laut.de-Kritik

Ungebrochen ungenießbar für die Upper Class.

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Es liest sich wie ein schlechter Witz: König Heinrich VI gründete das "King's College of our Lady of Eton" einst als Wohltätigkeitsprojekt, eine Schule für Kinder aus armen Verhältnissen. Das heutige Eton College dagegen ist eine teure Privatschule, die außer der Architektur rein gar nichts mehr mit ihrem karitativen Ursprungsgedanken zu tun hat. Nur Familien aus der Oberschicht oder die Royals können es sich leisten, ihre Sprösslinge dort zur Schule zu schicken.

Zu den bekanntesten Absolventen zählt Politiker Boris Johnson. Dem umstrittenen Brexit-Befürworter haben die Sleaford Mods bereits auf "Key Markets" ein paar warme Worte gewidmet. Nun folgt wenige Monate nach der selbstbetitelten EP die nächste Schelle für Elitarismus und pure Dummheit der Gesellschaft.

So wirklich verwundert der enorm hohe Output nicht: Die gegenwärtige Lage in England bietet schon fast im Wochentakt Stoff genug, um sich aufzuregen. Doch nicht nur den bekannten Feindbildern geht es an den Kragen, auch die neuen Kritiker-Lieblinge Idles bekamen für ihren Brit Award-Auftritt und die damit verbundene Vereinnahmung durch den Mainstream bereits saftige Kopfnüsse aus Nottingham.

Die Sleaford Mods wissen genau, dass sie ihre Kinder nicht ans Eton College entsenden können. Auch dass die Musik-Industrie Ed Sheeran zwei grummeligen Ü40ern aus Nord-England vorzieht, ist ihnen bewusst. Dabei geben sich die Mods gar nicht mehr so sperrig, das an die Happy Mondays erinnernde "Kebab Spider" lädt sogar zum Groove-Tanz mit Madchester-Feeling ein. Sicherlich immer noch kein Club-Banger, aber geschwollene Halsader ist auf Dauer auch nicht gesund. Miese Laune macht kaum so viel Spaß, wie sich unter naiv grinsenden Common People in der Disco 2019 haben lässt. Wer nicht zu den Reichen und Schönen eingeladen wird, schmeißt sich eben selbst seine Anti-Party. Das war einmal der Ursprungs-Gedanke jeder Subkultur.

Eine Form von trauriger Resignation steckt in der Kaputt-Ballade "When You Come Up To Me". Der ansonsten so brachiale Bass findet praktisch nicht statt, dafür singt Jason Williamson zwar etwas schief, aber doch bedrückend schön über den Wunsch nach Ruhe und Einsamkeit. Auch wenn sie das vielleicht gar nicht gerne hören: Es ist einfach verdammt große Kunst, wie hier nur mit einem Drum-Loop und maximal drei Synthesizer-Tönen ein wirklich schöner Song über Depression zustande kommt. Geigen, Chöre und "Happy"-Prophet Pharrell Williams, piss off! "If you don't want nobody / If you don't wanna anybody come trough."

Der Rest des Albums geht unbeirrt seinem Job nach: Sich zu stoischen Bassläufen in Rage reden, singen oder gleich sprechsingen, und auch vor dem eigenen politischen Lager nicht Halt machen. Eine Galionsfigur des englischen Indie-Rock schreddert "Flipside" auf eine Stufe mit Lieblings-Feind Boris Johnson zurecht: Blur-Gitarrist Graham Coxon darf sich nun darüber freuen, zusammen mit einem rechtskonservativen Tory-Politiker auf der Shitlist zu stehen.

Was hätte das dessen ehemaligen Erzfeind Noel Gallagher zu seinen besten Rant-Zeiten in den 90ern gefreut! Aber der hat seinerseits die Sleaford Mods als "Cunts" beschimpft und in ihnen den Grund ausgemacht, "warum es nie wieder einen zweiten David Bowie gibt". Der ehemalige Oasis-Songwriter regt sich mittlerweile nur noch über seinen eigenen Bruder auf und widmet sich ansonsten eher bedächtigen Alben. Die Sleaford Mods gehören zwar mit Mitte und Ende 40 fast der gleichen Generation an, scheinen aber doch extrem weit von solcher Altersmilde entfernt.

Es bleibt also an den zwei Anti-Helden aus Nottingham hängen, sich dort aufzuregen, wo es wirklich brennt, und nicht aus der Perspektive der mittlerweile erfolgreich Angekommenen zu erzählen. Ob Warenhauskette mit aufgesetzten Underground-Style, versnobte Helikopter-Eltern in Range Rovers ("O.B.C.T.") oder fruchtloses Diskurs-Gelaber, das an den Menschen vorbei geführt wird ("Discourse"): Die Zeiten in England bleiben düster, dafür werden die Sleaford Mods zugleich immer besser. So viel Abwechslung und Wille zu Neuem gab es bisher auf keinem Album der Engländer. Gerade der Einsatz von Electro und Gesang wirkt spannend und ebnet neue Wege.

Noel Gallagher hat nicht Unrecht. Jason Williamson und Andrew Robert Lindsay Fearn tüfteln nicht an einer verschnörkelten Glam-Rock-Oper über einen Außerirdischen. Sie arbeiten sich vielmehr unprätentiös zu einer der wichtigsten Bands in England vor und leben fast romantisch den Punk-Spirit. Da kann die aggressive Wirtschafts-Politik in England weiterhin alles lebendig verspeisen. Dieser Wutbrocken bleibt wieder einmal ungenießbar für die Upper Class.

Trackliste

  1. 1. Into The Payzone
  2. 2. Kebab Spider
  3. 3. Policy Cream
  4. 4. O.B.C.T.
  5. 5. When You Come Up To Me
  6. 6. Top It Up
  7. 7. Flipside
  8. 8. Subtraction
  9. 9. Firewall
  10. 10. Big Burt
  11. 11. Discourse
  12. 12. Negative Script

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