laut.de-Kritik
Liebe in Zeiten der Cholera.
Review von Dani Fromm"Die Wahl von Donald Trump könnte zu einer Renaissance des Punk führen", orakelt es aus diesem Internet heraus. Antwort: "Dieser Punk, den du meinst, schreibt sich 'Hip Hop'." Schlagkräftige Beweise für diese These lieferten schon viele, darunter YG und Nipsey Hustle, Eminem, KXNG Crooked - oder eben Run The Jewels.
El-P und Killer Mike haben in der Vergangenheit zwar längst gezeigt, dass sie, um musikalisch wie inhaltlich brachialgewaltige Platten unters Volk zu streuen, einen Steilvorlagenlieferanten wie Trump nicht zwingend brauchen. An einem politisch engagierten Duo mit einer Mission geht der beängstigende Ausgang der US-Präsidentschaftswahl aber natürlich nicht spurlos vorüber.
Als am Tag der Stimmenauszählung beim Blick auf die Ergebnisse Hysterie und Panik das ungläubige Entsetzen ablösten, meldeten sich auch Run The Jewels zu Wort, stachen dabei aber mit unerwarteter Besonnenheit aus dem aufgescheuchten Stimmengewirr heraus. "Wir hatten eigentlich noch nicht vor, das zu veröffentlichen", gaben sie "2100" mit auf den Weg, "aber ... naja, es fühlt sich jetzt einfach richtig an. Es geht um Angst und es geht um Liebe und es geht darum, dass wir mehr wollen, für uns alle."
Angst, ja. Angesichts des absurden, dennoch Realität gewordenen Horror-Comic-Szenarios "Narzisstisch gestörter, sexistischer, stinkreicher Rassist zieht ins Weiße Haus ein" sollte man sich tatsächlich fürchten, besser nicht zu knapp. "How long before the hate that we hold lead us to another Holocaust?" Könnte erschreckend schnell gehen. Deshalb: "We return from the depths of the badland with a gun and a knife in our wristband, went to war with the devil and shaytan he wore a bad toupet ad a spray tan."
Allerdings ist keinem damit geholfen, wenn die negativen Gefühle die Oberhand gewinnen. Die Gegenpole, die Liebe und das Streben nach Gerechtigkeit, erscheinen gerade in düsteren Zeiten notwendiger denn je. "An eye for an eye, and a tooth for the tooth will leave us all mumbling and blind", erteilt Killer Mike trotz aller Militanz Gedanken an Rache und Selbstjustiz, der alttestamentarischen Vorstellung, Gleiches gehöre mit Gleichem vergolten, eine doch unmissverständliche Absage.
Wer danach "Kill Your Masters" wortwörtlich nehmen und als Aufforderung zu einem bewaffneten Aufstand verstehen will, verpasst eine der Kernaussagen des Albums. Auch wenn der im Outro von "Thives! (Screamed The Ghost)" zitierte Dr. Martin Luther King Jr. richtig seziert: "But in the final analysis a riot is the language of the unheard."
Außer auf historische Begebenheiten und Persönlichkeiten aus Geschichte und Zeitgeschehen verweist "Run The Jewels 3" auf Filme, Fernsehen und Musicals, Bücher, Animés, auf Sport, Poker und Blackjack. Da keiner der Akteure auch nur den Hauch eines Blattes vor den Mund nimmt, entwickelt sich erhebliche politische Sprengkraft: "And I'm scared that I talk too much about what I think's going on", so El-P in "A Report To The Shareholders". "I got away with this, they might drag me away for this / Put me in a cage for this, I might pay for this", trotzdem: "I just say what I want like I'm made for this."
El-P und Killer Mike werben aggressiv dafür, sich eine Meinung zu bilden, und fordern den Mut, diese zu äußern und dafür einzustehen, gerade dann, wenn es unbequeme Folgen nach sich zieht. "Choose the lesser of the evil, people, and the devil still gon' win", prangern sie Missstände im System an und weigern sich, Dinge als gegeben hinzunehmen. Statt blindem Furor freien Lauf zu lassen, findet in den gewohnt Schädeldecken-zerbröselnden Produktionen, die El-P seinen Reglern abtrotzt, aber auch eine erhebliche Menge Nachdenklichkeit Platz.
Was in der Theorie einigermaßen seltsam klingt, lassen El-P und Killer Mike in der Praxis wie die natürlichste Sache der Welt aussehen, indem sie zunächst einmal das Hohe Lied ihrer Freundschaft anstimmen: ein echter Glücksfall für alle Beteiligten. "I hope with the highest of hopes that I never have to go back to the trap and my days of dealing with dope", blickt Killer Mike auf seine wenig ruhmreiche Vergangenheit zurück. Heute sitzt er mit Präsidentschaftskandidaten am Tisch.
"Came from feeling what a pure absence of hope can do", kennt sich auch El-P in den Niederungen des Lebens aus. "See the cold floor where I licked dirt when the dough dried and the pride died / had a dumb max, had to shop right gimme two meals and the lights on." Das alles war gestern. Inzwischen: "Call Ticketron": "Run The Jewels live at the Garden" gab es schon. "Woo! Step in the spotlight ... and the crowd goes: R! T! J!" 2017 steht eine Welttournee an: "Probably play the score for the World War / At the apocalypse, play the encore."
