laut.de-Kritik
Verdoomt, ich lieb' dich!
Review von Yan VogelSorcerer erreichen 2020 mit "Lamenting Of The Innocence", was Visigoth 2018 mit "Conqueror's Oath" und Atlantean Kodex 2019 mit "The Course Of Empire" gelungen ist: Sie kreieren ein authentisches Heavy Metal-Album. Jenseits des Schmonzes von Sabaton, bei denen Metal zur Schnurre verkommen ist, stampfen die Schweden bereits zum dritten Mal hintereinander ein Album aus dem Boden, das genau in der Schnittmenge von klassischem Heavy Metal und Doom angesiedelt ist.
Bei den Schweden dominieren Midtempo-Headbanger im Stil der Black Sabbath mit Dio oder Tony Martin und des US-Prog-Metals von Nevermore auf "Dreaming Neon Black" oder "Dead Heart In A Dead World". Auch Queensryche auf ihren epischen Stücken wie "Road To Madness", "Suite Sister Mary" oder "Empire" spielen in den Sound mit hinein. Sakrale Chöre à la Iron Maidens "Sign Of The Cross" und die Atmosphäre des unheilvollen Hardrock-Schwergewichts "Hells Bells" haben ihre Spuren hinterlassen.
Morbide Melancho-Monumente wie "South Of Heaven", "Samarithan" oder "Wherever I May Roam" stehen Pate für die ausufernden Tracks. Selbstredend reihen Sorcerer sich in diese Genealogie der Song-Superlative ein. Qualitativ knüpfen Anders Engberg und Co. an das Debüt und "The Crowning Of The Fire King" an. Erhaben schroffe Riff-Monumente wechseln mit hymnisch-hochfliegenden Refrains, die Können, Kitsch und Kino vereinen. Rein subjektiv bleibt die Feststellung: Verdoomt, ich lieb' dich.
Ausfälle gibt es keine. Als Anspieltipps dienen der monumentale Titeltrack, der Fist-Raising-Banger "Insitoris" und das proggige Requiem "Condemned". Die Folk-Ballade "Deliverance" liefert ein Duett mit Candlemass-Sänger Johan Langquist. Anders Engberg erinnert mehr an Sangeskönner aus Übersee wie Warrel Dane, Harry Conklin, James Hetfield, Rob Rock oder John Oliva.
Was hier in soundtechnischer Brillanz erstrahlt und kompositorisch ausgereift klingt, hat freilich seine Entstehungsgeschichte: Gitarrist Kristian Niemann hat das Riff des Titeltracks in sein Handy gesungen, als er sich mit seiner Tochter auf Shopping-Tour befunden hat. Die Geschichte des Riffs scheint noch lange nicht auserzählt. Ob ostinat mit Harmoniewechseln, Single Note- oder Powerchord-basiert sowie die Palmmute-Variante: Das Duo Niemann/Hallgren kennt sich im Periodensystem der Schwermetalle aus. Dabei decken die Leads unterschiedliche Perspektiven ab.
Niemann ist der neoklassischen Shredding-Kunst im Stil eines Yngwie Malmsteen, Uli Jon Roth, Ritchie Blackmore oder Steve Vai zugeneigt, während Hallgren die pointierte, Blues-basierte Melodieorientierung eines Adrian Smith, Randy Roads oder Michael Schenker bevorzugt. Zahlreiche Melodie-Layer und Harmonie-Voicings unterfüttern die an sich schon majestätischen Refrains.
Technisch anspruchsvoll umgesetzt, spielen beide Guitar Heroes ohne Zurschaustellung der Virtuosität, sondern unprätentiös im Dienste des jeweiligen Songs. Niemann/Hallgren liefern neben der neuen Psychotic Waltz "The God-Shaped Void" das gitarristische Highlight des Jahres 2020. Anspieltipp für diese These: der Closer "Road To Perdition" mit seiner flirrenden Introduction und dem ausufernden Spot mit Twin Guitar-Abschluss am Ende des Tracks.
Zwei Personalentscheidungen prägen die Platte besonders: Rückkehrer Richard Evensand, der bereits auf dem zweiten Demo zu hören war, trommelt Teile des Albums direkt als Improvisation ein, ohne zu viel nachzudenken, um mit dem Flow zu gehen. Gründungsmitglied und Bassist Johnny Hagel verlegt sich auf seine Rolle als Songwriter und Manager. Justin Biggs nimmt die Bürde an, mischt direkt im Songwriting mit und zeigt sich agil bei den tiefen Tönen.
Thematisch knüpft die Band an den Titel des zweiten Demos "The Inquisition" an. Aus wechselnden Perspektiven breitet das Quintett die Gräuel der Hexenverfolgung aus. Der Maleus Maleficarum, der sogenannte Hexenhammer, stellt nach Dantes Inferno, der Edda und der Bibel wohl das am meisten besungene Sujet der Metal-Historie dar. So weit, so typisch.
Der serbische Künstler Dusan Marcovic bekannt für seine dystopischen Werke zwischen Sci-Fi, Historie und Horror liefert das passende Cover. Es zeigt einen blutrünstigen Kleriker, zu dessen Füßen die gepeinigte Hexe auf ihr Ende in Flammen zuleidet. Die Frage drängt sich förmlich auf, wer hier wohl von Dämonen besessen ist.
Sorcerer liefern ein Monument des Heavy Metals ab. Hier bekommt das Headbanging-Herz alles, was es begehrt: Hammerschläge des Doom, neoklassische Flitzefinger-Orgien und Refrains der Güteklasse M (Maiden, Manowar, Metallica). Ob die heilige Inquisition noch als origineller Aufhänger durchgeht: geschenkt! Immerhin liefern die Lyrics griffige Slogans, die sich auf den hoffentlich bald wieder exerzierten Live-Auftritten grölen lassen, wie der fantastische Opener "The Hammer Of The Witches" beweist - und jetzt alle: BURN! WITCH! BURN!
2 Kommentare mit 2 Antworten
Ganz, ganz stark!
5/5....also 1985!
Heutzutage 1/5!
Deswegen besteht die Review auch zu 90% aus Vergleichen mit anderen Bands/Songs. Diese Musikrichtung gibt halt nichts neues her.
Die Qualität von Musik richtet sich nicht nach Zeitgeist und/oder Originalität.