laut.de-Kritik

Antistress-Kur mit Gitarre, Orgel und zurückhaltender Stimme.

Review von

Für heute kann der Medikamentenschrank mal geschlossen bleiben. Das Valium lege ich beiseite, und mein Abo für die Apothekerzeitschrift wollte ich eh schon letzte Woche kündigen. Boy In Static heißt die neue Anti-Stress Kur mit Akustikgitarre, Second Hand Orgel, angenehmer Elektronika und zurückhaltender Stimme. "Newborn" heißt das Debüt, das uns mit dem ersten Track "Bellyfull" außerordentlich herzlich begrüßt. Man vermutet sofort eine komplette Band hinter dem Namen und fühlt sich erinnert an Gruppen wie Notwist oder Finn aus Hamburg.

Weit gefehlt. Hinter Boy In Static verbirgt sich EIN junger Mann aus New Jersey. Alexander Chen ist 23 Jahre alt und erlebt den Traum aller Indiebands. Nach Abgabe seines Demotapes erhält das Ein-Mann-Orchester einen Plattenvertrag bei dem Label (Alien Transistor) seiner Lieblingsband (Notwist), und das ist hoffentlich der Beginn einer Bilderbuch-Karriere. Wie neugeboren fühlt man sich nach den zehn kleinen Meisterwerken, die irgendwo zwischen Pop, Rock, Folk und Elektro einzutüten wären, wenn man denn Mr. Chen in eine Schublade packen möchte.

In Geschenkpapier gewickelt kann ich mir allerdings "Newborn" sehr gut vorstellen. Sollte also jemand demnächst Geburtstag haben, dann überreicht dem guten Kind bitte diese Platte. Man wird euch ewig dankbar sein. Darüber hinaus erhaltet ihr beim Abspielen dieser CD garantiert Pluspunkte bei eurem Lebensabschnittsgefährten oder Lebensmitbewohner. Die wohltuenden Klänge durchdringen jede Zimmerwand und beflügeln aromatisch die Sinne.

Meine Punkte hat Boy In Static auf jeden Fall 100 % sicher. Genauso wie sein Kollege The Go Find, bei dem ich kürzlich erst zum Möbel mutierte. "Newborn" ist nun die aktuelle Empfehlung gegen Frühjahrsmüdigkeit und Herbstdepression. Während es draußen immer noch nicht hell wird, geht mit jedem nächsten Stück ein bisschen mehr die Sonne auf. Bei "Kissed Under The Sun" jongliert Alexander mit seiner Stimme und übertrifft die Tonart von Oberheulsuse Thom York. Wunderbar. Etwas schnellere Breakbeats bietet "Epilogue", dessen Streichersequenzen wieder ein ganzes Orchester vermuten lässt. Der ersteigerte Ebay-Orgel-Sound ist immer wieder ein Genuss, wie das Schwingen der Akustik-Saiten, die sich, wie die kleine Raupe nimmersatt, durch die ganze Platte frisst.

Der Trend zum Alleinunterhalter wächst. Wer braucht schon eine Band, die sowieso nur Ärger mit sich bringt. Das ewige Teilen, der nicht vorhandenen Gage und die ewige Suche nach dem optimalen Proberaum. Boy In Static ist sein eigener Frontmann und frickelt gemütlich zu Hause an seinen wummernden Bässen, den harmonischen Gitarrenklängen und der berauschenden Laptop-Elektronik. Einsam und sehnsüchtig haucht er seine Texte ins Mikrofon. Sein soziales Umfeld muss erst mal zu Hause bleiben. Boy In Static ist der Wohnzimmerheld, der wahre Junge mit der Gitarre und der Eroberer deines harmoniebedürftigen Herzens.

Trackliste

  1. 1. Bellyfull
  2. 2. Newborn
  3. 3. Kissed Under The Sun
  4. 4. Stay Awake
  5. 5. Broke
  6. 6. First Words
  7. 7. Epilogue
  8. 8. Truly Yours
  9. 9. Warm Blooded
  10. 10. Slept Fine

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