laut.de-Kritik

Auf dass die K.I.Z.-Vergleiche endlich verstummen mögen!

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Es gibt eine nicht zu vernachlässigende Sorte von Hip Hop-Hörern, die immer noch nicht überwunden haben, dass Rapmusik dieser Tage nicht zwingend Technik, Geschmeidigkeit oder Soul beinhalten muss. Dieser Schlag Fans darf um Zugezogen Maskulin getrost einen Bogen machen.

Für alle anderen zählt "Alles Brennt" längst zur Speerspitze der vielversprechendsten Platten 2015. Wer wären denn Grim104 und Testo, bei denen selbst aus scheinbarem Nonsens wie "Sparkassen Girl" oder "Splashlove" relevante Geschichten erwachsen, diese Erwartungen zu enttäuschen?

Auf ihrem Quasi-Debütalbum legen ZM genau die messerscharfe Beobachtungsgabe an den Tag, die man sich versprochen hatte. Zum Glorifizieren "guter, alter Zeiten", das es als Deutschrap-Fan Jahr für Jahr ausgiebig zu ertragen gilt, präsentieren sie den zornig entschlossenen Gegenentwurf: eine auf allen Ebenen moderne Platte.

Zwar reißen die überwiegend 808-basierten Instrumentals von Patchworks, Dieser Morten oder Hauptproduzent Silkersoft keine ganz neuen Horizonte auf. Den hierzulande doch eher begrenzten Fundus gelungener Trap-Beats bereichern sie aber um zahlreiche Facetten, darunter ein Swing-Groove ("Ayahuasca"), Pauken und Trompeten ("Agenturensohn"), Latino-Gitarren ("Monte Cruz") oder eben Glocken ("Alles Brennt") - und wohlgemerkt: ohne einen einzigen Schnitzer.

Grims aufgekratzter Solotrack "Oi!" tanzt zum Drum'n'Bass-Rhyhtmus von Ben DMA und Nobody's Face aus der Reihe. Ansonsten zerrt nur NVIE Mothos Instrumental zu "Plattenbau O.S.T." am roten Faden: Mithilfe von trancigen Synthies, entrückten Vocalsamples und einer von Ada Sternberg gesäuselten Hookline malt der Wiener ein auf den ersten Blick vor Pathos triefendes, dann aber um so einnehmenderes Soundbild. Völlig konträr zu dessen Erhabenheit reflektieren Testos Strophen die trostlosen Teenagerjahre in Stralsund:

"Komm mit uns, verschwende deine Zeit.
Spielplatz zwischen Riesenblocks,
wir stell'n uns auf im Kreis.
Saufen um die Wette,
und dann tanzen wir zu Aggro-Ansagen
im Blaulicht der Krankenwagen.
"

... auf dass die ausgelatschten K.I.Z.-Vergleiche endlich verstummen mögen. Argumente dafür bietet freilich auch der Rest der Themenpalette. Szenespott ("Ayahuasca"), längst vergangene Kiffertage ("Grauweißer Rauch"), Alltagsrassismus ("Agenturensohn", "Monte Cruz"), gescheiterte Hoffnungen ins Großstadtleben ("Schiffbruch"): alles weiß Gott keine Sujets, die sich komfortabel und ohne Fremdschäm-Gefahr beackern ließen. Grim104 und Testo tun es jedoch so treffsicher, dass man ihnen vom eröffnenden "Rummachen"-Reim bis zur finalen Resignation ("Alles verschwindet zwischen miesen Perspektiven und steigender Miete") unablässig zu Füßen liegen möchte.

Ein Gefühl, das sich beim ersten Eingewöhnungs-Durchlauf allerspätestens mit "Oranienplatz" einstellte. Darin gelingt Grim das Kunststück, die allgegenwärtige Flüchtlingsfeindlichkeit auseinanderzunehmen und dabei auch noch weitgehend auf Zynismus zu verzichten. Als Inspirationsquelle diente Berlin-Kreuzberg, "wo die Sambatruppe beim Kulturenkarneval zwar klargeht / doch sich Argwohn in den Blick legt, wenn ein schwarzer Mann im Park steht / wo sich an den Randbezirken zeigt, wie dünn das Furnier ist / das sich Zivilisation nennt, wenn du nicht grade von hier bist."

Vermutlich liegt es an eben diesem brandaktuellen Nährboden, dass sich bisher keiner so recht traut, bei "Alles Brennt" von einem potenziellen Klassiker zu sprechen, wenngleich es die nötige Dichte zweifellos mitbrächte. Fest steht dennoch schon heute: Dieses Album wird als wichtiges, weil ungemein eigenartiges Zeitdokument in Erinnerung bleiben.

Trackliste

  1. 1. Alles Brennt
  2. 2. Ayahuasca
  3. 3. Plattenbau O.S.T.
  4. 4. Oranienplatz
  5. 5. Grauweißer Rauch
  6. 6. Endlich Wieder Krieg
  7. 7. Guccibauch
  8. 8. Oi!
  9. 9. Agenturensohn
  10. 10. Monte Cruz
  11. 11. Vatermörder
  12. 12. Schiffbruch

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