4. August 2012
"Freiheit war mir wichtiger als Kohle"
Interview geführt von Kai ButterweckMan stelle sich einmal folgendes vor: Ein junges aufstrebendes Fußball-Talent bekommt unverhofft eine Offerte vom Liga-Krösus des Landes. Plötzlich stehen große Summen im Raum und das Tor zum Sport-Olymp meilenweit offen. Einziger Wermutstropfen: Der Trainerstab bestimmt, wo es lang geht und stellt den Newcomer dort auf, wo er es für richtig hält. Selbstbestimmung? Fehlanzeige. Aber wen kümmert's? Hauptsache: Beletage. Man muss kein Prophet sein, um sagen zu können, dass die meisten Lederball-Greenhorns ohne mit der Wimper zu zucken dem vermeintlichen Ruf des Ruhmes und des Geldes folgen würden.Nicht so Tiemo Hauer. Der ist zwar kein Fußballer, sondern Sänger; aber ihm wiederfuhr vor nicht allzu langer Zeit Ähnliches. In seinem Fall hieß der FC Bayern München Universal und die ungeliebte Verteidiger-Position war der Button, auf dem stand: weichgespülter Schmuserocker. Tiemo rockt aber auch ganz gerne, liest selten die Bravo und hat keine Lust auf eine Fönfrisur. Wilde Locken findet er viel cooler. Also trabte der Stuttgarter noch vor der Veröffentlichung seines Debütalbums zum Hofe des Industrie-Riesen, ließ seinen Vertrag auflösen und kümmerte sich fortan selbst um die eigenen Geschicke.
Die einen schüttelten den Kopf, doch alle ihm wichtigen Menschen applaudierten dem Rebellen, in der Hoffnung, dass sich dieser mutige Schritt irgendwann auch auszahlen sollte. Und das tat er dann auch. Sein Erstlingswerk "Losgelassen" – selbst produziert und in Eigenregie veröffentlicht – sorgte unter Freunden entspannter Piano-Pop-Ergüsse mit deutschen Texten für erste Augenaufschläge. Nur ein Jahr später legt der Stuttgarter dieser Tage mit "Für Den Moment" nach.
Um einiges kantiger und rockiger präsentiert sich der junge Barde anno 2012 und lässt dabei die wachsende Anhängerschaft an seinen persönlichsten Momenten des vergangenen Jahres teilhaben. Wir verabreden uns mit dem DIY-Fetischisten kurz vor dem Release in Berlin, und treffen auf einen selbstbewussten jungen Mann, der weiß, was er will und sich rundum wohl in seiner Haut fühlt.
Hallo Tiemo, in wenigen Tagen erscheint dein zweites Album. Wie ist momentan dein Gemütszustand? Ist es ein anderes Gefühl als beim Debüt? Bist du aufgeregter?
Tiemo: Ich bin auf jeden Fall aufgeregter. Das neue Album hat für mich eine viel größere Bedeutung als mein Debüt. Das liegt in erster Linie daran, dass ich noch viel mehr alleine in die Wege geleitet habe. Außerdem habe ich einen viel größeren und greifbareren Bezug zum Inhalt, da die Scheibe innerhalb eines Jahres entstanden ist. Beim Vorgänger war es eine Ansammlung von Songs, die ich im Alter von fünfzehn, sechzehn oder siebzehn Jahren geschrieben hatte. Die besten fanden dann halt den Weg aufs Album. Diesmal steckt wesentlich mehr Struktur und Kompaktheit dahinter, so dass ich dieses Album noch weitaus mehr als mein Baby bezeichnen würde als mein Erstes.
Ich muss gestehen, dass mir "Losgelassen" aufgrund der doch sehr poppigen Basis nicht ganz so gut gefallen hat. "Für Den Moment" finde ich da schon wesentlich prickelnder, weil es zeigt, dass du auch eine kantige Seite hast, die mitunter auch schon rockig daherkommt. Ist das eher eine Momentaufnahme, oder fühlst du dich grundsätzlich mehr dem Rock, als dem Pop zugewandt?
Tiemo: Ich höre definitiv mehr Rock- als Popmusik (lacht). Und ich denke, dass das die Leute auch in Zukunft immer mehr heraushören werden. Ich stehe total auf Band-lastigen Sound. Sigur Ros und Arcade Fire laufen bei mir zuhause rauf und runter.
Warum dann ein Album wie "Losgelassen", das, gelinde gesagt, doch eher weniger mit druckvollem Indie-Sound à la Sigur Rós oder Arcade Fire zu tun hat?
