laut.de-Biographie
Killer Mike
"Jeder, der sich die 'Pledge' anhört, weiß, dass sie dich umhaut, aber auch motiviert", verspricht Killer Mike von seiner Album-Serie. Aber es ist noch kein Meister vom Himmel gefallen. So fängt auch der gebürtige Michael Render am 20. April 1975 erst einmal an zu schreien, als ihn seine Mutter zur Welt bringt, als einzigen Sohn und Vorreiter von fünf kleinen Schwestern.
Adamsville liegt im Herzen Atlantas im Bundesstaat Georgia. Dort wächst Michael auf. Großgezogen von seinen Großeltern, fördert seine Mutter vor allem seine künstlerische Ader. Sie bringt ihn schon als Neunjährigen mit Hip Hop in Verbindung, kauft ihm Sugar Hill Gang-Singles, "aber als ich 'King Of Rock' von Run DMC hörte, fühlte ich, dass sich mein Leben verändert. Eine Art 'Was auch immer das ist, es ist für mich'. Das ist es, was ich den Rest meines Lebens machen werde."
Wie jeder Rapper, der etwas auf sich hält, gewinnt der junge Michael bereits in der Junior High School einige Battles gegen die Konkurrenz aus der Nachbarschaft. Er begeistert Zuschauer und Kontrahenten. Allerdings schreibt er seine Reime nie auf. Einige Freunde bringen ihn irgendwann aber doch dazu, zur Abwechslung einmal etwas festzuhalten und aufzunehmen.
"Als ich anfing, die Reime aufzuschreiben, eröffneten sich für mich ganz neue Möglichkeiten. Dann dachte ich, dass ich einen Plattenvertrag brauche", erinnert sich Mike Mitte der 90er Jahre. Zu der Zeit trifft er Big Boi zum ersten Mal, der sich von Mikes Skills überzeugen lässt und verspricht: "Wenn ich ein Label auftreibe, dann wirst du gesignt."
Dazu kommt es erst Jahre später. Aber der Rapper, der sich mittlerweile Killer Mike nennt, liegt solange nicht auf der faulen Haut. Er demotapet weiter, gründet eine Crew namens Slumlordz, die sich anhört, als ob "sich N.W.A. und Metallica richtig betrinken und dann eine Session spielen".
So rappt sich Mike durch die Monate, bis sich im Millenniumsjahr der mittlerweile schwerverdienende Big Boi wieder an seinen Homie erinnert und ihn ins Studio bestellt. Er lässt ihn vorrappen. Am nächsten Tag wedelt er mit einem Plattenvertrag beim Aquemini-Label des ATLiens. Es kommt zu Problemen mit dem Vertrieb, was das Erscheinen des Debüts zeitlich verschiebt.
In der Zwischenzeit darf Mike auf Outkasts "Stankonia" mitrappen und ist auf dem Song "Snappin' And Trappin'" zu hören. 2003 gibts sogar einen Grammy für "The Whole World", eine Singleauskopplung aus "Big Boi". Sein Debüt "Monster" kommt im gleichen Jahr endlich ebenfalls in die Plattenläden.
Der Track "A.D.I.D.A.S." landet in den Billboard-Charts, "Akshon (Yeah!)" macht bei Zockern die Runde, als Teil des Soundtracks zum Videospiel "Madden NFL 2004". Neben diesen Erfolgen erweckt Killer Mike den Geist des Dirty South erneut, bringt Dungeon Family-Beats auf seine Scheibe und macht sich einen Namen in der Szene.
"I Pledge Allegiance To The Grind I" bringt der MC 2006 über sein eigenes Label Grind Time Official an die Fans: der Beginn einer Serie. Außerdem stellt er seine Grind Time Rap Gang und deren Mitglieder S.L. Jones, Nario, Bigg Slimm, Da Bill Collector, und Rock D The Legend vor. Großes Aufsehen erregt der Silberling nicht, Mike sorgt vor allem mit politischen Texten und Kritik an Ex-Präsident Bush für Wirbel.
Die Nachfolgerscheibe, "I Pledge Allegiance To The Grind II" beißt sich 2008 in den US Rap-Charts auf Platz neun fest. Bekanntheitsgrad steigend. Das Compilation-Album "Underground Atlanta" bringt mehr Kritik denn Lob ein. Allerdings feiert ihn dann der halbe Rap-Underground mit dem dritten Streich der Serie: "Pl3dge". Nicht nur bekannte Namen wie T.I. oder Young Jeezy gastieren, sondern auch die Kritiker verstummen und es hagelt viel Lob.
