15. April 2011

"Sag mir nicht, ich hätte nicht den Blues!"

Interview geführt von

Seit vielen Jahren erfreuen Within Temptation die Symphonic Metal-Fans regelmäßig mit Tonträgern. Mit "Unforgiven" soll auf einmal alles ganz anders sein. Musikalische Buttercremetorte für Kitschopfer? Oder doch filigraner Klassik-Rock? Sängerin Sharon Den Adel gibt bereitwillig Auskunft. Mit ihrem sympathischen Naturell verteidigt sie sich und ihre Jungs wie eine Löwin gegen kritische Fragen und erklärt den Deutschen, wo der Käse herkommt.Moin Sharon, ihr habt eine neue CD parat. Diesmal sogar ein Konzeptalbum. Möchtest du darüber berichten?

Sharon: Ja, die Konzeptsache ist uns diesmal sehr wichtig. Schon seit ganz langer Zeit möchten wir in irgendeiner Weise für Filme oder mit filmähnlichen Medien arbeiten. Und nun haben wir eben eine Story in der Art eines Comicmovies umgesetzt. Das ist für uns auch alles noch Neuland.

Nun ist die Idee ja im Genre insgesamt so neu auch wieder nicht. Ist das jetzt quasi so ein vorhersehbarer "The Crow"-Rippoff, wie es viele Epigonen vor euch taten?

Ich hoffe nicht. Es ist eigentlich mehr ein typischer Thriller, im Grunde eine Art Detektivgeschichte mit einem ordentlichen Marvel-Touch geworden. Ich möchte hier jetzt natürlich nicht die ganze Storyline enthüllen. Aber wir hoffen alle gerade sehr stark, dass das Publikum damit Spaß hat.

Aber warum ausgerechnet Comic? Nichts gegen das Medium. Aber gerade im Bereich Metal, Alternative und Darkwave greifen fast alle Künstler auf Comics zurück. Keiner schreibt Novellen oder macht Filme etc. Comics überall, zuletzt zum Beispiel My Chemical Romance. Siehst du nicht auch die Gefahr der Beliebigkeit?

Ich glaube, das liegt bei uns vor allem daran, dass wir in der Band altersmäßig doch alle Kinder der 80er sind. Wir haben in unserer Jugend alle Comics verschlungen. Auch die vorfreudige Ungeduld auf die nächste Fortsetzung hat den Kick damals verstärkt. Diese Leidenschaft wollten wir künstlerisch transportieren. Oder nimm doch nur die großartigen Comicfiguren, wie Eddie von Iron Maiden. Der gehört doch auf jedes Cover. Ich will uns jetzt gar nicht direkt damit vergleichen. Aber die dahinter stehende Leidenschaft ist bei uns einfach dieselbe.

Ist das in der öffentlichen Wahrnehmung nicht auch manchmal schwierig: Auf der einen Seite die Begeisterung der Band für ein neues Kapitel. Auf der anderen das Publikum, das alten Wein in neuen Schläuchen fordert?

Natürlich gibt es da ein Spannungsfeld. Aber auch, wenn deine Frage legitim ist: Man darf nicht vergessen, dass ein Musiker gar keine andere Möglichkeit hat, als die eigene Kreativität immer wieder neu auszureizen. Speziell wir sind doch eine Band, die in der Vergangenheit sehr viele Kurswechsel eingeschlagen hat. Aber wir sind immer darauf bedacht, wir selbst zu bleiben und uns durch das eigene Häuten zu individualisieren. Das hat doch eigentlich ganz gut geklappt. Wir sagen uns doch vor jeder neuen Platte: Diesmal wollen wir einfach noch besser sein als vorher. Und am Ende kristallisiert sich dann etwas aus den ganzen internen Einflüssen heraus. So läuft das bei uns. Und einiges macht man als Künstler doch oft auch für sich selbst.

So viele Veränderungen im Design. Doch wie steht es mit dem eigentlichen Produkt, der Musik? Gibt es da Neues?

Einiges trägt natürlich immer unsere Handschrift. Orchester und Chor dürfen nicht fehlen. Aber insgesamt haben wir uns bemüht, die Aufmerksamkeit vor allem auf die Gitarren und Rhythmussektion zu legen. Mehr heavy Stuff, verstehst du? Alles ein wenig direkter und – wenn du so willst – auch rockiger. Das soll alles etwas mehr 'tacky' sein, wenn du verstehst. Auf dem Album findest du einige echte Riffmonster. Manche Songs sind das Heavieste, was wir je machten. Und dazu die catchy Chorusse.

"Pretty Maids? Ich kenne die gar nicht!"

Grundsätzlich teile ich deine Beschreibung. Aber wenn du schon mit dem 80er-Bezug der Band so weit gehst, erklär bitte auch, ob ihr ganz bewusst in Melodieführung und Struktur in typischen Eighties AOR/Hardrockgewässern fischt. Die Rhythmusgitarren klingen doch total nach Kutbands wie den dänischen Pretty Maids

Ich kenne die gar nicht. Robert weiß bestimmt genau, wen du da meinst. Die Ähnlichkeit ist hier wohl eher Zufall. Aber das 80er-Ding ist schon sehr in uns. Das hört man dann auch mal heraus. Das finden wir aber auch okay. Wir würden doch keine Musik produzieren, die wir selbst gar nicht mögen und leben können.

