laut.de-Kritik

Frauenfeindlichkeit ist seine Sache nicht.

Review von

Wie kaum ein Zweiter bewies Richie Spice, dass man zuweilen einen langen Atem braucht. Als die Reggae-Welt 2004 erkennt, was in dem wortkargen Mann aus St. Andrews steckt, befindet er sich bereits seit über zehn Jahren auf einer musikalischen Mission.

Um einem in der Tat beseelten Sänger nun auch international die Aufmerksamkeit angedeihen zu lassen, die ihm schon lange zusteht, entschloss sich sein Label 5th Element zur Kooperation mit VP Records. Ein glücklicher Schachzug: Mit "In The Streets To Africa" gelingt ein mächtiger Streich.

Freunden des Conscious-Reggae wird der eine oder andere Tune vertraut vorkommen. Die zauberhafte Lovers Rock-Nummer "Groovin My Girl" sorgte schon vor etlichen Jahren dafür, Richie Spice zu einem geläufigen Namen in der Szene zu machen. Und auch die Single "Youth Dem Cold" schwirrte schon 2005 durch die einschlägigen Hitlisten.

Das macht aber nichts, im Gegenteil: "Youth Dem Cold" illustriert prächtig die Botschaft, die Spice aus tiefster Seele verkündet. Er thematisiert Armut, Hunger und die daraus resultierende Gewalt in seiner Heimat und dokumentiert die Auswirkungen, die derartige Zustände auf die Jugend, die die Hoffnung des Landes sein sollte, ausübt. In seinen Lyrics fordert er eindringlich Gerechtigkeit und nicht zuletzt bessere Bildungs-Chancen für die nächste Generation.

Richie Spice verschließt nie die Augen vor der dreckigen Realität. Seinen gefühlsgeladenen Gesang durchzieht stete Melancholie, dennoch gerät die Musik alles andere als trübsinnig. Hoffnung und unerschütterliches Gottvertrauen liefern die Energie, die aus jeder Zeile quillt. Dabei vermeidet er wohltuend, in Predigten zu verfallen. Auch gegen ein weitaus nervtötenderes Übel, das in diesem Genre zu oft anzutreffen ist, scheint Richie Spice gefeit: Frauenfeindlichkeit ist seine Sache nicht. Vielmehr legt er den Damen mit Songs wie "Brown Skin" oder "Babyface" die Welt zu Füßen und sein Herz gleich obendrauf.

Musikalisch bietet "In The Streets To Africa" solides Handwerk. Die leisen, zarten Töne beherrscht man hier ebenso wie schwungvolle Bläser und dubbig blubbernde Bässe. Selbst unkomplizierte Reggae-Standards stehen voll im Saft und wirken kein bisschen blutarm, sieht man über die phrasenbefrachtete Kitsch-Schnulze "Take It Easy" einmal großmütig hinweg.

Eine exzellente, gar nicht aufdringliche Kulisse also für einen Vokalisten, der mühelos zwischen eindringlichen Schilderungen seiner Umwelt und überaus romantischen Kontexten hin und her wechselt. Mit schier überschnappender Stimme fordert er in "Open The Door", unterlegt von Auszügen aus den Reden Dr. Martin Luther Kings, Solidarität mit den Ärmsten der Gesellschaft, fängt wenige Augenblicke darauf die träge Schläfrigkeit eines "Sunny Day" ein, nur um ein wenig später, nachdem die Liebste gediegen angeschnurrt wurde, in "High Grade" dem weltweit (und zu Recht) wohl meist gepriesenen Kraut ausgiebig zu huldigen.

Um die ganze Sache abzurunden, steigen neben Joseph Hill von Culture ("Digital Ways") auch die nicht ganz unbeleckten großen Brüder Spanner Bonner und Pliers ("Babyface") mit in den Ring. "Motherland Calling" beschließt mit atmosphärischen Percussion- und Geräusch-Collagen sowie sehnsuchtsvoller Melodie ein Album, das unter wenigen Wünschen vor allem einen offen lässt: Junge, meinetwegen darfst Du dem Ruf von Mama Afrika ruhig folgen. Aber hör' bloß nicht auf, zu singen!

Trackliste

  1. 1. Get Up
  2. 2. Open The Door
  3. 3. Youth Dem Cold
  4. 4. Babylon A Gwaan
  5. 5. Digital Ways feat. Joseph Hill of Culture
  6. 6. Sunny Day
  7. 7. Baby Face feat. Spanner Bonner and Pliers
  8. 8. Uptown Girl
  9. 9. Brown Skin
  10. 10. Groovin My Girl
  11. 11. High Grade
  12. 12. Mind Off Of Me
  13. 13. Take It Easy
  14. 14. Can't Stop Loving Jah
  15. 15. Motherland Calling

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