bereits mit dem Titelsong seines vierten Soloalbums "Irgendwo Ankommen" den Blick auf den Kabelsalat hinter der Fassade frei.

"Mein Leben wie ein Reifen, ich verliere mein Profil", gesteht der musikalische Bot einleitend seine fehlende Charaktertiefe. Erste Eingabeaufforderungen schleichen sich ein: "Gib mir irgendeinen Namen, irgendwelche Koordinaten." Ziele, Wünsche, Träume und alles, was einen Menschen sonst ausmacht, bleiben ihm ein Rätsel: "Was ich wirklich will? Ich hab' keine Ahnung!" Vorsicht ist bei seiner menschlichen Oberfläche geboten, die bewusst irritiert: "Mein Lächeln ist gerade nur Tarnung." Dazu plätschert die Musik vor sich hin, ohne Verletzte zu hinterlassen - immerhin etwas.

Gefühle mussten die Entwickler von Universal Music dem Weiss'schen Maschinenwesen mühsam einprogrammieren. "Ich weiß manchmal nicht, was ich fühl'", beklagt sie sich im binären "Ja/Nein", wenn es emotional hapert. Fragend blickt die KI auf die menschliche Natur, die ihr letztlich immer fremd bleiben muss. "Sag mir, warum träumt man, wenn man schläft? Und warum komm' beim Lachen manchmal Trän'?", wundert sich das überforderte Programm in "Wunder Geschehen". Nur einfachste physiologische Befehle begreift es wie in "Spring": "Atme ein, atme aus."

Geradezu unschlagbar fällt WeissGPT bei der Zielgruppenanalyse aus. Eine umfassende Betrachtung der deutschen Mentalität führte etwa in "Bleiben Wir" zu folgenden Zeilen: "Ich weiß, wir bleiben wir. Ich hab' diesen Wunsch, dass sich nichts ändert." Dazu stimmen die allseits beliebten Oh-oh-Chöre ein. "Es geht, na-na-na-na-na auf uns und dass es so bleibt", definiert er fröhlich schunkelnd "Die Musik". Und um einen arroganten Eindruck zu vermeiden, erklärt er den grobmotorischen Teutonen: "Lass uns einfach tanzen, vielleicht ein bisschen neben dem Beat."

"Halb So Schön" weckt auf perfide Weise Mitleid mit dem bedauernswerten System: "Was ist das blauste Meer und die schönste Stadt, wenn ich kein Gefühl dabei hab'?" Schließlich spielt ein verantwortungsloser Programmierer Gott. Er habe ihm "Beigebracht Zu Lieben", beschreibt die Schöpfung ihre Erweckung. Dazu begleitet ihn Produzent Kevin Zaremba gerade spannungsarm genug am Piano, dass niemand voreilig die Aufzugsfahrt abbrechen muss. "Irgendwo Ankommen" fällt sogar noch vager und charakterärmer aus als die Werke des Bourani-Bots oder des fortgeschritteneren Adel T-1000.

Trackliste

  1. 1. Irgendwo Ankommen
  2. 2. Ja/Nein
  3. 3. Bleiben Wir
  4. 4. Wunder Gesehen
  5. 5. Spring
  6. 6. Alleine Bin
  7. 7. Auf den Grund
  8. 8. Die Musik
  9. 9. Halb So Schön
  10. 10. Hass Mich Wenn Du Willst
  11. 11. Mehr Mit Dir
  12. 12. Beigebracht Zu Lieben

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