laut.de-Kritik
Ein glückliches Land, das solche Kritiker hat.
Review von Giuliano Benassi"Die Fabriken machen dicht, und die Armee ist voll, ich weiß nicht, was ich tun soll. Ich habe festgestellt, dass es im Land der Freiheit nur für wenige Auserwählte eine Zukunft gibt", dichtete Billy Bragg 1983 in "To Have And To Have Not" auf seinem ersten Album "Life's A Riot". Der Ruf des politischen, linksorientierten Sängers, der mit Begeisterung auf jeder Gewerkschaftsveranstaltung auftritt, haftet seitdem am mittlerweile 45-Jährigen aus Barking, Essex.
Wie diese gelungene Retrospektive jedoch zeigt, ist Bragg nicht lediglich ein ideologisch geprägter Barde, sondern vor allem ein feiner Beobachter seiner Umgebung und ein Kritiker sozialer Missstände. Auf ein zärtliches Liebeslied wie "A Lover Sings" folgt in "The Saturday Boy" die bittere Abrechnung mit einer Angebeteten, die ihn nicht haben wollte ("Wenn ich zurück blicke, zwang sie uns, uns nach ihr zu sehnen, ein Mädchen, das noch nicht alt genug war, um ihre Beine zu rasieren").
Nicht nur Politik, sondern auch Liebe und die Beziehung zwischen Mann und Frau behandelt er persönlich und oft mit einem belustigten, aber auch trostlosen Augenzwinkern. "Mit Gedanken über Lust und Gedanken über Macht, mit Gedanken über Liebe und Gedanken über den Vorsitzenden Mao", erinnert er sich an eine unglücklich beendete Liaison in "The Warmest Room".
Während sich sprachlicher Reichtum wie ein roter Faden durch sein Schaffen zieht, ist musikalisch eine eindeutige Entwicklung festzustellen. Begleitet er seine klare, schnörkellose Stimme in den ersten Jahren meist nur mit einer hart angeschlagenen, effektlosen E-Gitarre, arbeitet er später nicht nur mit einer Vielzahl an Instrumenten, sondern auch mit anderen Musikern.
"Sexuality", "Cindy Of A Thousand Lives" und "The Boy Done Good" schrieb er mit Johnny Marr, während er sich für das vielleicht beachtlichste Kapitel seines Schaffens mit den US-Amerikanern Wilco zusammen tat. Auf den Alben "Mermaid Avenue" 1 und 2 (1997 und 2000, hier "Ingrid Bergmann" bis "My Flying Saucer") vertonten sie bis dahin unveröffentlichte Verse der amerikanischen Folklegende Woodie Guthrie, der neben seinem bekanntesten Stück "This Land Is Your Land" Tausende von anderen Liedern verfasste.
Dass Bragg bis heute nicht seinen Biss verloren hat, bewies er letztes Jahr mit seiner Begleitband The Blokes. Dem expliziten Titel des hier abschließenden Stücks "Take Down The Union Jack" lässt er klare Worte folgen: "Großbritannien ist nicht cool, es ist nicht großartig, es ist kein richtiges Land, es hat nicht mal einen Schutzheiligen. Es ist nur ein wirtschaftlicher Zusammenschluss, dessen Verfallsdatum abgelaufen ist", sang er anlässlich der Feierlichkeiten zum 50. Thronjahr von Elisabeth II.
Trotz seiner politischen Stellungnahmen sah sich Bragg aber nie als Lennon'scher Working Class Hero, sondern als Musiker mit sozialkritischen Texten. "Ich möchte nicht die Welt ändern, ich will auch kein neues England, ich brauche lediglich eine neue Freundin", sang er bereits 1983 in "A New England".
Das ist dem Familienmenschen gelungen, genauso wie diese schön verpackte und liebevoll zusammen gestellte Best Of. Wer rechtzeitig zuschlägt, kann sich noch die limitierte Erstauflage sichern, die neben unveröffentlichten Stücken auch Coverversionen von John Cale- und Rolling Stones-Liedern enthält.
Noch keine Kommentare