laut.de-Kritik

Wunderbar dichte Träume zwischen Krautrock und Post Punk.

Review von

Herzlich willkommen im Traum des Nils Herzogenrath. Unter seinem Projekt Vomit Heat veröffentlicht der Kölner sein "Second Skin". Es ist keine Hülle, die er sich überstreift, sondern die Abbildung eines langen, luziden Wachzustandes. Zwischen Krautrock, Dream Pop und Post Punk verliert er sich in Sounds und Riffs, lädt seine Zuhörer*innen ein, ihm zu folgen. Dabei schleift er seiner Musik jegliche Härten und Kanten ab, so dass sie hypnotisch in sich versinkt. In keinem Song ist diese Luzidität so greifbar wie in "Leere (feat. Stella Sommer)". Sommer intoniert ihre Zeilen mit der Klarheit eines Dirk Von Lowtzow, während Herzogenrath um sie herum eine wunderbar dichte, zirkulierende Atmosphäre schafft.

Inhaltlich geht es, entsprechend des Titels, um Isolation, Einsamkeit und Dissoziation. Aus dem Post Punk erwächst ein Stück großer Pop, beseelt von Schwerelosigkeit. Herzogenrath schichtet Soundstrukturen aufeinander, bis sie vor lauter Reibung aneinander ganz sanft werden. Das zirkuläre Gitarrenriff könnte auch auf einem Camera-Album auftauchen und dort Spontaneität verkörpern, auf "Second Skin" wird es zur angenehmen Traumbegleiter.

"Coincidences" könnte anfangs durchaus auf einem International Music-Album stattfinden. Wird es auch, denn Vomit Heat begleitet die Essener Wunderknaben auf ihrer großen Frühjahrstournee. Doch Herzogenrath bastelt aus seinem trockenen Schlagzeug-Groove keine Neo-Blues-Nummer, sondern nimmt konsequent die Ausfahrt in Richtung Shoegaze. Dazu singt er Thom Yorke-artig in Kopfstimme, lässt Feedback-Loops laufen.

So erschafft Herzogenrath immer wieder eine wahrhaftig psychedelische Atmosphäre. Der International Music-Gastauftritt "Heute" verliert sich fast in einem Kraftwerk-artigen Beat, der unaufhaltsam seine Bahnen zieht. Doch wo die Krautrock-Pioniere auf mechanische Präzision setzten, klingt "Second Skin" weiterhin warm und menschlich. Der überraschend tanzbare Closer "Sweat Days" mischt dem Krautrock verspielten Funk bei, klingt irgendwie nach Mac DeMarco, aber so, als wäre der Kanadier auf die Kunsthochschule gegangen. Die Synthesizer springen wie Flummis durch den Song, Herzogenraths Stimme ist mit Hall belegt, während er durch die Stratosphäre driftet. So sollen doch bitte meine Träume klingen.

Immer wieder verliert sich "Second Skin" in seinen unzähligen Klangschichten. Es driftet vor sich hin, nie vollständig kontrolliert. "Dematerialize" ist für mehr als fünf Minuten von einem einzigen Gitarrenriff durchzogen. Wie ein Lehrstück für Anfänger*innen wandert der Song die Skala hinab und wieder hinauf. Diese Repetition hält so lange an, bis der Song, passend zum Titel, fast in ihr zusammenbricht. Das Auseinanderfallen, die Entwicklung hin zur Nichtexistenz findet sich immer wieder auf dem Album. Ganz wie Träume Wendungen nehmen und abrupt aufhören zu existieren, so gibt auch Herzogenrath seinem Album Momente der Langwierigkeit, gefolgt von spontanen Ausbrüchen aus der Monotonie.

Auf das langsame, von indisches Sitar-Musik durchwobene "Ornamental Sight" folgt das beschwingte "Different Life". Wie ein Traumwandler bewegt sich Herzogenrath zwischen diesen Polen. Wo er aus dem Post Punk die Düsternis übernimmt, so denkt er auch immer an die Helligkeit all des großartigen Pops, der sich aus dem Post Punk entwickelt hat. Die umwerfende Vorabsingle "I'm Over You" ist ein Meisterwerk aus hypnotisierendem Bass, dem beschwörenden "I'm over you" und Feedback-Schleifen. Der Song ist gleichzeitig unvorstellbar dicht und dennoch feinteilig. Jeder Effekt, jeder Sound sitzt in Perfektion.

Trackliste

  1. 1. I'm Over You
  2. 2. Dematerialize
  3. 3. Leere (feat. Stella Sommer)
  4. 4. Anxiety
  5. 5. Dream OD
  6. 6. Coincidences
  7. 7. Close To Invisible
  8. 8. Ornamental Sight
  9. 9. Different Life
  10. 10. Heute
  11. 11. Sweat Days

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