laut.de-Kritik
Das verlorene Debüt als Fragment einer fehlgeleiteten Karriere.
Review von Mirco LeierDie Karriere von Kim Petras dient sowohl als unvergleichliche Erfolgsgeschichte wie auch als tragisches Paradebeispiel dafür, wie schnell die Mühlen der Musikindustrie genuines Talent pulverisieren. Ihr großer Popstar-Traum führte Kim Petras vom Studioboden zur Grammy-Verleihung, doch auf dem Weg dahin wurde aus einer der aufregendsten Talente der letzten Dekade eine der uninteressantesten Stimmen der Gegenwart. Die Schuld an Petras' verkorkster Karriere nur den Executives in die Schuhe zu schieben, wäre in diesem Fall jedoch zu einfach.
Eine kleine Geschichtsstunde: Nachdem es Petras mit gerade mal 18 Jahren in die USA zieht, weil ihre Songs deutschen Labels zu 'amerikanisch' klingen, schlägt sie sich sechs Jahre mit Songwriting-Gigs durch, bis sie 2017 endlich mit ihrer eigenen Musik Fuß fasste. Song für Song generierte sie mehr Aufsehen im Untergrund und scharrte eine treue Fanbase um sich, die sie für ihren knallpinken Bubblegum-Pop regelrecht anhimmelte. Ihre Musik bekannte sich zum Kitsch und zum Eskapismus, der der Popmusik zu dieser Zeit so sehnlichst fehlte, und avancierte damit parallel zu der aufkeimenden Hyperpop-Bewegung zu einer der spannendsten Newcomerinnen.
Von da an nahm ihre immer mehr an Momentum gewinnende Karriere jedoch relativ schnell einige fragwürdige Abzweigungen. 2021 unterschrieb sie bei Republic Records, die unter Führung von Dr. Luke alles dransetzten, aus der deutschen Sängerin einen waschechten Star zu machen. Ihr eigentliches Debüt "Clarity" wurde aufgrund schlechter Verkaufszahlen unter den Teppich gekehrt und zum Mixtape degradiert, es musste ein großes Statement her. Die großartige Single "Future Starts Now", mit der Petras auf den durch die Charts rasenden Synthpop-Hypetrain aufspringt, soll auf ein Konzeptalbum mit dem Titel "Problématique" hinweisen, Petras "offizielles" Debüt.
Da jedoch auch die Follow-Single "Coconuts" floppt, bleibt das Projekt vorerst unter Verschluss. Stattdessen ändert Petras ihre gesamte Ästhetik und veröffentlicht aus dem Nichts eine EP mit dem Titel "Slut Pop", die schamlos die hypersexualisierte Musik von Artists wie Ayesha Erotica oder Slayyyter zu kopieren versucht, scheitert damit allerdings kläglich. Nicht einmal ihre überwiegend queere Fanbase konnte mit diesem fehlgeleiteten Marketing-Move etwas anfangen. Stattdessen wurde erneut Kritik laut, wieso Petras weiterhin mit Dr. Luke zusammenarbeitet.
Petras verteidigte Luke (der Titel von "Problématique nutzt diese Kontroverse sogar als Punliche), aber äußerte zu diesem Zeitpunkt selbst immer wieder Kritik am Weg, wie ihr Label mit ihrer Musik umging. Diese Kritik verebbte jedoch schnell, als ihre Sam Smith-Kollaboration "Unholy" durch die Decke ging. Da war er endlich, ihr Moment im Rampenlicht. Nicht nur schaffte es Petras bis an die Spitze der Charts, sie heimste für den Song auch als erste geoutete Transfrau einen Grammy ein. Für ihr Label Anlass genug, ihr auf Halde geparktes Debüt komplett zu verwerfen und ein neues, massentaugliches Produkt aus dem Boden zu stampfen, schließlich war Kim Petras ja jetzt ein Superstar.
