Ikke Hüftgold - " Nummer Eins"

"Warum gibt es keine Diversität in den musikalischen Beiträgen? Der ESC ist doch eine Chance, allen Musikrichtungen, die in Deutschland populär sind, mal eine Plattform zu geben. Jetzt passiert das endlich mal. So kommentierte Matthias Distel, auch bekannt als Ikke Hüftgold seine diesjährige Teilnahme beim deutschen Vorentscheid des Eurovision Song Contests (ESC). Seine treue Fanbase hatte ihm die Teilnahme am Wettbewerb durch ihre rege Beteiligung an einem TikTok-Voting ermöglicht.

Vom ESC ist man zwar so einiges an flachen Musikbeiträgen gewohnt, Hüftgolds Lied sorgte dennoch für Irritationen, insbesondere beim ehemaligen ESC-Kommentator Peter Urban. Dabei war der Inhalt von Ikkes "Lied Mit Gutem Text" im Vergleich zu seinem üblichen Repertoire eher brav.

Der Songtext ist Hüftgolds ironische Antwort auf seine zahlreichen Kritiker: "Wir brauchen endlich mal ein Lied ohne Saufen. Wir brauchen endlich mal ein Lied ohne Sex. Wir brauchen endlich mal ein Lied ohne Drogen. Endlich mal ein Lied mit gutem Text". Niveaulose Texte über Saufen, Sex und Drogen sind normalerweise sein Metier. Hüftgold singt nicht nur, sondern produziert auch: Als Produzent des kontroversen Sommersongs "Layla" (2022) von DJ Robin und Schürze verzeichnete er große Erfolge, der Song hielt sich wochenlang auf Platz 1 der deutschen Single-Charts.

Wer dem Ballermann-Schlager-Genre irgendetwas abgewinnen kann, dürfte sich auch über Hüftgolds "Nummer Eins" freuen, eine Mischung aus "Best-Of"-Platte und neuen Songs. Auf dem Album-Cover wirkt Hüftgold mit seiner Perücke wie eine von Goldfarbe beträufelte Kreuzung zwischen Homer Simpson und einem Monchhichi.

Das "Lied Mit Gutem Text" fehlt. Von einem guten Text auch nur zu reden, ist auf "Nummer Eins" das letzte unberührte Tabu. Mit jedem der vorhandenen Tracks überschreitet Ikke die Grenzen des guten Geschmacks. Die derben Songtexte wachsen nicht über den Humor eines Fünftklässlers hinaus. Dröhnende Bässe, stampfende Beats und schlichte Synths wummern so penetrant, dass man fürs Kopfweh keinen Kater mehr braucht.

Die Radiohits "Bumsbar" und "Ich Schwanke Noch" sind gleich zweimal vertreten, in unterschiedlichen Versionen. Letzterem gibt er einen Metal-Anstrich, ein kleiner Flashback zu den Tagen, als er noch in Rockbands spielte. In "Never Ever Nüchtern" experimentiert Hüftgold mit Country-Elementen. Im Techno-inspirierten Track "Igel" übernimmt Vanessa Mai den Lead-Gesang: "Scheiß auf dein Pferd, ich will 'nen Igel, denn so ein Igel, der kann fliegen. Kuschelig, so kuschelig. Geschmeidig ist der Igel nicht. Doch er kann fliegen wie der Vogel im Wind. Ja, er kann fliegen wie das himmlische Kind."

Im Frühjahr schaffte es Hüftgold beim ESC-Vorentscheid immerhin auf den zweiten Platz. 2024 will er, trotz heftiger Schimpftiraden auf die Verantalter der Show, erneut antreten. Allerdings ist bislang unklar, für welches Land er sich dieses Mal bewerben möchte.

Hierzulande mangelt es ihm jedenfalls nicht an begeisterten Hörern. Bei ihnen bedankt sich der Sänger in seiner Kurzbio auf Spotify: "Mit erhobenem Mittelfinger als Zeichen der gegenseitigen Wertschätzung, immer respektvoll, immer friedlich und mindestens mit 2 Promille, reißen wir nun schon seit Jahren sämtliche Locations ab! Dafür verneige ich mich vor euch! Ihr seid mein Motor, meine Inspiration, mein Antrieb, diesen manchmal sehr leberzirrhosigen Weg noch ein paar Jahre mit euch weiter zu gehen!" Mit erhobenem Mittelfinger vergebe ich einen von fünf Sternen und bedauere, dass unser System keine geringere Bewertung zulässt.