Tiemo: In erster Linie wusste ich damals einfach nicht, wie es funktioniert. Dazu kamen natürlich auch Songs, die ich als Teenager geschrieben hatte. Heute bin ich ein ganz anderer Mensch. Ich bin aber auch ein anderer Musiker geworden. Ich habe mich am Klavier verbessert und mittlerweile auch Gitarre spielen gelernt. Damals war es einfach so, dass ich noch relativ unbeholfen am Klavier war und halt diese Texte hatte. Da kamen dann irgendwie nur Balladen bei raus (lacht). Inzwischen hat sich aber auch mein Musikgeschmack ein bisschen verändert. Da kommt dann eins zum anderen. Ich bezeichne meine Musik zwar weiterhin als Pop, aber mit einer wesentlich rotzigeren Attitüde als noch zu Beginn. Und in die Richtung wird es auch weitergehen.
"Das Traurige in meinen Texten ist nur eine Seite"
Du sagst, es hat sich seit deinem ersten Album viel verändert bei dir. Inwiefern hat sich das auf die Entstehung deines neuen Albums ausgewirkt?Tiemo: Diesmal war eigentlich alles anders. Wir waren nach dem ersten Album insgesamt dreimal auf Tournee. Erst im Sommer, dann im Herbst und dann auch noch mal im Februar im Jahr darauf. Während dieser Zeit habe ich permanent geschrieben; ob im Tourbus, Backstage oder zuhause, wenn wir einige Tage Pause hatten. Irgendwann ist man dann in so einem Rhythmus drin, der nicht mehr aufhören will.
Ich habe so viel erlebt während dieser Zeit und massenhaft spannende Leute getroffen und tolle Gespräche geführt, die mir immer wieder neues Material für meine Songs zuspielten, so dass ich irgendwann gemerkt habe, dass ich schon wieder genug Zeug zusammen hatte, um ein neues Album anzugehen. Alles war sehr frisch, und ich wollte dieses Gefühl nicht verlieren, also habe ich mir gesagt, warum nicht? Dann habe ich mir die besten Songs rausgesucht und bin damit ins Studio.
Du spielst nicht nur Klavier, sondern freundest dich auch immer mehr mit der Gitarre an. Glaubst du, dass mittelfristig eine Wachablösung in punkto Instrumentenwahl ins Haus steht, wenn es um die Entstehung von Songs geht?
Tiemo: Momentan schreibe ich wirklich fast ausschließlich auf der Gitarre, obwohl das Klavier immer noch das Instrument ist, das ich am besten beherrsche. Aber so langsam entsteht ein Gleichgewicht. Ich merke einfach, wie ich mit der Gitarre immer mehr dahin komme, wo ich bisher nur mit dem Klavier hinkam. Mein Wunsch ist es, irgendwann mit beiden Instrumenten gleich schnell zum Ziel zu kommen. Das würde die Arbeit im Vorfeld immens erleichtern, weil ich verschiedene Herangehensweisen hätte.
Deine Texte sind oftmals sehr melancholisch und animieren zum Nachdenken. Bist du oft traurig?
Tiemo: Das fragen mich viele; aber nein, wer mich kennt, der weiß, dass ich eher mit Freude und Lebenslust durch den Tag gehe. Vielleicht liegt es auch daran, dass ich im Privaten nicht der Typ bin, der mit seinen Gefühlen allzu offen hausieren geht. Ich kann mich wesentlich besser ausdrücken, wenn ich die Möglichkeit habe, Dinge aufzuschreiben. Das Traurige in meinen Texten ist aber auch nur eine Seite. Ich finde, man kann viele Texte auch anders interpretieren, so dass etwas Positives übrigbleibt.
Dazu fällt mir spontan der Song "Die Kapelle" ein.
Tiemo: Ja, das ist ein Paradebeispiel. Ich weiß nicht, wie viele Leute mich schon angesprochen haben, ob ich während des Schreibens dieses Songs irgendwelche Suizid-Gedanken hatte (lacht). Dabei geht es eher darum, sein Leben zu leben.
Würdest du diesen Song als eine Art Eckpfeiler des Albums bezeichnen, ohne den das Ganze nicht funktionieren würde?
Tiemo: Ja, schon. Der Song ist mir mit am wichtigsten, denn er macht deutlich, dass es nicht immer nur eine Sicht der Dinge gibt. Bei mir wiederholt sich auch viel und trotzdem gibt es Tage, an denen ich alles Scheiße finde und andere, an denen ich alles genieße.
"Ich wollte mich auf keinen Fall verstellen"
Welche Momente gab es im letzten Jahr, neben den vierzehn auserwählten auf deinem Album, noch, die dir nachhaltig in Erinnerung geblieben sind?Tiemo: Das ist wirklich schwer. Es ist so viel passiert, dass ich eigentlich gar nicht wüsste, wo ich anfangen soll (lacht). Am schönsten sind all die Erinnerungen an die vielen Konzerte, die wir gespielt haben; wenn man mit der Band loslegt und man sich für eine Zeit so dermaßen in einem eigenen Kosmos verliert, dass man sich danach anguckt und auf der Bühne das Lachen anfängt: Das sind unvergessliche Momente, und von diesen hatten wir wirklich viele im letzten Jahr.