Doch damit überschätzten sie den Einfluss, den die Wahl-Amerikanerin auf den Erfolg von "Unholy" tatsächlich hatte, um ein Vielfaches. Die Album-Promo schlachtete jede Single über Wochen und Monate aus und versuchte aus jeder Hook und jedem Sample einen viralen Moment zu erzwingen, ohne wirklichen Erfolg. Die erste Single performte so schlecht, dass sie es später nicht mal mehr aufs Album schaffte und "Alone" peakte jeglicher Mühe, einen TikTok-Trend heraufzubeschwören zum Trotz, auf Platz 55. Als "Feed The Beast" im Juni diesen Jahres dann tatsächlich erschien, geschah dies letzten Endes ohne viel TamTam und zu einer müden Resonanz, sowohl seitens Kritiker*innen als auch ihrer Fans.
Damit wären wir wieder in der Gegenwart angekommen, wo man den großen Plan, Kim Petras zum Megastar zu machen, als endgültig gescheitert einstufen muss. Auch ihr Label muss diesen Traum aufgegeben haben. So kommt es, dass das ohne jegliche Ankündigung von Fans so sehr herbeigesehnte "Problematique"-Album an einem Montagmittag auf sämtlichen Streaming-Plattformen aufploppt.
Es wirkt wie ein nachträgliches Eingeständnis, dass man falsch lag, dass man die Ambitionen zu hoch steckte. Ein "Sorry" an ihre alten Fans, die sich, seit das Originalalbum vor über einem Jahr leakte, selbst ein Bild davon machen konnten, wie katastrophal man eine Karriere an die Wand setzen kann. Denn selbst in der aktuell veröffentlichten Fassung offenbart sich ein Qualitätsunterschied wie Tag und Nacht zu nahezu allem Material, das Petras in den letzten Jahren veröffentlichte.
Wo ihr offizielles Debüt sich an jedem Sound versuchte, der irgendwie für Aufmerksamkeit sorgen könnte, trägt "Problématique" ein deutlich engeres musikalisches Korsett. Die LP orientiert sich am Dance-Pop und Disco-Sound der 90er und frühen 2000er und spielt ihn relativ schnörkellos, was in diesem Fall absolut als Kompliment zu verstehen ist. Der Style ist hier die Substanz. Petras glänzt, wenn sie sich voll und ganz dem Kitsch und dem Pomp der Popmusik hingibt, und jene sinnliche und knallpinke Welt materialisiert, in die sie selbst als Teenagerin flüchtete.
Diese Scheinwelt dreht sich um nichts anderes als Liebe und Diamanten. Petras verbringt einen Großteil der LP damit ihre Lieblings-Designermarken aufzuzählen, und trägt Lovesongs wie "Je T'Adore" oder "Dirty Things" mit einem solch mädchenhaften Pathos vor, dass einem der Traumprinz auf weißem Ross förmlich durch die Boxen zueilt. In dieser Welt braucht sie kein Label, dass sie bis an die Spitze trägt, da ihr ohnehin die gesamte Welt zu Füßen liegt.
Die Inklusion einer Paris Hilton erscheint da eigentlich nur logisch. Wenn die beiden auf dem Album-Highlight "All She Wants" zu nostalgischen Synths den Prada-Store plündern, dann feuern alle Endorphin-Rezeptoren aus vollem Rohr. “All she wants is more, more, more.”: Die Art, wie die beiden hier mit beiden Händen ihr Geld zum Fenster rausschmeißen, driftet schon fast ins Cartoonhafte ab und verkauft in der Folge auch mehr die von Karat geblendete Fantasie von Reichtum als die vielleicht nicht immer sonnige Realität. Ein Pop-Song, wie er auch aus der Feder von Barbie stammen könnte.
