laut.de-Kritik
Sozialkritische Vibes aus dem Haus der Marley-Söhne.
Review von Philipp KauseThird World, 'Dritte Welt', war einmal ein positiv besetzter Begriff. Als der Gegensatz zwischen kommunistischem Ostblock und kapitalistischen Weststaaten sich in den 1950ern verhärtete, nahm die 'Dritte Welt' in mehreren Stufen Gestalt an. Zunächst lockerer, dann stärker organisiert und schließlich als Untergruppe der UN arbeiteten 77 Staaten, vor allem aus Afrika, Lateinamerika, der Karibik und Asien, unter dem Namen Third World auf Englisch zusammen.
Arbeit gibt es bis heute genug, findet die Band Third World: "There's more work to be done!", postulieren sie im melancholischen Titelstück zu ihrem Comeback-Album. Sie denken an die Zersplitterung der Welt entlang von Hautfarben und Religionen ("People Of A Different Colour") - froh, auf ihrer Insel Jamaika manches Insel-Privileg genießen zu dürfen: "Island Dreams".
Im so betitelten Gastbeitrag trällert die Sängerin Tessane Chin inbrünstig: "I'm on top of the world / I'm an island girl with my island spice / with my island curse / my island voice / Through all the tears and sacrifice / still I do believe in paradise!" Den Glauben ans Paradies hatten mit dem Fall der Berliner Mauer und dem Ende des 'Ost-West-Konflikts' viele, und wenn wir '30 Jahre Mauerfall' im Herbst 2019 feiern, sollten wir es kritisch tun. Nach 1989 nahm der Begriff "Dritte Welt" nur noch negative Bedeutung an, degenerierte zum Tabu-Begriff. Von den christlichen Kirchen über Sozialforscher bis zur Bundeszentrale für politische Bildung, alle trichterten sie uns den Politically Correct-Sprech ein, doch über "sich entwickelnde Staaten" zu reden.
Nur verwischt der Begriff das Problem. Denn da entwickeln sich drei Dinge: zum Einen Import vorgefertigter Elektronik, Kleidung und Nahrungsmittel, zum Zweiten Auswanderung der am besten ausgebildeten Leute und zum Dritten - immerhin - ein oft besser ausgebautes Handy- und Glasfasernetz als in Deutschland. Wobei eben auch mit vielen Lücken, zumindest aber gut für Musiker, die bei Mangel an Presswerken zumindest digital veröffentlichen können und denen lange nur das Cassetten-Tape verfügbar war. "Jeder ist jetzt bei irgendeiner Plattenfirma, wegen des Internets", analysiert Cat Coore, Gitarrist und Gründer von Third World.
Ihre erste große Zeit hatte die Band, als man noch 'Dritte Welt' sagen durfte. Kurz erinnert: "Lagos Jump", "Now That We Found Love", "We The People (Of The World Want Peace)" und "Reggae Party" zusammen mit Shaggy gehen auf ihr Konto. Nachdenkliche, aber optimistische Texte und lockere, aber konzentrierte Good Vibes-Sunshine-Songs mit tieferer Bedeutung - beides bieten sie seit 1976 und auch jetzt.
Die zweite große Zeit kam dann Ende der 90er/Anfang der 2000er als gerne gebuchte Festival-Band. Die Gruppe machte zwar weiter, nur merkten wir davon nichts, und auch in Jamaika spielte sie keine Rolle mehr. Die USA und Frankreich blieben ihnen als Restmärkte, zumal in beiden Ländern Rock-gefärbter Roots Reggae über die letzten Jahre an Bedeutung gewann. Aktuelle Tracks auf dem Album wie "YimMasGan" und "Hear Us Out" sind eine Referenz an jene Phase. Mit Querflöte und E-Gitarre ausgestattet, klingen sie nicht nach Karibik - sondern nach Classic Rock, auf einem Reggae-Beat, sicher mit Roots-Lyrik. Kein Wunder, denn der Gitarrist benennt Carlos Santana als größtes Vorbild.
