Die aus einem Podcast entstandene Doku-Reihe erzählt eine kleine Geschichte der Popmusik anhand einzelner Songs. Seit kurzem ist die zweite Ausgabe mit Dua Lipa, The Killers und NIN verfügbar.
Konstanz (sco) - In den letzten Jahren sind viele vor allem junge Leute erstaunlich aufmerksame Zuhörer geworden. Millionen von Menschen verfolgen etwa "Gemischtes Hack" oder "Fest und Flauschig" und dürfen sich dadurch in einer sehr einseitigen Freundschaft mit Tommi Schmitt und Felix Lobrecht, respektive Jan Böhmermann und Olli Schulz wähnen.
Zwei Kerle quatschen, über dies und jenes, mal Banales, mal gesellschaftlich Relevantes, meist ohne klaren Fokus – dieses augenscheinlich Nebensächliche haftet dem Format Podcast ein wenig an, weshalb es für die Mehrheit wohl immer noch eher nischig wirkt. Klar, daneben gibt es diese Verbrechen-Formate, vor allem im Crime-geilen Deutschland, in denen Kriminalfälle als Ohrenschmaus aufbereitet werden. Aber wer weder auf Quatschen noch auf Mord steht, für den scheint es im Podcast-Feld nicht viel zu geben.
Man darf dem Streaming-Dienst Netflix also dankbar für seine Experimentierfreude sein, denn seit 2020 wird dort der großartige Podcast "Song Exploder" adaptiert und so hoffentlich einem noch breiteren Publikum bekannt. Seit 2014 dekonstruiert der Amerikaner Hrishikesh Hirway pro Episode jeweils einen Song seiner musikalischen Gäste.
Ursprünglich noch mit Indie-Größen wie The Postal Service oder Spoon, inzwischen mit den ganz großen Popstars, also Dua Lipa oder Billie Eilish. Auf Netflix gibt es seit dem 15. Dezember nun die vierteilige, zweite Ausgabe der Serien-Adaption, diesmal mit The Killers, Nine Inch Nails, der Mexikanerin Natalia Lafourcade und der bereits erwähnten Dua Lipa.
Wie fast alle Netflix Originals ist die Serie ausgesprochen stylisch geraten. Interview-Shots wechseln sich mit Studio-Aufnahmen, Archiv-Material, Live-Auftritten und kleinen Animationen ab. Inhaltlich ist "Song Exploder" allerdings im Podcast-Format noch besser aufgehoben, weil die geschniegelten Netflix-Bilder hier teilweise eher ablenken. Dieses Style over Substance-Denken ist man von anderen Netflix-Produktionen bereits gewöhnt und kann sich visuell in jedem Fall berieseln lassen. Nichtsdestotrotz ist es eine große Freude, Musiker*Innen über ihre Songs schwärmen zu hören, auch weil in den aufwändigeren Netflix-Folgen viel mehr noch die sonst eher im Schatten stehenden Co-Songwriter ins Rampenlicht geholt werden. So etwa bei Dua Lipa, die mit Hirway über ihren Song "Love Again" spricht.
Gerade bei Stars wie Lipa ist es erfrischend zu merken, wie viel Leidenschaft auch bei großen Pop-Produktionen in die Stücke fließt und dass heutige Hits nicht nur aus von irgendwelchen Algorithmen zusammengerechneten Versatzstücken bestehen. Neben Lipa kommen auch Produzent Stephen Kozmeniuk, kurz Koz, und die beiden Co-Songwriter Clarence Coffee Jr. und Chelcee Grimes zu Wort. Die Folge zeigt im Grunde auf, dass selbst auf dem Pop-Olymp nur mit Wasser gekocht wird - mal abgesehen vom teuren Musik- und Studio-Equipment.
Am Anfang der Produktion sitzen irgendwo Songwriter mit einer Gitarre, einer hängt drei Akkorde aneinander, dann findet man Gesangsmelodien und den Text. Auch wenn am Ende nur der Name Dua Lipa vor dem Song steht, das macht die Folge deutlich, ist "Love Again" eine Gruppenarbeit. Von Koz stammte die Idee, die Disco-Geigen zu integrieren und Coffee brachte ein Sample des Songs "My Woman" von Al Bowlly aus dem Jahr 1932 ein. Am Ende jeder Episode hört man den zuvor zergliederten Song dann in Gänze.
Die recht kurz geratene Episode mit The Killers lässt Brandon Flowers und Kollegen auf ihren Song "When You Were Young" zurückblicken. Die Erzählungen der aus Las Vegas stammenden Band werden stellenweise und einigermaßen uninspiriert, weil allzu naheliegend untermalt mit Bildern der Wüste von Nevada und der Glücksspiel-Stadt selbst. Was Flowers und Drummer Ronny Vannucci zu erzählen haben, ist dafür umso spannender. "When You Were Young" steht in der Bandhistorie wohl stellvertretend für das Wissen, dass sie dem Hype, den sie seinerzeit mit dem Debütalbum "Hot Fuss" erzeugt hatten, gerecht werden würden. Hirway selbst bringt die Musiker*Innen zwar zum Reden, stellt die richtigen Fragen, drängt sich allerdings nie selbst in den Mittelpunkt.
