laut.de-Kritik
Mit großem Songwriting gegen den Weltschmerz.
Review von Alexander KrollKunst auf dem Weg zur Perfektion: "Why can't I change?" fragte die kalifornische Singer-Songwriterin Natalie Mering alias Weyes Blood 2011 auf ihrem Debütalbum "The Outside Room" immer wieder inmitten weiter und rauschender Soundschichten. Als der siebenminütige Experimentaltrack "In The Isle Of Agnitio" sein Finale erreicht, spiegelt sich die Ausgangsfrage im hypnotischen Mantra der Worte "You can change".
Seit ihrem Start vor zwanzig Jahren hat Mering eine herausragende künstlerische Verwandlung und Verfeinerung vollzogen. Nach frühen Experimenten mit Noise-Rock-Bands und ausschweifenden Psych-Folk-Klanglandschaften auf ihren ersten Alben, präsentierte sie 2019 auf ihrem vierten Erfolgsalbum "Titanic Rising" großes, klassisch orientiertes Folk-Songwriting über die Härten unserer Zeit.
"And In The Darkness, Hearts Aglow" knüpft als zweiter Teil einer Weltschmerz-Trilogie nahtlos an "Titanic Rising" an und arrangiert die Themen noch drastischer und die Musik noch mächtiger. In einem Brief an die Hörer*innen schreibt Weyes Blood: ""Titanic Rising" war eine Beobachtung des bevorstehenden Untergangs. Das neue Album handelt von der nächsten Phase, in der wir uns jetzt befinden. Im Dunkeln nach Sinn tasten in einer Zeit der Instabilität und des unwiderruflichen Wandels".
Gegen die Dunkelheit modelliert Mering meisterlich mit Licht. Unter dem Brennglas der pandemischen Isolation verschmilzt die 34-jährige Kalifornierin persönliches und globales Leid zu zehn eindringlichen Elegien (bzw. acht, abzüglich der Intermezzi "And in the Darkness" und "In Holy Flux"). In Co-Produktion mit dem Multi-Instrumentalisten Jonathan Rado vom Indie-Rock-Duo Foxygen entwirft Merings nahe, warme Stimme im orchestral unterfütterten 70s-Folk- und Soft-Rock-Großformat eine sphärische, spirituelle Reflexion, die dem Bandnamen alle Ehre macht ("Weyes" ersetzt als Kunstwort den Begriff "Wise" aus einstiger Vorsicht vor Rechtsstreitigkeiten mit der 80er-Industrial-Band Wiseblood).
Als ausladende Ouvertüre verarbeitet "It's Not Just Me, It's Everybody" das Schlüsselthema der Isolation. "Unsere Kultur verlässt sich weniger und weniger auf Menschen", schreibt Mering in ihrem Brief, "Etwas passt nicht und auch wenn das Gefühl jedem anders vorkommt, ist es universell". Umgeben von einem reduzierten, ätherisch nostalgischen Klangrahmen beobachtet, beklagt und tröstet Weyes Blood sich und die Welt im Stil großer Singer-Songwriterinnen wie Joni Mitchell oder Carole King ("Living in the wake of / Overwhelming changes / We've all become strangers / Even to ourselves").
Gezielt spiegeln sich Variationen der Entfremdung im Bild der Vereinigten Staaten. "Children Of The Empire" zelebriert mit Schwung und barocken Vignetten einen Abgesang auf den American Dream ("Children of the empire say / That we're long gone / In that eternal flame / Trying to break away / From the mess we made"). "Grapevine" verzahnt das Motiv eines Unfalls auf der US-Autobahn Interstate 5 mit der Erinnerung an eine gescheiterte Liebesbeziehung ("California's my body / And your fire runs over me / My car broke down / In an old ghost town right around / Where they got James Dean"). Als emotionales Gemälde verborgener Wunden durchläuft das Lied eine mitreißende Entwicklung vom leisen Gitarrenflüstern bis zum aufrüttelnden Heartland-Gipfel mit Echo-Effekt.
