laut.de-Kritik
Basiswissen der Krachmusik.
Review von Tom KüppersDie zehn Gebote? Kenne ich, eines davon lautet: 'Vertraue keinem, der die Ramones nicht mag'. Regelmäßig werden Pink Floyd, die Doors, Nirvana oder andere als große Innovatoren des Rock genannt. Genau so regelmäßig wird vergessen, wie essentiell die Ramones für die Entwicklung der zeitgenössischen Musik waren und immer noch sind. Mit einfachen, unnachahmlichen Songs, in die richtigen Bahnen kanalisierter wütender Energie, dem abgerissenen Einheitslook aus Jeans und Lederjacken und ihrer Attitüde hat die 1974 in Queens, NYC gegründete Band die Ästhetik und den Sound des Punkrock maßgeblich geprägt.
"Wir sind miserabel, richtig schlecht, können nicht spielen. Geh einfach raus, und mach!", hat Gitarrist Johnny Ramone einmal Paul Simonon von The Clash geraten. Denn genau so haben die Ramones Generationen von Musikern inspiriert. Während The Clash, die Sex Pistols, Television oder Elvis Costello 1977 ihre ersten Platten veröffentlichen, verbuchen die Ramones bereits zwei Alben und diverse Touren auf beiden Seiten des Ozeans auf der Habenseite. Doch weder ihr selbstbetiteltes Debütalbum noch "Leave Home" erzielen nennenswerte, kommerzielle Erfolge. Für ihr drittes Album "Rocket To Russia" beschließt die Plattenfirma überraschend eine Budgeterhöhung, die in eine bessere Produktion investiert werden soll. Für diese verstärken sich Tommy Ramone und Tony Bongiovi (ein Cousin von Jon Bon Jovi) mit einem jungen Toningenieur namens Ed Stasium, der später für Alben von Living Colour oder Motörhead verantwortet.
Auf dem im November 1977 erscheinenden "Rocket To Russia" weichen die Ramones tatsächlich ein wenig vom Rezept der Vorgängerplatten ab, erlauben sich ein paar mehr vorsichtig poppige Momente und trauen sich sogar mal ein anderes Tempo als Vollgas zu. Die Folge: zeitlose Klassikern wie "Rockaway Beach", "Sheena Is A Punk Rocker", "I Don't Care", "Cretin Hop" oder "Teenage Lobotomy" - genau ausbalancierte Songs zwischen zuckersüßen Hooklines und brachialem Krach. Mindestens genau so bekannt ist ihr "Surfin' Bird"-Cover, besser hat den The Trashmen-Klassiker bis heute niemand interpretiert.
Selbst Songs aus der vermeintlich zweiten Reihe, wie die am Bubblegum-Pop kratzende "Ramona", "I Can't Give You Anything" oder das vergleichsweise zurückhaltende "I Wanna Be Well", sind in ihrer schlichten Schönheit kaum zu überbieten. Sofern man sich auch nur halbwegs ernsthaft für Gitarrenmusik - welcher Couleur auch immer - interessiert, muss man "Rocket To Russia" kennen und besitzen. Glaubst du an Gott, brauchst du die Bibel, glaubst du an Rock, brauchst du diese Platte. Ganz einfach.
Die Neuauflage dieses Meilensteins zum 40. Geburtstag entpuppt sich als gelungene Angelegenheit. Kernstück der auf 15.000 Stück limitierten und nummerierten Deluxe-Edition (drei CDs, ein Vinyl) ist das (ebenfalls als einzelne CD erhältliche) Originalalbum in neu gemasterter Version als optimierter Stereo-Mix, der tatsächlich etwas saftiger und aufgeräumter klingt. Auf der gleichen Disc findet sich auch der neue, von Stasium höchstpersönlich vorgenommene 'Tracking Mix' mit umgestellter Tracklist.
Seine Versionen von "I Don't Care" und "It's A Long Way Back From Germany" stammen aus anderen Sessions und sind demnach noch nicht bekannt. Weitere Details erläutert der Produzent dann im Booklet im LP-Format, das mit jeder Menge schicker Fotos und Insider-Wissen gefüllt ist.
Auf Disc zwei geht es dann in die Bonusabteilung mit Radiospots, Backingtracks, und alternativen Versionen. Neben hier und da abgeänderten Texten stechen besonders das von Bassist Dee Dee Ramone voller Leidenschaft gesungene Derivat von "It's A Long Way Back To Germany" und die akustische Variante von "Here Today, Gone Tomorrow" hervor. So herrlich kaputt klingen Velvet Underground auch nach einer Wochenration Heroin nicht. Und genau hier wird die Sache richtig spannend, weil derlei Mitschnitte mehr als deutlich zeigen, wieviel Arbeit tatsächlich hinter "Rocket To Russia" steckt. Wo hier manches mal noch roh und wackelig klingt, sitzt auf der endgültigen Fassung alles genau da, wo es hin soll.
CD drei punktet mit einem mitreißenden Livemitschnitt von Dezember 1977 aus Glasgow, bei dem sich Sänger Joey Ramone offenbar kurzzeitig mit dem schottischen Akzent infiziert hat. Alleine wie er im rasanten "Teenage Lobotomy" aus "DDT did a Job on me" ein einziges Wort schnoddert muss man als Fan genau so gehört haben, wie die Livefassung von "Carbona Not Glue". Abgerundet wird alles von einer dicken Vinylversion von Stasiums Tracking-Mix, klangtechnisch ebenfalls makellos.
Für die "40th Anniversary Deluxe"-Ausgabe von "Rocket To Russia" kann man eine uneingeschränkte Kaufempfehlung aussprechen , da sowohl Verpackung (dickes, stabiles Klappcover, nettes Booklet) als auch Inhalt (drei CDs, eine LP) echten Gegenwert liefern. Ich persönlich habe schon wesentlich mehr Geld für schlechtere Bootlegs ausgegeben. Die Frage bleibt also nicht, ob man dieses Box-Set braucht, sondern warum man es nicht längst im Schrank stehen hat.
4 Kommentare mit 2 Antworten
."...besser hat den The Thrashmen-Klassiker bis heute niemand interpretiert."
mit "thrash" war 1962 ja noch eher weniger los, vll. haben sie deshalb bei der namensgebung aufs "h" verzichtet.
ansonsten natürlich schönes album, wobei mir ihr debüt etwas besser gefällt.
Schon schön, wobei ich da immer fand, dass es aus der Richtung+Zeitabschnitt noch interessantere Sachen gab. Aber so viele T-Hemden können sicher nicht irren
bei h&m weiß man halt mit dem rechenschieber umzugehen
Danke für den Hinweis, da ist mein innerer Metaller auf der Tastatur durchgemosht. Zur Wertung: Ich persönlich kann aus den ersten vier Alben tatsächlich keinen Liebling auswählen - alles Volltreffer auf gleichbleibend hohem Niveau.
Einige Stücke auf dem Album sind etwas zu poppig geraten. Ansonsten natürlich viele Klassiker, die ständig im Liveprogramm zu finden waren. Die ersten beiden Alben fand ich einen Tick besser.
Mit dem Album haben sie sich den Weg in die alternativen Discos bereitet. Mir auch etwas zu poppig geraten.