laut.de-Kritik

Jetzt klick schon wegen des komischen Bandnamens!

Review von

Bleib ruhig hier! Du hast geklickt und möchtest nun die wirklich schmutzigen Details. Lass dir versichert sein, dass es wirklich ungemütlich wird. War ja eigentlich auch mal so mit Punk und seiner Verweigerungshaltung gedacht und endet heutzutage in Konfetti-Kanonen in den Mehrzweckhallen. Die Misanthropen von Pisse verzichten trotz Szene-Hits wie "Biertitten" auf Vereinnahmung und gehen ihren widerborstigen Weg konsequent weiter.

Dabei ertönen doch schon im Opener "Die fetten Kinder" fiese Signal-Geräusche. Der wirklich allerletzte Warnhinweis an zartbesaitete Gemüter, vor dem kommenden Anarchie-Inferno Reißaus zu nehmen. Noise-Geknüppel, schauriger Theremin-Klang und das Keifen von einem Sänger - bei dem nicht klar ist, ob er nun Ronny oder Richard heißt - sind so eben das Gegenteil von verträglich und nicht die ganze Wahrheit über ein wieder einmal verstörendes Album.

Pisse schrammeln räudige 3-Akkorde und schreien die Galle raus, aber allein das ruhige "Zu viel Speed" klingt wie die Düsseldorf Düsterboys ohne Schlaumeier-Überlegenheit und doofen Schnurrbart und zeigt eine andere, zerbrechliche Seite. Punk bedeutet eben auch, die Erwartung und Muster zu durchbrechen.

Trotz aller Verweigerungshaltung gelingen wieder einprägsame Parolen. "Ihr könnt mich nicht feuern, ich kündige" und "Im Hals ein Trichter / In der Hand Unkrautvernichter" aus dem Hardcore-Geprügel "Kündigung" präzisiert den Hass so kaputt unterhaltsam wie "Du bist nicht Iggy Pop / Wenn du kein T-Shirt trägst / Du bist nicht Michael Jackson / wenn du rückwärts auf Toilette gehst" vom letzten Album "Mit Schinken durch die Menopause".

Auch "Duracell" wirkt im Stakkato-Post-Punk gleichzeitig bedrückend und tragisch-komisch. Es geht um Sex, dessen ständige Verfügbarkeit und die nie enden wollende Suchtbefriedigung. Der Verfall beginnt mit "Die Feinmechanik / Alles hat gestimmt / Der Autopilot übernimmt" und endet in der Verwahrlosung. "Die Produktion, live in deinem Bett / Die in den Vierteln filmen, live aus dem Internet". Erinnert an die Ostberliner Metal-Punker von Fleischmann, die sich schon in den frühen 90ern mit garantierten Lachnummern wie Trieb und schwerer Depression beschäftigten.

Den größten Lacher haben Pisse eh auf ihrer Seite, weil sie Interpretation über ihre Musik und Texte gerne den Kritikern überlassen. Fragen tun sich viele auf, Antworten gibt es keine. Da endet eben das selbstbetitelte Album mit einem Theremin/Synthie-Instrumental und nennt sich "Jenny L." Wahrscheinlich ein Mörder-Gag innerhalb Band und engstem Fankreis, für den Rest der Menschheit ein weiteres Rätsel.

Selbst die Spex, die so teutonisch krampfhaft die Deutungshoheit behalten möchte, bekam außer einem schrägen Hinweis zu Schnipo Schranke und deren Semi-Hit "Pisse" nicht viel auf die Reihe. Das altehrwürdige Punk-Magazin Ox breitete ebenfalls die Arme weit aus und wurde zum Dank mit herrlichen Blödsinns-Antworten nach Hause geschickt.

Die Sachsen haben sich in nur ein paar Jahren eine komplett eigene Nische aus Krawall-Sound und merkwürdigen Texten erschaffen. Der Zugang ist dabei gar nicht so schwer: Den Preis für das Album darf man auf Bandcamp selber bestimmen. Wann kann man schon behaupten, dass anpissen so viel verkommene Freude bereitet.

Trackliste

  1. 1. Die fetten Kinder
  2. 2. Duracell
  3. 3. Angenehm straff
  4. 4. DrauSSEn zuhause
  5. 5. Zu Viel Speed
  6. 6. CO2 Bilanz
  7. 7. Feind/Fehler
  8. 8. Fliegerbombe
  9. 9. Kündigung
  10. 10. Jenny L

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