Neben Bildern der Moderne nutzt Weyes Bloods brillante Zeitdiagnose auch älteste Symbole. Faszinierend hält "God Turn Me Into A Flower" der Menschheit den Spiegel vor, indem es den Narziss-Mythos auf eine umweltvergessene Hybris bezieht ("You see the reflection / And you want it more than the truth"). Zwischen schwebenden Synthesizer-Klängen des Electronica-Künstlers Oneohtrix Point Never und lauter werdendem Vogelgezwitscher gelingt Natalie Mering eine kosmische Meditation auf Enyas Spuren. Im titelgebenden Folk-Höhenflug "Hearts Aglow" orientiert Weyes Blood das Bild des leuchtenden Herzens, das auch das Cover ziert, trotz aller Irrungen und Wirrungen letztlich als Symbol der Zuversicht. "Ich sehe das Herz als Wegweiser, mit einem Hauch von Hoffnung, der in diesem dunklen Zeitalter durchscheint", heißt es im Booklet.
Obwohl das verspielte Pop-Chanson "The Worst Is Done" kurz vor Schluss mit einer Verschlechterung der Lage kokettiert ("They say the worst is done / But I think it's only just begun"), stehen die Zeichen doch deutlich auf Besserung. Mering hat bereits bestätigt, dass das letzte Album ihrer Trilogie von Hoffnung handeln wird. Bleibt nur die Frage: Wenn sich schon der Untergang so gut anhört, wie viel besser kann da Zuversicht noch klingen?
9 Kommentare mit 9 Antworten
Sie schreibt tatsächlich ziemlich gute, fast geniale Songs. Die Hauptmelodien könnten besser sein. Aber ist schon sehr beachtlich! Danke für den Tipp!
joni mitchell-abklatsch der hunderdrölfste. dann lieber laura marling.
Das ist doch kein Abklatsch kann man gar nicht mit Joni Mitchell vergleichen.
du könntest dich auch mal löschen.
Löscht euch einfach beide
Nix Löschung, Jeudi ist hier Ehrenmitglied! ????
Dieser Kommentar wurde vor 2 Jahren durch den Autor entfernt.
Dieser Kommentar wurde entfernt.
done.
Das klingt so dermaßen nach Joni Mitchell. Da kann man mal wieder sehen, was Mitchell für eine Übermusikerin ist. Aber dieses Album hör ich mir jetzt auch sehr genau an, der Einstieg gefällt.
Musik für den lautuser
4,5/5
wenn das Musik für den Lautuser ist, wundert mich auch die Bestof2022-Liste nicht... Ja, schöne Musik, Texte okay, aber wo sind der Drive, Soul, Spirit usw.? Für mich zu sehr musikalisches Valium. Rational 4/5, emotional (sorry, das ist bei Mucke nun mal entscheidend) 1-2/5
teil doch einfcah mal deine eigene best of '22 liste, anstatt dich dauernd zu echauffieren
Die Joni-Mitchell-Assoziation springt einem bei der Stimme und dem überwiegend klassischen Folk-Stil, insbesondere im Opener wirklich mit dem Arsch ins Gesicht. Gibt aber Schlimmeres, möchte ich meinen. Und ist angesichts des gefühlten Themenschwerpunkts "Vergangenes" möglicherweise sogar ein bisschen Absicht. Finde es jedenfalls sowohl formell als auch inhaltlich viel interessanter als es eine reine Epigone sein könnte.
Wenns ein Kritikpunkt sein müsste, ist es für mich eher der allgegenwärtige Schönklang, sprich: Es kratzt manchmal ein bisschen an der Grenze zum Kitsch. Das ist es vermutlich auch, was der Höchstwertung für mich am Ende im Weg steht. Die ist aber angesichts der fantastisch arrangierten Song-Kunstwerke auf diesem großartigen Album sicher vertretbar.
Ich freu mich jedenfalls auf Teil Drei und grabe einstweilen mal nach ihren noisigeren Anfängen, vielleicht passt das ja sogar noch einen Ticken besser...