laut.de-Kritik
Die Berliner besinnen sich auf ihre harten Tugenden.
Review von Toni HennigTanzwut blieben im Laufe der mehr als zwanzigjährigen Karriere ihrer Mischung aus treibendem Rock und mittelalterlichen Marktsackpfeifen, angereichert mit einem Schuss Elektronik, meist treu. Des Weiteren konnten die Berliner um Front-Sympathikus Teufel vor drei Jahren mit "Schreib Es Mit Blut" nach einigen schwächeren Platten wieder zu Kollegen wie In Extremo aufschließen. Nun besinnen sie wieder auf ihre harten Tugenden.
Das Titelstück knüpft mit hymnenhaftem Refrain an den Vorgänger an: Renés kraftvolles Gitarrenspiel und unverkennbar melodische Sackpfeifen von Pyro und Bruder Schlaf. Der Track hat eine Menge Wucht, die man in der Form von Tanzwut bisher selten vernahm. Zudem deutet der Text an, worum sich ein Großteil der Platte dreht: fantastische Geschichten zwischen Wahrheit und Illusion. In "Reden Ist Silber" und "Ich Bin Der Nachtwind" kommt noch eine Prise Mystik hinzu.
Trotzdem scheuen sich die Hauptstädter nicht, den Finger auch in die Wunde zu legen und politische Missstände anzusprechen: Sie kritisieren Krieg ("Die Letzte Schlacht"), Gier ("Schwarzes Gold"), Manipulation ("Der Puppenspieler") und Gewissenlosigkeit ("Das Gewissen").
Zusätzlich bekommt der Sound mehr und mehr eine Metal-Schlagseite, allen voran "Galgenvögel", das mit knackig präzisen Riffs und bedrohlichen Sackpfeifen-Klängen zum Totentanz lädt. "Reden Ist Silber" bietet midtempolastigen Rock im NDH-Stil, unterlegt vom dezenten Keyboard-Spiel Alexius'.
In dieser Schnittmenge bewegt sich bis auf die wenigen balladesken ("Ich Bin Der Nachtwind") und traditionell folkigen ("Herrenlos Und Frei") Zwischentöne auch das restliche Material. Und so mangelt es der Scheibe ein wenig an Abwechslung, zumal Tanzwut inhaltlich nicht unbedingt mehr aufzuweisen haben als andere Spieltruppen im Mittelalter-Rock.
Da bildet "Francoise Villon", Tanzwuts Hommage an dem gleichnamigen spätmittelalterlichen Dichter, eine willkommene Ausnahme. Dieser hielt in seinen Liedern und Gedichten das Leben der Zechbrüder, der Kriminellen und der Prostituierten in der Pariser Untwerwelt im mittleren 14. Jahrhundert glaubwürdig fest. Zudem verfiel er selbst der Trinkerei, der Hurerei und dem Verbrechen, wenn man den wenigen, spärlichen Überlieferungen über seine Person Glauben schenken mag.
Als Poet zeichnete er sich durch wörtliches Feingespür und eine vielfältige thematische Palette aus, die sich über lebenslustige und anstößige Verse bis hin zur demütigen Bitte um Gnade, als er angeblich für seine Taten am Galgen gerichtet werden sollte, erstreckt.
Demzufolge findet man sich zu mittelalterlichem Instrumentarium direkt in einer finsteren Gasse der französischen Hauptstadt vor mehr als 600 Jahren wieder. Dort kommt es im Text zum Aufeinandertreffen zwischen Teufel und Dichter. Der dramatisch rockige Refrain erweist sich schließlich als melancholische Liebeserklärung: "Mein dunkles Herz, Francoise Villon."
Ebenso gibt zuvor "Der Puppenspieler" mit schneidenden Riffs und einprägsamem Refrain eine gute Figur ab. Mit "Gib' Mir Noch Ein Glas" ertönt später noch eines der Trinklieder, wie man sie von Tanzwut kennt. Es handelt von Freundschaft und feuchtfröhlichen Kneipenabenden. Für die zweite Version des Songs hätten sich die Berliner aber jemand anderes als Torben von Kärbholz holen können, pflegen die Heavy-Punker aus NRW doch Kontakte zu den als rechtsoffen in der Kritik stehenden Südtirolern Frei.Wild.
Genauso trinkselig gestaltet sich "Herrenlos Und Frei", das zwischen modernem Deutschrock und klassischer Sackpfeifen-Arbeit die guten alten Zeiten innerhalb der Band wiederaufleben lässt. Demgegenüber steht allerdings so manch Verzichtbares. Theatralisches Lindemann-Gehabe inklusive unzählige Male gerolltem R zu halbgarem NDH-Gebratze in "Schwarzes Gold"? Braucht nun wirklich keiner.
Ein ähnliches Bild zeichnet sich in "Das Gewissen" ab, das mit seinem geradlinigen Refrain zumindest wieder einiges an Boden gut macht. Ganz anders "Im Freien Fall", wenn Teufel unzählige Male in aufdringlicher Campino-Manier davon singt, "für den Augenblick" zu leben, während im Hintergrund blutleere Riffs und Breakbeats erklingen. Die hätten schon vor über zwanzig Jahren keine Hexe mehr vom Scheiterhaufen gelockt.
Insgesamt fischen Tanzwut im Gegensatz zu anderen Genrevertretern wie Subway To Sally und Saltatio Mortis jedoch nicht zu sehr in befindlichen Hosen-Gewässern. Dadurch bewahren sie sich ein Stück weit ihre Erdigkeit und ihre raue Faszination. "Seemannsgarn" erfindet das Rad nicht neu, wirft aber mehr als eine Handvoll Ohrwürmer ab.
3 Kommentare mit einer Antwort
Das hört sich so endlos mies an. Wer hört diese Mittelaltershice ernsthaft, außer vllt ein gotischer Anwalt?
nur, wenn er dafür bezahlt wird.
Absoluter Kernschrott. 1/5 selbstverständlich.
Musik zum Metschlürfen auf dem lokalen Mittelalterfestival. 1/5