laut.de-Kritik
Es geht in die Coda.
Review von Moritz LinkCoda ist der musikalische Fachbegriff für den angehängten Schlussteil eines Liedes, der nach dem Hauptsatz stattfindet und diesen mit abschließenden Motiven ausklingen lässt. Dass bereits der erste Song des ersten Kollabo-Albums von Yung Lean und Bladee danach benannt ist, kommt nicht von ungefähr: Das Projekt soll nicht als ein weiterer Schritt in der ehrlicherweise schon recht auserzählten Cloud Rap-Erfolgsgeschichte der beiden Schweden verstanden werden, sondern eher als Nachtrag, der vollkommen neue Wege einschlägt, auf diesen aber nicht verweilen möchte.
Mit "Psykos" wagen sie sich überraschend in rockige Gewässer vor, mit einem Soundbild, das Lean zumindest nicht fremd ist, so konsequent auf Albumlänge aber noch nicht durchexerziert wurde. Wobei Albumlänge bekanntlich ein sehr dehnbarer Begriff ist. In nur knapp über zwanzig Minuten breiten Lean und Bladee acht Songs aus, die sie vom bekannten Trapfilm zu einer Emo-Post-Punk-Schiene mit psychedelischen Alt-Rock Einflüssen verlegen.
Ein kurzes Kollabo-Album also, das mit einem gitarrenlastigeren Sound experimentiert; Kids See Ghosts-Vergleiche drängen sich im ersten Moment schnell auf. Allerdings dippt KSG lediglich in die Rockmusik, "Psykos" ertrinkt gänzlich darin. Die Von-Rap-Zu-Rock-Identität teilt sich die Platte auch mit Lil Yachty, wobei dessen "Let's Start Here" zuletzt wesentlich monumentaler, extrovertierter und bunter war. Lean und Bladee zeichnen dagegen intime Psychogramme, sie thematisieren Break-Ups, ihre Drogensucht und Depressionen - in diesem Sinne ist das Projekt sogar relativ vorhersehbar.
Das Album leitet mit einer atmosphärischen, gesprochenen Passage ein. "Coda" ist unfassbar stimmungsvoll, die beiden stellen ihre Gefühlswelt in einer Weise dar, die einer postapokalyptischen Welt nahe kommt. Damit wird von Anfang an die Grenze zum übermäßig Pathetischen voll ausgereizt, Lean verkündet: "I woke up in the border of chaos and order". Es klingt trotzdem ziemlich geil, vor allem, wenn man über ein wenig Pathos hinwegsehen kann.
Der schwermütige Vibe zieht sich durch die gesamte Platte. Während der Opener mit seiner sanften Streicher-Untermalung noch relativ zurückgehalten wirkte, taucht Ghost jetzt kopfüber in den Emo-Punk ein. Die schön langgezogenen Vocals liefern eine ausgedehnte Soundfläche, auf der beide Protagonisten ihre persönlichen Dämonen besingen. Der Song definiert das Genre sicherlich nicht neu, klingt aber dennoch überzeugend, vor allem, weil er problemlos ohne Hook auskommt.
Die Tracks "Golden God" und "Sold Out" schlagen in eine ähnliche Kerbe, wobei "Golden God" mit seinen gerappten Parts am ehesten in Ufernähe des Hip Hops zurückkehrt. Es gelingt Lean und Bladee durchweg, ihren Sound in ein anderes Genre zu übersetzten, ohne die eigene Handschrift aufzugeben. Das liegt vermutlich auch an dem textlichen Fokus, immerhin gibt es wenig Abweichungen von den Sadboy-Erzählungen, mit denen beide erfolgreich wurden.
"Still" ist überaus heavy, spätestens wenn die Drums einsetzten, entwickelt der Song einen unglaublichen Sog, aus dem Yung Lean in der Mitte des Tracks mit einigen gerappten Zeilen kurz ausbricht, nur um gegen Ende wieder vollkommen eingesaugt zu werden. Seine Heavyness teilt sich der Track mit dem nicht minder intensiven "Enemy", dessen abschließende Zeilen "Fire and love wash over me / Fire and love wash over me" beschreiben, wie Lean seine beschädigte Psyche rohrreinigerartig ausräumen möchte.
Der Gitarrenloop im abschließenden "Things Happen" erinnert an "Needle In The Hay" von Elliott Smith, in dessen Musik Verzweiflung und Drogenerfahrungen bekanntermaßen eine ebenso zentrale Rolle spielten. "Things Happen" stellt den hoffnungsvollsten Moment der Platte dar, wenn Lean und Bladee sich an einem Punkt sehen, an dem sie niemanden mehr etwas zu beweisen haben. Der Song endet mit einem wiederholten "Just let go", womit das Album zuletzt ein erlösendes Momentum erreicht.
Auf struktureller Ebene ist "Psykos" allerdings als Kreislauf angelegt, ein Strudel, aus dem die Protagonisten überhaupt nicht entkommen können. Die Akkordfolgen des ersten und letzten Liedes sind nahezu identisch, "Coda" kann also auch als Ort verstanden werden, der Lean und Bladee wieder einfängt und eine erneute Abwärtsschiene einleitet. Das Album lässt keinen Ausweg zu, die Hoffnungsfetzen im letzten Song werden durch die ewige Wiederholung zunichte gemacht. Entsprechend singt Lean auf "Hanging From The Bridge", dem emotionalen Tiefpunkt der Platte: "I'm running, I'm leaving, disassociated symphony / It's not over, never over / Lеt the chemicals rain into me". Dieses Konzept ist ganz sicher nicht unverbraucht oder weltbewegend, gibt dem Album aber einen schönen, übergeordneten Rahmen.
Man mag die Augen rollen, wenn das Projekt an manchen Stellen abermals zu einem bedeutungsschwangeren Seelenstrip verkommt, man kann es aber genauso auf sich wirken lassen, wie Yung Lean und Bladee mit großer Detailverliebtheit dem neuen, erfrischenden Sound ihren Stempel aufdrücken. "Psykos" bleibt eine ziemlich konsistente und konsequente Kollaboration, die auf musikalischer Ebene über jeden Zweifel erhaben ist. Alles deutet darauf hin, dass die beiden Schweden in Zukunft weitere, gemeinsame Alben produzieren werden, dann vermutlich wieder mit einem raplastigeren Soundbild.
1 Kommentar
Gefällt mir. Bin gerade mies drauf, da holt mich das irgendwie ab.