Songs wie "Dirty Things" oder "Born Again" mögen in Anbetracht eines Referenzwerks wie "Future Nostalgia" den Disco-Retrosound vielleicht mit weniger Bombast aufarbeiten, aber sie fügen ihm dennoch eine eigene Note hinzu, der sich vor allem inder französisch angehauchten Instrumentierung niederschlägt, deren Synth-Lines an die poppigeren Karriereenden von Daft Punk oder Justice erinneren. Doch auch Petras Hooks zünden auf den genannten Songs, aber auch auf dem Rest des LPs so effektiv wie schon lange nicht mehr. Dabei musste man sich auf "Feed The Beast" ja wahrlich schon Sorgen machen, dass die Kölnerin selbst diese Kernkompetenz ihrer Musik verlernte.
Das alles macht "Problématique" dennoch nicht zu dem Meisterwerk, zu dem es ihre Fanbase angesichts der Leaks über die Jahre stilisierte. Man hört dem Album an, dass die Arbeit daran nie wirklich abgeschlossen war. Während viele der besten Demos fehlen, klingt ein Großteil der zweiten Hälfte etwas wild zusammengeworfen. "Treat Me Like A Ho", das rückblickend wohl die Initialzündung für "Slut Pop" darstellte, sticht als besonders schreckliches Negativbeispiel hervor. Auch "Something About U" und "Deeper" spielen es Stück zu safe und bremsen die LP unnötig aus.
Dennoch: Man hört hier eine musikalische Identität heraus, einen musikalischen roten Faden, der einem in seinem besten Moment wieder vor Augen ruft, wieso die Musik dieser Frau einmal für so viel Begeisterung sorgte. "Problématique" hätte jede Sekunde der Mühe verdient gehabt, die Petras' Label darin investierte, sie für eine breitere Masse zu vermarkten. So bleibt das Album lediglich ein Echo aus der Vergangenheit, eine Fußnote von einem Traum, der vielleicht nicht geplatzt ist, aber definitiv Spuren hinterlassen hat.
5 Kommentare mit 3 Antworten
Ist unspannend genug um im Radio rauf und runter gespielt zu werden, ist dadurch aber auch ohne Alleinstellungsmerkmal. Dafür hätte sie auch in Deutschland bleiben können.
Der letzte Absatz fassts eigentlich perfekt zusammen. Um längen besser als 'Feed the beast', aber es fehlt hier noch der Feinschliff -hauptsächlich auch wegen der tatsächlich nicht so geilen zweiten Hälfte. 'Born again' einer ihrer besten songs bisher, wiso 'Future starts now' (ihr bester song) vom Album genommen wurde bleibt mir ein Rätsel.
Hach ja, Musikindustrie. Schöne Aufarbeitung. Da lief wirklich alles schief, was schief laufen kann, und man denkt an die kleine Indieelektroband, deren Sänger irgendwann besoffen vor einem Kölner Punkschuppen referierte "also es ist kein Welthit, aber dafür findens nicht alle geil ausser mir".
Leider wird sie sich nicht mehr im obersten Regal breit machen, dafür ist zuviel falsch gelaufen. Bleibt zu hoffen das sie 'dennoch 'ne ordentliche Karriere hinkriegt und der Grammy nicht ein Ausrutscher war.
Da muss man jetzt natürlich mit der gebotenen Vorsicht kommentieren, weil Laut.de sehr strikt ist wenn man falsche Dinge sagt!
Ist ja auch richtig so, denn es soll hier ein sicherer Platz für alle sein, nicht dass aus einer Mikro-Aversion plötzlich eine Makro-Aggression wird!
Hat übrigens mal jemand geschaut was der böse Anwalt so macht, der sah auf Facebook auch neulich etwas ungewohnt aus?
Lösch dich, du rechter Spinner.
Mirko-Aversionen haben wir hier reichlich.
Aber was würde aus laut.de, wenn sich die zwei Dutzend verbliebenen Stammgäste auch noch selbst löschen würden?
Bin hier übrigens extra gekommen zu schauen ob ich schon gelöscht wurde!