"Ich will, dass alle wissen, dass ich Liebe für die Armen empfinde", so Mike über sein Schaffen. "Schwarze, Latinos, Kranke und die Ausgeschlossenen und deren Situation. Diese Musik ist deren Musik, und ich will, dass sie wissen, dass mein Album die Liebe zu diesen Menschen ausdrückt."
Logischerweise geht Killer Mike in den folgenden Jahren den Weg des Polit-Raps weiter. Auch wenn er die weiße Vorherrschaft in den Labels und am Mic kritisiert, formt er 2012 mit der Def Jux-Produzentenlegende El-P ein wahrlich tödliches Duo. Das folgende "Rap Music"-Album atmet dank EL-Ps Bombsquad-2.0-Style und Mikes Mic-Wut frühe Ice Cube-Klassiker mit voller Lunge und avanciert zu einem der besten Alben des Jahres.
Ein Jahr später festigt das Duo mit dem Free-Tape "Run The Jewels" seinen Platz im Hip Hop. Der Stil: Public Enemy trifft Trap Rap. Die einhellig positive Resonanz lässt bereist ahnen: Hier ist etwas Großes entstanden. Als Run The Jewels gehen Killer Mike und El-P fortan gemeinsame Wege.
Neben den musikalischen setzen sie auch politische Akzente. Im Wahlkampf um die US-Präsidentschaft stellen sich beide offen hinter den demokratischen Kandidaten Bernie Sanders und unterstützen, als dieser hinter Hillary Clinton zurücktritt, notgedrungen diese weiter. Bloß hilft es nichts: Am Ende gewinnt trotzdem Donald Trump.
"Die Leute sind verrückt genug, um Dinge zu tun, mit denen ich nicht gerechnet hatte", so Killer Mike zum Wahlausgang. "Das macht mir eine Heidenangst." Für ihn jedoch kein Grund, den Mund zu halten, sondern eine Motivation, die Stimme um so lauter zu erheben. Den Traum von einem besseren Leben für alle hat Killer Mike nämlich noch lange nicht ausgeträumt.
Im Gegenteil. Während sich Run The Jewels zu einem der zugkraftigsten Rap-Acts seiner Zeit auswächst, nutzt Killer Mike immer wieder seine neu hinzugewonnene Reichweite, um den Finger in offene Wunden zu legen. Er engagiert sich gegen rassistische Übergriffe und Polizeigewalt. Nachdem in ebensolchem Zusammenhang 2015 der Afroamerikaner George Floyd zu Tode kam und landesweit, auch in Atlanta, Unruhen ausbrachen, riefen die Verantwortlichen Killer Mike, um die Wogen zu glätten.
Einerseits als Schwarze Stimme der Vernunft gepriesen, ruft Killer Mike aber auch entschiedene Kritiker*innen auf den Plan. Sein unerschütterliches Einstehen für den 2. Zusatzartikel zur US-amerikanischen Verfassung, der das Recht, Waffen zu tragen, regelt, gefällt nicht allen. Dass sich Killer Mike selbst mit kontroversen politischen Figuren abgibt, stößt auf noch mehr Widerspruch.
Er selbst lässt sich davon nicht beirren. Als "ein Schwarzer Mann aus dem tiefsten Süden, aus einer Schwarzen Nachbarschaft, einer Schwarzen Stadt" beschreibt er sich selbst gegenüber vulture.com. Entsprechend fühlt er sich seiner Schwarzen Community gegenüber verpflichtet, sonst niemandem. Ein Selbstverständnis, das sich auch in seinen Investments spiegelt: Er gehört zu den Gründern einer Banking-App, die sich explizit an eine Schwarze und LatinX-Zielgruppe richtet. Zudem betreibt er zusammen mit seiner Frau eine Reihe von Barber-Shops.
Das Bedürfnis, den Menschen hinter der Figur Killer Mike zu erklären, spricht aus dem Album, das im Sommer 2023 erscheint. Über zehn Jahre nach seinem letzten Solo-Album wagt der Rapper erstmals wieder einen Alleingang. "Run The Jewels wird für mich immer Priorität haben", betont er. "Aber, Mann, ich hatte schon vorher einen Namen: Ein neunjähriger Junge hat sich Killer Mike ausgedacht, um knallhart und gefährlich zu erscheinen und ihn vor allem Bösen zu beschützen. Er war wirklich nur ein Kind, mit einer überbordenden Fantasie. Aber genau dieses Kind möchte ich meinem Publikum jetzt vorstellen." Gestatten? "Michael".
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