"Ich denke, dass die Reggaekultur sich in Amerika erst kürzlich verbreitet hat, weißt du", meint Cat Coore: "Es gibt alle diese 'weißen' Bands aus Kalifornien, die einen guten Job machen. Du hast Jungs wie SOJA und Rebelution, und deren Erfolg zeigt, dass es jüngere Leute gibt, die Reggae hören und die Musik kennen. Das macht uns zu Veteranen", überlegt der Gitarrist im Interview mit dem US-Blog Offbeat. "Weil Leute denken, 'Hier sind die Jungs, die auf Rebelution ihren Einfluss ausgeübt haben!'"
Nun greift Damian Marley zu. Das Album auf dem von seinen Brüdern Ziggy und Stephen gegründeten Label Ghetto Youths International - zufällig auch im Jahr des Mauerfalls gegründet. Wie der Name sagt, geht es um die jungen Menschen weltweit, die in irgendwelchen 'Ghettos' leben.
Es müsse doch möglich sein, dass inzwischen alle miteinander klar kommen, zum Wohle der nächsten Generationen, heißt es in "People Of A Different Colour": "People of a different colour / praying to different names / try to find a way to get along with each other / do it for the childrens' sake." Die stoisch-gelangweilte Gesangstonlage signalisiert, dass sie langsam ungeduldig werden und so sanft wie stetig an immer dasselbe erinnern. Dem Gast Pressure Busspipe überlassen sie unter plötzlich einsetzenden dubbigen Effekten die große Bühne: Seine Emotionalität fällt im Kontrast auf. "Strictly positive" shoutet er für Liebe, Harmonie und Respekt für den uns anvertrauten Planeten. "In Einigkeit haben wir so viele Möglichkeiten", mahnt er, dramatisch toastend: "Put the differences aside!" - andere würden sagen, Unterschiede belebten den Wettbewerb, der Wettbewerb das Geschäft, survival of the fittest, ya know, my bro. Hier dagegen entspinnen Third World eine eigene heile Welt.
Statt selbst mal öfter als im Schnitt alle sieben Jahre ein Album rauszubringen, gießt der Junior Gong im einzigen schwachen Tune der Platte seine Rap-Pop-Dance-Reggae-Mixtur über "Not The Only One (ft. Damian Marley)" aus. Auch der stärkste Tune hat einen Gast, "Feel Good (ft. Busy Signal)", mitreißender, euphorischer Reggae-Funk mit Vocoder oder Talk Box, jedenfalls Stimmverfremdung. Busy Signal wirft damit schon einmal den Anker für sein eigenes Comeback-Album.
Generell überwiegen die Songs mit belebendem Tempo. Mitunter quietschen die Saxophone bis zum Anschlag. Der Bassgitarren- und Snare Drum-getriebene Smash Tune "Third World Keeps Turning" oder auch "Loving You Is Easy" bedienen die Rock-Stilistik. Letzteren, vorab als Single unterwegs, möchte man einen typischen Track von Inner Circle nennen. Doch er kommt wirklich von Third World und ruft viel Bekanntes in Erinnerung: Im Intro steckt ein bisschen America mit "A Horse With No Name". Die originalen Bob Marley- und Jimmy Cliff-Vibes der 70er, als Reggae an Rock- und Pop-Melodien und Instrumentierungen angeknotet wurde, verbreitet der Song auch weiter.
Mit "Island Dreams" kreiert die Band einen neuen Rasta-Tune für die Ewigkeit, der sich wie Filmmusik anhört und den Subgenres Lovers' Rock, Rocksteady und Soul-Reggae einen neuen Klassiker hinzufügt. Grandios an dieser Platte sind über die Basics wie Melodien, Texte und Professionalität hinaus auch die Spritzigkeit und der Optimismus: "I fought for the good vibe (...) and always kept the faith."
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