All das war nicht selbstverständlich, denn es hätte auch sein können, dass du dir mit der Entscheidung, deinen Major-Vertrag noch vor der Veröffentlichung deines Debüts auflösen zu lassen, ins eigene Knie schießt.
Tiemo: Ja, das stimmt schon. Aber andererseits würdest du dann jetzt mit einem anderen Tiemo Hauer sprechen; einem weichgespülten und auf Teenie-Zeitschriften zugeschnittenen Künstler, der irgendwelche Marketing-Vorgaben erfüllt, nur damit genug Geld fließt. Versteh mich nicht falsch, die Leute bei Universal waren alle sehr nett und auch kompetent, aber wir waren in Bezug auf meinen Werdegang einfach nicht auf derselben Wellenlänge. Ich wollte mich aber auf keinen Fall verstellen, und so habe ich halt die Entscheidung getroffen, die Dinge selbst in die Hand zu nehmen. Zum Glück hat's funktioniert.
Hand aufs Herz: Wie viele Leute aus deinem näheren Umfeld haben während dieser Zeit ungläubig mit dem Kopf geschüttelt?
Tiemo: Es gab schon einige, die der Meinung waren, ich würde einen großen Fehler machen. Aber auf der anderen Seite gab es auch viele, die mich dabei unterstützt und bestärkt haben, meinen eigenen Weg zu gehen. Mir war meine Freiheit einfach wichtiger, als der Ausblick auf vermeintlich viel Kohle. Ich mache dem Label aber keinen Vorwurf, denn das ist eine Firma, die Geld verdienen will. Mir war einfach nur wichtig, ich selbst bleiben zu können.
Ist dir Kontrolle generell wichtig in deinem Leben?
Tiemo: Ich glaube, bis zu einem gewissen Punkt schon. Aber ich würde mich jetzt nicht als Kontollfreak bezeichnen. Ich bin eigentlich ein Typ, der immer ziemlich verpeilt ist, von vielen Hintergrunddingen keinen Plan hat und froh ist, wenn er Leute um sich hat, die ihm dabei helfen. Sobald es aber um künstlerische Dinge geht, halte ich schon ganz gerne meine Hand drauf. Denn die Musik und alles was ich damit verbinde, ist mir das Wichtigste, und da will ich genau wissen, was abläuft. So kann ich mir selber auf die Schultern klopfen, wenn etwas gut läuft, und muss aber auch keinem anderen die Meinung geigen, wenn mal was in die Hose geht.
Ich will einfach all das, was ich selber machen kann, auch wirklich selber machen. Ein Album, auf dem mein Name draufsteht, aber hunderte Leute dran mitgewirkt haben, ist einfach nicht mein Ding. Ich lasse mir aber auch gerne helfen, so ist es nicht. Es muss am Ende aber etwas herauskommen, hinter dem ich zu hundert Prozent stehe. Es gibt ja auch einige Parts auf dem Album, die von meinen Band-Kollegen oder von Studiomusikern eingespielt wurden. Damit habe ich überhaupt kein Problem, ganz im Gegenteil. Es muss halt nur so klingen, wie ich das gerne hätte.
In dieser Zeit hatte ich mich gerade besonders intensiv mit der Gitarre beschäftigt. Am Ende ging es dann sogar so weit, dass wir nachträglich noch Gitarrenspuren ausgetauscht haben. Das lag aber nicht daran, dass ich irgendetwas technisch versierter einspielen konnte, sondern am Grundgefühl, zu wissen, auch auf dieser Ebene etwas dazu beigetragen zu haben.
Andere Labels brauchen also momentan gar nicht erst bei dir anklopfen?
Tiemo: Nein, so wie es ist, ist es wunderbar. Ich habe mein kleines eigenes Label, und das funktioniert gerade alles wunderbar. Ich hatte letztens ein Radio-Interview, in dem der Moderator plötzlich meinte, ich solle doch einfach mal einen Aufruf starten. So nach dem Motto: ich hab zwar ein duftes Album und auch ein eigenes Label am Laufen, aber so eine größere Maschinerie im Hintergrund wäre wesentlich hilfreicher. Also nahm ich mir das Mikro und sagte, dass alle Labels bitte schön fernbleiben mögen. Die haben natürlich erst einmal alle ziemlich verdutzt aus der Wäsche geguckt; aber als sie dann die Hintergründe verstanden haben, fanden sie es alle ziemlich cool.
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