laut.de-Kritik
Ein schroffes Destillat aus Blues, Punk und Garage Rock.
Review von Christian Kollasch"Ich denke, wir sollten mal eine Pause einlegen." Fällt dieser Satz in einer Partnerschaft, schrillen bei jedem Betroffenen die Alarmglocken. Dauert die unsägliche Auszeit dann auch noch 17 Jahre an, dürfte wohl jeder Liebende sein Herz längst woanders hin verschenkt haben. Der beziehungstechnische K.o.-Schlag entpuppt sich für Cristina Martinez und Jon Spencer (Pussy Galore, The Jon Spencer Blues Explosion) in musikalischer Hinsicht jedoch als echte Frischzellenkur. Das Ehepaar, das 1989 in Steve Albinis Wohnsitz in Chicago erstmals den Blues ausweidete und als punkige Monstrosität wiederauferstehen ließ, sammelt auch 2017 wieder fleißig Körperteile.
Auf der damaligen Debüt-EP "Drinkin', Lechin' & Lyin'" posierte Sängerin Cristina Martinez noch mit nichts weiter als Lackstiefeln und -Handschuhen auf dem Cover und komplettierte damit das Bild des verruchten Pigfuck-Sounds. Das Artwork von "Brood X" kommt mittlerweile ohne explizite Rundungen aus, darf aber nicht als Anzeichen für einen braveren Output der Band gesehen werden. Bereits zum Start fährt die Formation mit hoher Drehzahl ins Comeback.
Der Opener "Billy" läutet die neue LP mit fiebriger Gitarre und Piano ein, wozu Drummerin Hollis Queens treibend die Marschrichtung vorgibt: "Out of the darkness / Out of the wood / Into the street light / Into the wild." Die Rhythmussektion des Quintetts bricht immer wieder druckvoll durch das Klangbild und bleibt auch im weiteren Verlauf des Albums ein großes Aushängeschild.
Queens legt dermaßen viel Groove in die zehn Bluespunk-Bastarde, dass die Songs bis zur letzten Sekunde vor abgebrühter Coolness triefen. So rollt "Black Eyes" mit Ellenbogen aus dem Fenster voran, während Spencers Gitarre den Motor immer wieder aufheulen lässt. Auch nach 17 Jahren Stillstand hat die Karre keinen Rost angesetzt. "How does it feel to feel good?" fragt sich Frontfrau Martinez im Refrain und die Antwort darauf ist schon beim Hören des Tracks klar.
Boss Hog kommen 2017 geerdet und schnörkellos daher, wobei die Band immer in der Spur bleibt. Im düsteren "Shh Shh Shh" zischt Martinez durch eine alte Telefonleitung zum grummelnden Basslauf. So etwas wie eine Bridge oder andere Sperenzien kommen im Songwriting der New Yorker kaum vor, der Titel stampft bis zum sphärischen Finale stetig vorwärts.
Was hier noch lässiges Kopfnicken garantiert, sorgt an anderer Stelle jedoch für leichte Ermüdungserscheinungen. Das darauf folgende "Signal" hebt sich kaum vom Rest der Tracklist ab und darf wie ein unheimlich wirkender Anhalter am Straßenrand stehen gelassen werden. Boss Hog verlassen sich etwas zu sehr auf ihre reudige Blues-"Formula X" und kopieren sich innerhalb von "Brood X" immer mal wieder selbst. Das bleibt aber zu verkraften, da die Grundzutaten einfach passen. Mit Spoken Word und Ohrwurm-Riff sorgen sie in "Rodeo Chica" zudem schnellstmöglich für Ausgleich.
Erst zum Schluss tritt die Gruppe mit "17" härter auf die Bremse. Der leiernde Walzer beendet die LP mit trunkener Katerstimmung und heftigen Noise-Eskalationen. Boss Hog ziehen sich in die Schatten zurück, die sie nach der langen Pause gerade erst verlassen haben. Den Ausflug ans Licht haben sie mit "Brood X" als herrlich schroffes Destillat aus Blues, Punk und Garage Rock gestaltet, das den Hinweis "leicht entflammbar" verdient. Für regelmäßige Veröffentlichungen waren sie nie bekannt, aber die nächste musikalische Beziehungspause fällt hoffentlich deutlich kürzer aus.
1 Kommentar
Erste Platte seit Whiteout, die blieb damals trotz MTV und VIVA2-Heavy Rotation ein relativer Geheimtipp.
Hat auch heute noch genug schmissigen Groove, um hier auch mal guter Dinge rein zu hören...