laut.de-Kritik

Dem "Teen Spirit" der 60-Jährigen fehlen Energie und Weltschmerz.

Review von

Aus der Dunkelheit schleicht sich ein Bass an. Die leise gezupften Töne verbreiten Beklemmung. Die Stimmung erinnert an Griegs "Peer Gynt Suite". Zwei glockenklare Gitarrentöne schneiden ein Loch in die Atmosphäre, zerteilen, zerhacken sie geradezu martialisch, obwohl sie von der Lautstärke her Leichtgewichte sind. Dann setzt ein Banjo im Shuffle-Feel ein, der Wind hat sich gedreht - jetzt klingt's klingt nach Cocktail und nach lauer Abendluft am Strand.

Aber es ist nicht der Buena Vista Social Club, der hier "Smells Like Teen Spirit" schrubbt, sondern Patti Smith. Ohne Weltschmerz in der Stimme, wirft sie monotone Laute aus - die Nummer ist verschenkt.

Frisch in der Hall of Fame angelangt, bastelt Smith sich mit "Twelve" eine eigene kleine Galerie des Notwendigen. Zwölf Coverversionen großer Songs von den Beatles, The Doors, Jimi Hendrix und den Stones, sprich: von so ziemlich jedem, der in der Rockgeschichte einen unvergänglichen Platz besitzt oder ihn besitzen sollte - auch Nirvana. Ein solches Vorhaben kann scheitern. Bei Patti Smith war ich mir sicher, dass es klappt, Covern gehörte schließlich schon immer zu ihren Shows. Aber Pustekuchen!

Jimi Hendrix war die pure Energie, seine Gitarre schien Funken zu versprühen, wenn er es mit ihr machte. Smith hat sich "Are You Experienced?" von ihm ausgesucht und es gleich an den Anfang von "Twelve" gestellt. Sie hat es jeglicher Energie beraubt und in ihr persönliches Folk-Rock-Schema gepresst, in das der Song einfach nicht hinein passt. Leblos schleppt er sich dahin wie ein Trauerzug auf dem Weg zum Grab. Er klingt leer, karg und abwesend, wie die Gedanken der Trauernden.

"Everybody Wants To Rule The World" intoniert sie dagegen sehr souverän und auch recht nah am Original. Schön fürs Radio. Nervöse Klaviertöne stehen am Beginn des letzten Songs des Albums. Sofort sind Assoziationen da: Pfeifenputzerhaare, irrer Blick, Coolio. Was hat der denn da zu suchen? Klar, er hatte seine Hookline zu "Gangster's Paradise" auch schon gezockt - von Stevie Wonders "Pastime Paradise". Patti Smith macht es zu einer fluffigen Nummer, die weder verärgert, noch vom Hocker reißt.

Smith legt mit "Twelve" eine Platte in der für sie typischen, melancholischen Folk-Klangfarbe vor, allein die Überzeugungskraft fehlt. Es ist wie eine Brühe, der Salz fehlt - ein Lammfilet ohne Rosmarin. Der Kick bleibt aus, die meisten Songs klingen nicht nach lustvollen Sessions, sondern nach mühsamem Erreichen des Zielstriches beim Marathon. Smith scheint es durchzuziehen, weil sie es sich vorgenommen hat. Diesem Album fehlt die orgiastische Chaos-Energie der frühen Patti Smith.

Trackliste

  1. 1. Are You Experienced?
  2. 2. Everybody Wants To Rule The World
  3. 3. Helpless
  4. 4. Gimme Shelter
  5. 5. Within You Without You
  6. 6. White Rabbit
  7. 7. Changing Of The Guards
  8. 8. The Boy In The Bubble
  9. 9. Soul Kitchen
  10. 10. Smells Like Teen Spirit
  11. 11. Midnight Rider
  12. 12. Pastime Paradise

