laut.de-Kritik
Vom Weibchen so weit entfernt wie von der Queen Bitch.
Review von Dani FrommManchmal drängt sich der Eindruck auf, Deutschland und Frankreich trennten Schallschutzmauern. Erstaunlich, dass man in einer zunehmend vernetzten Welt immer noch so wenig mitbekommen kann, was die Nachbarn so treiben.
Von Diam's hat hierzulande bisher kaum jemand je gehört. Dabei zählt die Dame mit griechisch-zypriotischen Wurzeln in ihrer Heimat spätestens seit ihrem Album "Brut De Femme" von 2003 zu den Stammgästen auf Frankreichs Rap-Parkett.
Schande über die tumben Deutschen, Schande über mich: Ein solches Ausnahmetalent hätte man hierzulande getrost früher entdecken können - zumal man Frauen, die sich im Testosteron-getränkten Hip Hop-Geschäft tatsächlich behaupten können, ohnehin mit der Lupe suchen muss.
Vom zarten Weibchen bleibt Diam's so weit entfernt wie von der Queen Bitch. Statt sich in eine der beiden Schablonen zu fügen, die die Szene für Frauen bereit hält, macht sie gleich ihre eigene auf: "Un côté fille, un côté thug, un côté 'style à voter', si le rap, c'est de l'argent eh bah! J'suis la boss."
"La boss" darf ebenso stehen bleiben wie der Tracktitel "I Am Somebody": Ich habe lange keinem MC lauschen dürfen, aus dessen Mund sich vergleichbare Textfluten in ähnlich zwingende Reime ergossen haben. Eine Frau war in all den Jahren noch nie darunter.
Nüchtern betrachtet sprengt der Umfang ihrer Lyrics jeden Rahmen. Diam's legt ihrem Publikum Gedanken und Gefühle, ihren Werdegang und den ihrer Familie jedoch derart fesselnd zu Füßen, dass selbiges auch über mörderische Distanzen von neun, zehn Minuten gebannt an ihren Lippen hängt.
Verhaltene Beats machen es möglich. Ob Pianonoten, hallende Trommelschläge und Streicher, Akustikgitarren, Percussion oder - in "Rose Du Bitume" - auch einmal Synthies: Stets unterstreichen die Instrumentals zwar die Stimmung der Texte, treten jedoch dezent hinter den Rap zurück.
Diam's nutzt diese Bühne, um Beobachtungen, Erfahrungen und Eindrücke zu teilen, Höhen und Tiefen auszuloten und dabei gleichsam dichterische Fähigkeiten, exzellente Technik und unwiderstehlichen Biss an den Tag zu legen.
Die im Rap-Kontext fast schon obligatorische Huldigung an die Frau Mama gerät unter ihren Händen zu einer kraftvoll vorgetragenen Lektion in jüngerer Geschichte ("Sur La Tête De La Mère"). Außenpolitische Zusammenhänge handelt Diam's gleich kenntnisreich ab, wie sie persönliche Emotionen zum Thema erhebt.
Bei allem gebotenen Ernst bleibt Zeit, sich zwischendurch in "Peter Pan"-Phantasien zu flüchten oder sogar einen angedeuteten Walzer-Schritt zu wagen. Den großartigen Chorus zu "Dans Le Noir" steuert Sängerin Anahy bei. Noch so eine Französin, die man im Auge behalten sollte ...
Diam's jedenfalls dürfte so schnell nicht mehr aus dem Blickfeld verlieren, wer "Si C'était Le Dernier" hinter sich gebracht hat. "Bah j'aurais souhaité la paix et j'aurais rappé dix minutes." Das soll in dieser Intensität erst einmal jemand nachmachen.
8 Kommentare
Öh, ja. Die Rezensentin kann französisch. Ich bin ehrlich beeindruckt.
diese platte hat mir wieder mal schmerzhaft vor augen geführt, wie verrottet mein französisch wirklich ist.
Diam's ist ein alter Hut. Komm rüber zur anderen Seite, Dani.
Naja, also eine Rapperin von einer Redakteurin bewertet. Das kann ja in keinster Weise intersubjektiv sein. Da gab es bestimmt ein paar Solidaritätspunkte
Aber im Ernst, klingt zwar gut, aber da ich des Französischen nicht mächtig bin ist französischer Rap größtenteils an mir vorbeigegangen. Werde nichtsdestotrotz mal reinhören. Danke
@BrickTop (« Diam's geht schon klar, leider werden nur die wenigstens französischen Rapper in Deutschland wahrgenommen. »):
ich sag nur stress. der kerl kann mir sogar die französische sprache, die ich sonst so verabscheue, wohltuend für den gehörgang machen.
neustes album hier kann ich nicht bewerten, da noch nicht gehört. aber meiner meinung nach hat sich leider auch bei ihr ein negativer hang zu meinstreamtauglicher musik entwickelt. was in diesem zusammenhang bedeutet, dass ecken und kanten, welche es imho braucht, verloren gehen bzw gingen.
dasselbe gilt für stress. seine früheren lps gefallen mir da frisch und frech produziert etc. heute versucht er nur noch zu polarisieren und mucke stampft nur noch seicht daher. (an dieser stelle möchte ich das frühere stress-projekt "double pact" erwähnen, welches sehr gelungene kompositionen auf die beine stellte)
nun ja im allgemeinen kann ich jedem der etwas mit französischem hiphop am hut hat oder kennenlernen möchte noch mafia k1 fry empfehlen. harter guter französischer rap, so wie er sein sollte.
(btw ziemlich offtopic mein beitrag aber ja da so wenig franzosenhopplatten rezensiert werden, wurde ich genötigt meinen (zu dieser platte unqualifizierten) senf hinzuzugeben.