Trent Reznors Episode ist deutlich düsterer und melancholischer gehalten, als die beiden davor, der Nine Inch Nails-Kopf erklärt die Geschichte hinter "Hurt". Die Episode glänzt vor allem durch das Kontrastieren der kürzlich entstanden Interviewaufnahmen mit Archiv-Material, das den jungen Reznor zeigt. Der Musiker wirkt heute ausgeglichen und klar, fast schon altersweise, während man ihn in jungen Jahren vor allem betrunken sieht, gerne auch, wie er gerade auf der Bühne Instrumente zerschmettert. Immer wieder konfrontiert Hirway die ihm gegenüber Sitzenden mit Stems der Stücke, also isolierten Spuren der Songs, beispielsweise nur dem Gesang. Hier ergänzt der visuelle Aspekt das Format wunderbar, weil es immer wieder spannend ist, die Gesichter der Musiker*Innen dabei zu beobachten, besonders, wenn die Entstehung der Songs weit zurück liegt. Durch Reznors ruhige, eindringliche Sprechweise gerät diese Episode erstaunlich emotional, vor allem, wenn er über das Cover von Johnny Cash spricht, das seinen Song unsterblich gemacht und ihm neues Selbstbewusstsein verliehen hat.
Dass Hirway aber nicht nur bekannte MusikerInnen gut in Szene setzt, sondern auch Interesse an (in Deutschland) weniger berühmten KünstlerInnen weckt, beweist schließlich die Episode über die gefeierte mexikanische Sängerin Natalie Lafourcade. Angepasst an den vorgestellten Song "Hasta La Ruiz" wirkt die Episode sehr dynamisch, zeigt Lafourcade mit ihrer Familie, das lebendige Mexiko und untermalt ihre Erzählung im Allgemeinen mit prägnanten Bildern. Hier gelingt die Kombination aus Ton und Visuellem am Besten. Am Ende beschreibt Lafourcade selbst, was einem diese Folge aufzeigen kann, wenn sie über eine Auszeit in Kanada spricht: "Wow, there's a whole world out of my world!".
"Song Exploder" funktioniert insgesamt also als Netflix-Serie wunderbar, dient hoffentlich vor allem aber auch dazu, den Podcast schmackhaft zu machen. Hirway und seinem Team gelingt es fast immer, den Gästen Interessantes zu entlocken, ihre Erzählungen ansprechend zu strukturieren und ihre Leidenschaft für Musik zu transportieren und so geraten sowohl Serie als auch Podcast zu einer kleinen Geschichte der Popmusik anhand einzelner Songs. Netflix bietet sowohl deutsche Vertonung, als auch Untertitel an. Den Podcast kann man über Apple Podcasts, Spotify oder die Platform Radiopublic hören.
1 Kommentar mit 2 Antworten
Die Killers und Nine Inch Nails Folgen haben mir sehr gut gefallen. Es ist mir nahe gegangen zu sehen, an was für einem düsteren Ort sich Trent damals befand aber es freut mich sehr, wie in sich ruhend und zufrieden er heute zu sein scheint. Schön auch, dass Flood und Alan Moulder in beiden Episoden zu Wort kommen.
Natalia Lafourcade kannte ich bis dato noch nicht, ihre Episode finde ich auch faszinierend.
Nur die Dua Lipa-Folge fand ich trotz meiner Bewunderung für sie ernüchternd. Es ist mir klar, dass Dua an ihrer Musik nur wenig selber schreibt und wenn mir die Musik gefällt, ist es auch egal, wie viele Leute daran mitgeschrieben haben aber ich muss schon zugeben, dass das etwas von der Magie wegnimmt konkret zu sehen, wie gering ihr Beitrag am Songwriting letztlich wirklich ist.
Aber insgesamt ein schönes Format, gerne mehr davon.
Sowas hat auch immer zwei Seiten. Wäre er nicht an dem Ort gewesen gäbe es Downward Spiral nicht. Und Kurt Cobain könnte auch noch leben, wenn er kein dorgensüchtiger Depri gewesen wäre. Aber hätte es dann Nirvana gegeben?
Ich will damit sagen, wir Konsumenten laben uns doch an den schlechten Zuständen der Künstler. Als Amy sang, dass sie nicht in Rehab gehen wird fanden das auch alle toll und haben sie beklatscht, weil, man will ja unterhalten werden. Wenn sie aber dann wirklich kaputt ist, will keiner Verständnis haben oder alle sind auf einmal schockiert. Es gab glaub ich mal eine South Park Folge mit Brittney Spears, da wurde das sehr gut thematisiert.