laut.de-Biographie
Thin Lizzy
"This boy is crack'in up. This boy has broken down", singt Phil Lynott 1982 in seinem Sololied "Old Town". Eine Zeile, die autobiografische Züge trägt und die Verzweiflung eines Mannes offenbart, der am Ende seiner Karriere und auch seines Lebens steht.
Ein Leben, das schon vor der Geburt 1949 abenteuerliche Züge trägt: Seine irische Mutter arbeitet in London und lernt einen schwarzen Brasilianer kennen, der eine Woche nach der Niederkunft spurlos verschwindet. Der junge Philip wächst bei den Großeltern in Dublin auf.
Schwarze Kinder sind in Irland selten, und Lynott schafft es, diese Sonderheit zu seinen Gunsten zu nutzen. Er will berühmt werden und beschließt, eine Karriere als Rocksänger einzuschlagen. Mit achtzehn tritt er Skid Row bei, einer der ersten irischen Rockbands. Die Zusammenarbeit dauert nicht lange an, dennoch hat sie Auswirkung auf seine Zukunft: Er lernt Bass spielen und trifft auf den Gitarristen Gary Moore.
1969 gründet er seine eigene Band mit Kumpel Brian Downey am Schlagzeug und dem erfahrenen Gitarristen Eric Bell. Auf der Suche nach einem Namen durchblätterten das Comicheft "Beano", in dem ein weiblicher Roboter namens Tin Lizzie vorkommt. "Ich dachte, er sei absolut schrecklich", verrät Lynott in einem Interview, dennoch übernehmen sie ihn, nachdem sie ihn leicht umgewandelt haben.
Mit Lynott als schillerndem Frontmann und begnadetem Liederschreiber machen sich Thin Lizzy in Irland rasch einen Namen. Sie erhalten einen Major-Plattenvertrag, ziehen nach London und nehmen ihr selbstbetiteltes Debütalbum auf, das 1971 erscheint. Zwar bringt es wie der eher schwache Nachfolger "Shades Of A Blue Orphanage" (1972) nicht den Durchbruch, dennoch sammeln sie Bühnenerfahrung und Tipps bei ihrer Tour mit Slade. Ebenso wichtig ist ihnen das dazugehörige Partyleben, das sie mit exzessivem LSD- und Alkoholkonsum feiern.
Schon auf dem absteigenden Ast, bevor sie überhaupt richtig rauskommen, gelingt ihnen fast zufällig der erste Hit: Lynott spielt ein traditionelles irisches Lied vor sich hin, Bell improvisiert ein paar Gitarrennoten darüber, und fertig ist "Whiskey In The Jar", das Position sechs in den englischen Charts erreicht.
Die eher kommerzielle Neuorientierung veranlasst Bell im Januar 1974, die Band zu verlassen. Als Ersatzmann kommt Gary Moore, der aber schon im darauf folgenden Mai kündigt, nachdem er nach eigenen Angaben vier Monate lang jeden Abend besoffen und jeden Morgen verkatert war. Lynott verpflichtet daraufhin zwei junge unbekannte Gitarristen: Brian Robertson aus Glasgow und Scott Gorham aus Kalifornien.
In dieser Besetzung feiern Thin Lizzy ihre größten Erfolge. Auf eine ausgiebige US-Tour 1975 folgt ihr bis dahin härtestes Album "Jailbreak" (1976), das auch "Boys Are Back In Town" enthält. Es erreicht gute Chartsplatzierungen wie die Platz acht in England und Platz zwölf in den USA. Noch besser platziert sich "Bad Reputation" (1977), das in England sogar auf Platz vier steht.