Auch, wenn ich ihnen und uns allen friedlichere Rahmenbedingungen wünsche: Den zur Schau getragenen Stolz auf das Erreichte haben sich Killer Mike und El-P so redlich verdient wie die Goldkruste, die die Hände auf dem Cover inzwischen überzieht. "Die Hände auf 'RTJ1' bedeuteten für uns 'Nimm', was dir zusteht'", erläutern die beiden die Entwicklung des Artworks. "Deine Welt, dein Leben, deine Haltung. Auf 'RTJ2' waren die Hände verbunden, das stand für Verletzung und Heilung, was sich auch in Ideen und Stimmung auf der Platte wiederfindet. Bei 'RTJ3' sind die Bandagen ab, die Kette ist verschwunden, und die Hände haben sich in Gold verwandelt. Für uns repräsentiert das die Idee, dass es nichts gibt, das es wert ist, es sich zu nehmen, das nicht schon in uns selbst steckt. Das Juwel bist du selbst." Wenn das kein Licht der Hoffnung entzündet, was denn dann?
Vielleicht die handverlesenen Gäste: Die fügen sich stimmig ein. Manchmal ein bisschen zu stimmig, so dass sie kaum auffallen: Joi aus den Kellern der Dungeon Family bleibt in "Down" doch sehr zurückhaltend, und wo hat noch gleich Tunde Adebimpe mitgemischt? An anderen Stellen fügen die Besucher dem Gemälde aber genau den einen fehlenden Pinselstrich hinzu, der das Bild vollendet: Ich sag' nur Kamasi Washington. Danny Brown, der als einziger verrückt genug klingt, um in der Lücke zu spielen, die der Verlust von ODB gerissen hat. Oder Zack De La Rocha. Der schwimmt in "Kill Your Masters" wieder genau in seinem Element: wütend, angepisst, ein bisschen von gestern, aber ein absolut würdiger Schlusspunkt für dieses Album.
Auf die Beständigkeit des Guten lässt auch die Veröffentlichungspolitik hoffen: Obwohl inzwischen sicher kein "mystery to you captains of industry" mehr, halten Run The Jewels an ihrem Procedere fest. Auch den dritten Streich gab es wieder gratis. "Poor folk love us", kein Wunder. El-P und Killer Mike legten den Fans den Gratisdownload am ersten Weihnachtsfeiertag unter den Christbaum. Wer einen wenigstens halbwegs angemessenen Preis zahlen will: Ab dem 20. Januar gibts auch CDs und Vinyl.
Ganz sicher hoffnungsfroh stimmen die Beats. Irgendwann - es muss schon zu Company Flow-Zeiten gewesen sein - hat El-P die gruselige Fähigkeit entwickelt, sich mit seinen Produktionen direkt in den Hirnstamm einzuklinken. Von dort speist er seine Bastarde aus wabernden Bässen, brummenden, bratzenden, knarrenden Synthies und sich aufschaukelnden Rhythmen direkt ins vegetative Nervensystem ein. Das Zeug macht Gänsehaut von innen.
Früher war mehr Industrial, das stimmt. Inzwischen setzt El-Producto zunehmend auf die Macht, die im Unerwarteten steckt. Melodien keimen, wo eben noch Krach herrschte. "2100" wiegt sich stellenweise im Dreivierteltakt. In "Thursday In The Danger Room", einer Gedenkstunde für aus unterschiedlichen Gründen auf der Strecke gebliebene Freunde, weht Kamawasi Washingtons Saxofon herüber wie ein Gruß aus einer anderen Zeit.
El-P rollt hier, nicht zum ersten Mal, aber herzzerfetzend wie nie, die Monate auf, in denen er Camu Tao dabei zusah, wie er gegen den Lungenkrebs kämpfte und verlor. Killer Mike erzählt die Geschichte eines seiner Homies, der sein Leben auf der Straße ließ - wegen einer Kette. Unterschiedliche Erfahrungen führen zur gleichen Erkenntnis: Das Universum gibt dir keine Antwort auf die Frage nach dem Warum. "Life is a journey, to live is to worry, to love is to lose your damn mind", und trotz allem: "Life's a blessing." Aller Wahrscheinlichkeit nach haben wir nur das eine. Machen wir gefälligst das beste draus.
9 Kommentare mit 3 Antworten
Hab mich schon gefragt, wann die Rezi kommt.. Feier ich bisher sehr, das Album.
Ungehoert 1/5, wann kommt JBG3?
Dieser Kommentar wurde vor 7 Jahren durch den Autor entfernt.
definitiv nicht so stark wie die vorgänger, aber trotzdem gut. kann man sich geben.. und vor allem es is umsonst ne.
Dieser Kommentar wurde vor 7 Jahren durch den Autor entfernt.
5/5. Zusammen mit Big Fish Theory von Vince Staples mein persönliches Rap Highlight 2017. Talk to Me und Legend Has it sind böse Bretter, Thursday in the Danger Room und 2100 haben einen sehr krassen futurisch-dystopischen Vibe, fast schon cinematisch. Einziger Track, der mir nicht so zusagte: Stay Gold.