In einer Liebeserklärung in Text und Bildern entschlüsselt der Autor das Genre und findet: "Leidenschaft, Melancholie und Lebensfreude aus Frankreich".

Konstanz (giu) - Was ist der Unterschied zwischen Schlager und Chanson? Eine kurze Suche zu Büchern über beide Genres ergibt einerseits "Das Schlager-Kult Buch" (2005, quietschbunt, vergriffen), "Schlager. 100 Seiten" (2017, Reclam) und die "Die 100 Schlager des Jahrhunderts (2008, Europäische Verlagsanstalt), und andererseits das vorliegende Werk "Chanson" von Olaf Salié (erschienen bei Prestel, "der internationale Bildband-Verlag für Kunst, Fotografie, Architektur, Design, Mode und Lifestyle", wie er sich selbst bezeichnet).

Letzteres ist mit 50 Euro teurer als die drei Schlager-Bücher zusammen. Das eine Genre ist Samstagabendmusik zum Einlullen, das andere "Liebe und Revolution, Nostalgie und Heimat, Spott auf die Bourgeoisie und immer wieder Paris", wie der Text auf der Innenseite zusammenfasst.

Französische Leidenschaft und deutsche Gründlichkeit

Mit französischer Leidenschaft und deutscher Gründlichkeit nimmt sich der Berliner Autor und Publizist des Themas an. Während seine Jugendfreunde in den 1980er Jahren zu Madonna und Michael Jackson tanzten, entdeckte Salié auf einer Kassette, die ihn ein Onkel geschenkt hatte, Edith Piaf.

"Ich sprach damals noch kein Wort Französisch, aber es ging mir wie vielen, die zum ersten Mal Piaf hören, man kennt die Worte nicht und versteht doch alles. Diese große, stahlharte Stimme, die nicht brechen will, soweit sie auch trägt, und so leidenschaftlich sie auch ausholt, mit dieser unverwechselbaren Kraft und Intensität sang sie von Dingen, von Zuständen der Seele, die ein Junge von 14 Jahren noch nicht wissen konnte. Aber sie nahm mich an die Hand und führte mich erstmals ein kleines Stück hinaus aus der sehr behüteten Welt, in die ich hineingeboren wurde und die eine solche Leidenschaft, die sich in der Musik von Edith Piaf offenbarte, nicht erlebt hatte", erklärt der Autor im Vorwort.

Ein Teil der Kultur

Aus der Liebe zu Piafs Stimme erwuchs eine Liebe zum Chanson im Besonderen und zu Frankreich im Allgemeinen, der er nun dieses schöne Band mit vielen Bildern widmet, allen voran das Porträt Jacques Préverts, das Robert Doisneau erstellte. Nun könnte man einwenden, dass Prévert kein Chansonnier, sondern vor allem ein Dichter war, doch eine Stärke von Saliés Ausführungen besteht gerade darin, den Chanson in einen größeren Kontext zu setzen, als Teil der französischen Kultur und mit all den Wechselwirkungen, die sich daraus ergeben. Dazu gehört, dass erlauchte Schriftsteller und Denker den Chanson schätzten. So schrieb Prévert mit "Les Feuilles Mortes" einen Klassiker, den unter anderen Juliette Gréco oder Yves Montand interpretierte und der als "Autumn Leaves" zu einem Jazzstandard wurde.

Einer der frühen großen Stars war ausgerechnet eine Amerikanerin, Josephine Baker. Sie stellt als Star des Revuetheaters eher die frivole Seite des Chansons dar. Ihre Bedeutung misst sich aber auch daran, dass sie am 30. November 2021 als erste schwarze Frau ins Panthéon aufgenommen wurde, die nationale Ruhmeshalle, in der neben vielen anderen Voltaire, Jean-Jacques Rousseau, Victor Hugo und Marie Curie bestattet sind.

Von Aznavour bis Zaz

Im Buch dagegen findet sich Baker neben all den großen Namen des Chansons wieder. Salié teilt sie grob in Generationen ein, unter ihnen all die bekannten Namen wie Charles Aznavour, Barbara, Jacques Brel, George Brassens oder Serge Gainsbourg. Mit Benjamin Biolay oder Zaz sind auch zeitgenössische Chansonniers vertreten. Zum Schluss wagt Salié sogar einen Blick in die Zukunft. Deren Name könnte Vincent Delerm lauten, als Jahrgang 1976 ist er aber auch nicht mehr der Jüngste, möchte man einwenden.

Den längsten Abschnitt widmet er natürlich Piaf. Das Foto von Marlene Dietrich auf ihrer Beerdigung 1963 gehört zu den schönsten in einem Buch, das immer wieder den Weg aus dem Bücherregal auf den Tisch findet und betrachtet werden mag, am besten zur passenden Musik.

Liebe, Revolution und ewige Klassiker

Auf den letzten Seiten hat Salié netterweise eine Playlist zusammengestellt, unterteilt in Themen wie "Liebe", "Revolution" oder "Ewige Klassiker". Dabei lässt sich über einen Satz im Vorwort sinnieren, der das Vorhaben gut zusammenfasst:

"Jenseits der Grenzen von Banalität und Enge legt das Chanson ein Vergrößerungsglas über die Dinge des Lebens, die wirklich zählen. Über die Gefühle etwa, denn es geht um Liebe in all ihren Aggregatzuständen, über Zorn, Verzweiflung, Sehnsucht und Glück. Es geht um die Schönheit der Welt in all ihrer seltsamen Undurchschaubarkeit und immer wieder um das, was zu den wohl französischsten Themen schlechthin gehört: Freiheit. Jedes Chanson ist eine kurze Lektion über das Leben und transportiert eine kleine oder große Idee unserer Existenz."

Das kann man vom Schlager kaum behaupten.

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