Der Ruhm steigt Lynott zu Kopf, sein Drogenkonsum nimmt überhand, und er verfeindet sich mit seiner gesamten Entourage. "Philip begann, Beruhigungsmittel zu nehmen", erinnert sich sein damaliger Tourmanager. "Er kokste bis fünf Uhr morgens, um wach zu bleiben, dann nahm er tonnenweise Schlaftabletten, um einschlafen zu können. Wenn dann jemand wenige Stunden später an seine Tür klopfte, weil wir zum nächsten Konzertort fahren mussten, war er höllisch schlecht gelaunt und versuchte ständig, eine Schlägerei anzufangen."
Wie "Live And Dangerous" 1978 beweist, führt die explosive Stimmung zunächst zu Höchstleistungen auf der Bühne. Der Konzertmitschnitt gilt nicht nur als der Höhepunkt von Thin Lizzy Schaffen, sondern auch als eines der gelungensten Livealben überhaupt, was sich mit Platz zwei in den Charts bemerkbar macht. Nach der Veröffentlichung beginnt jedoch ein Personalkarussel, das jahrelang anhält. Gitarrist Robertson kommt und geht, zunächst ersetzt durch Gary Moore. "Schnell begriff ich, dass alles den Bach runterging. Phil wollte einfach nur Spaß haben, es schien, als ob im die Konzerte scheißegal wären. Am Ende ging es so weit, dass die Party nach der Show wichtiger war als die Show selbst", erzählt Moore, der Thin Lizzy 1979 mitten auf einer US-Tour verlässt.
Der vorübergehende Ersatzmann heißt überraschendeweise Midge Ure, der aber nur der erste einer ganzen Reihe ist. Auch die Hochzeit Lynotts 1980, sein Soloalbum "Solo In Soho" und die Lizzy-Hitsingle "Killer On the Loose" ein Jahr später führen den Frontmann aus dem Drogensumpf nicht heraus. 1982 folgt seine zweite Solomühe "The Philip Lynott Album", die jedoch vernichtende Kritiken erhält und vollkommen untergeht. Nebenbei unterstützt er U2 bei ihren ersten Gehversuchen.
Um angehäufte Schulden zu bezahlen, nimmt die Band 1983 ihr letztes Album "Thunder And Lightning" auf. Überraschenderweise gerät es zu einem ihrer erfolgreichsten und bietet den Anlass für eine lange Abschiedstour, die auf "Life" (1983) dokumentiert ist. Beim Konzert in London treten sogar alle vergangenen Gitarristen bis auf einen gemeinsam auf. Die letzte Show findet am 4. September 1983 in Nürnberg statt. "Wir verabschiedeten uns am Flughafen und das war's dann", erzählt der damalige Keyboarder Darren Wharton.
Für Lynott ist es der Anfang vom Ende. Als er auch noch zu Heroin greift, verlässt ihn seine Frau mit den gemeinsamen zwei Kindern. Zwar gründet er mit Grand Slam eine neue Band, aber sein Verhalten ist so unvorhersehbar, dass das Experiment nach einer kurzen Tour in sich zusammenfällt.
1985 spielt noch er bei Gary Moores "Out In The Fields" mit und steuert ein Stück für die B-Seite der Single bei, die in England auf Platz fünf landet. Wenige Monate später wird Lynott am Weihnachtstag bewusstlos in seiner Londoner Wohnung aufgefunden. Im Arztbericht steht, dass eine Blutvergiftung zum Versagen von Leber, Nieren und Herz führte. Er stirbt am 4. Januar 1986.
Lynott bleibt auch nach dem Tod ein Idol und gilt nach wie vor als einer der schillerndsten Darsteller des Rock. 1994 tun sich die ehemaligen Mitglieder Scott Gorham, John Sykes und Brian Downey mit Tommy Aldridge und Mark Mendoza unter dem alten Namen wieder zusammen. Nach einer ausverkauften Japantour beschließen sie, auch in Europa auf die Bühne zu treten. Seitdem sind Thin Lizzy mit wechselnder Besetzung immer wieder live zu sehen. Ohne Lynott handelt es sich jedoch eher um das Nachspielen alter Hits als um eine Angelegenheit mit Herz und Seele.
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