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5 Kommentare

  • Vor 17 Jahren

    Zitat (« Frisch in der Hall of Fame angelangt, bastelt Smith sich mit "Twelve" eine eigene kleine Galerie des Notwendigen. Zwölf Coverversionen großer Songs von den Beatles, The Doors, Jimi Hendrix und den Stones ... »):
    "Within you without you" ist also einer der großen Songs der Beatles?
    Drolliger Einfall, alle Achtung ...!
    Wie dem auch sei, mindestens Bob Dylans "Changing Of The Guards" ist eine denkbar ausgefallene Wahl - wobei es diese Rezension ja sogar schafft, diesen Song nicht mit einer Silbe zu erwähnen, auch wenn es sich dabei um einen der besten Songs des Albums handelt.
    Zitat (« Sie hat es ["Are You Experienced?"] jeglicher Energie beraubt und in ihr persönliches Folk-Rock-Schema gepresst, in das der Song einfach nicht hinein passt. (...)
    Diesem Album fehlt die orgiastische Chaos-Energie der frühen Patti Smith. »):
    Selbstverständlich fehlt diesem Album "die orgiastische Chaos-Energie der frühen Patti Smith". Nur wäre diese hier auch vollkommen fehl am Platze.
    Man stelle sich einmal vor, Patti Smith hätte hier ein Album mit Cover-Versionen à la "Gloria" oder "My Generation" beabsichtigt und sich damit gleich selbst mitgecovert! Das Ergebnis wäre ein Album gewesen, so lächerlich wie diese Rezension ("klingt leer, karg und abwesend, wie die Gedanken der Trauernden."). Tatsächlich ist es so, dass der Rezensent gerne ein Album gesehen hätte, dass sich in das ermüdende Schema "Patti Smith = Patin des Punk" pressen lässt. Pustekuchen!

  • Vor 17 Jahren

    Den ganzen letzten Abschnitt sehe ich ziemlich ähnlich.

    Hinter den Spirit dieses Dylan-Titels komme ich vielleicht noch.

    Das Tears For Fears-Ding ist wirklich definitiv unnötig.

    @felixthecat hat sich nicht an die Konvention gehalten Threadtitel = "Band/Künstlername Leerzeichen Strich Leerzeichen Albumtitle". Nun haben wir dank der neuen Automatik zwei Threads. Warum kann man nicht einfach schreiben: "Sag Deine Meinung" und das dann zur Forums-Anmeldung verlinken. Einen kleinen, kleinen Moment lang schauen lassen, wer worüber und wie diskutiert. Ist das so unzumutbar?... :rayed:

    --> http://forum.laut.de/viewtopic.php?t=45357

  • Vor 17 Jahren

    wow- ich hab den thread vor der rezension aufgemacht. tut mir entsetzlich leid, wenn ich konventionen verletzt habe...

  • Vor 17 Jahren

    @Yanni (« Tatsächlich ist es so, dass der Rezensent gerne ein Album gesehen hätte, dass sich in das ermüdende Schema "Patti Smith = Patin des Punk" pressen lässt. »):

    .. welches ja noch nicht mal das Wesentliche wiedergäbe. Patti Smith ist bekanntermaßen eine faszinierende Dichterin, selbst ohne einen Ton Musik vom Range eines Rimbauds oder Baudelaires. Davon mal abgesehen hat sie mit dem Mapplethorpe-Foto auf ihrem Debüt-Album auch noch ein Stück Design-Geschichte mitgestaltet. Das umgestaltete Tambourin auf dem CD-Cover ist übrigens ein Geschenk Mapplethorpes zu ihrem 21.Geburtstag.

    "Smells Like Teen Spirit" als Bluegrass-Stück mit Kontrabass und Banjo (gespielt übrigens von Sam Shepard und seinem Sohn) ist in seiner lakonisch-eindringlichen Art für mich schlicht und einfach ein Meisterwerk und wurde mir nach einigem Hören regelrecht unheimlich. Es gibt zwischen den Strophen übrigens eine eingeschobene Passage mit gesprochener Smith-Lyrik, die leider nicht im Booklet abgedruckt ist und auch sonst nirgends nachlesbar scheint, ich hab' sie noch nicht ganz herausgehört, aber allein die Art und Weise dieses magischen Sprechens ist einzigartig.

  • Vor 17 Jahren

    @Yanni (« "Within you without you" ist also einer der großen Songs der Beatles?
    Drolliger Einfall, alle Achtung ...! »):

    Ist er nun wirklich nicht. Mit der Stimme von Patti Smith hört sich das schon anders an. Wobei ich zugeben muss, dass ich ein gewisses Problem mit dieser leicht irrationalen Indien/Tibet-Fixierung habe. Schon beim letzten Album "Trampin'".