Dann lass uns doch mal gemeinsam eine Bezeichnung für eure Musik finden. Was macht ihr da eigentlich seit so vielen Jahren? Ist es Gothictheater, Symphonic Metal, Opera-Rock oder Dream Core?

(lacht) Ja, du sagst es ja selbst schon so ein wenig ironisch. Sind wir ehrlich. Das ist doch bei uns doch die unlösbare Frage schlechthin. Wir kommen doch schon so ein wenig aus der 90er-Crossover-Ecke. Aber unser Crossover ist eben kein Rapmetal sondern eine Verbindung von sinfonischen Sachen mit Rock, Metal und Klassik. Und dann kommen ja auch noch unsere privaten Wurzeln dazu. Wenn man als Kind der Achtziger auf Sachen wie Billy Idol, Iron Maiden oder Metallica abfährt, dann ergibt sich eine sehr facettenreiche, vielleicht auch manchmal gegensätzliche Natur in den Songs. Oder ganz einfach: Verschiedene Genres in den Einflüssen machen sich bemerkbar.

Also dann zukünftig auch kein Anbiedern mehr an irgend eine Szene, ganz gleich ob Metal oder Darkwave?

Nein, natürlich nicht. Wir haben so viele Schattierungen in unseren Songs. Da ist doch sicherlich für sehr viele unterschiedliche Geschmäcker etwas dabei. Warum sollten wir uns künstlich limitieren?

Berechtigter Punkt. Aber dieses Schwert ist zweischneidig. Die Produktion klingt doch besonders in den von dir beschworenen Metalparts ein wenig sehr clean und cheesy. Keine Szenebindung heißt also auch: Pseudo-Goth für Leute, die gar keinen Goth kennen und Metal für radioweiche Metalhasser?

Ich verstehe zwar, was du meinst. Aber jede Produktion ist doch unterschiedlich. Besonders bei uns. Ich kann dir hier echt nicht zustimmen. So viele Songs haben wir quasi metallisiert. Ich finde auch nicht, dass die Gitarren total sauber bis zur Langeweile klingen. Da ist schon Einiges sehr rough geblieben. Aber es ist natürlich kein reiner oder purer Metal. Es ist ganz einfach genau der Sound, den wir alle in der Band lieben.

Und die Story? Bringt ihr das live dann so richtig klotzend auf die Bühne? Werdet ihr Pink Floyds 'The Wall' in punkto Bombast und Show zur Fußnote degradieren?

(lacht) Da wäre es doch sehr schade drum. Selbst wenn eine Band so was könnte. Wir wollen uns da gar nichts anmaßen. Und ehrlich gesagt möchte zur Umsetzung auch noch gar nicht so viel sagen. Die Tour ist konzeptionell noch in Planung. Da kann ich jetzt hier nicht so einfach loslegen. Das Problem ist ja auch, wie sich die Lieder der anderen Alben einfügen würden. Wir wollen ja auch ältere Songs bringen.

Und dann auch schön lecker mit von dir entworfener Fashion? Du bist tatsächlich Modedesignerin und Rockstar. Zwei Traumberufe simultan?

Designer ist vielleicht ein wenig übertrieben. Aber ich habe Einiges aus diesem Beruf gelernt und schon in der Vergangenheit viele Bandklamotten für unsere Gigs entworfen. Das mit den Traumberufen stimmt schon. Ich bin wirklich eine glückliche Person.

"Ich hab schon eine Menge Blues gemacht."

Fehlt denn so gar nichts? Kein Reiz für etwas Neues? Deine Art zu singen zum Beispiel ist doch einerseits handwerklich unangreifbar. Zum anderen aber auch recht einseitig. Juckt es dich nicht, was ganz anderes Dreckiges oder Laszives zu machen? Janis Joplin-Blues, Jazz oder Chanson?

Na da rührst du ja etwas auf, bei mir. (lacht) Von dem, was wir hier machen, wäre das dann doch zu weit entfernt. WT sind da so gar nicht passend. Aber du wirst lachen. Ich hab echt schon eine ganze Menge Blues gemacht. Nur war ich da so 14, 15 Jahre alt. Das war meine erste richtig eigene Bandgründung, damals. Da haben wir dann viel Zeug von Stevie Ray Vaughn oder dem großartigen Robben Ford gemacht. Also sag mir nicht noch mal, ich hätte nicht den Blues (lacht). Aber wie gesagt: Eher nicht mit WT. Das ist eine andere Welt.

Würde in Verbindung mit der Band wohl nur Käse bei herauskommen. Und das wäre sogar passend. Immerhin kommt ihr aus Gouda.

In der Nähe. Das stimmt. Warum?

In Deutschland weiß man gar nicht so genau, dass Gouda eine richtige Stadt ist. Wir denken immer nur an den Käse.

(lacht) Das bekommt die Welt nicht mit. Da seid ihr nicht die einzigen. Dabei ist das wirklich eine stolze und historisch bedeutsame niederländische Stadt. Diesen hierüber verwunderten Aha-Effekt sehen wir oft bei unseren Gesprächspartnern.

Woanders fehlt dieser Effekt leider. Stört es euch denn nicht empfindlich, wenn man von der Spartenpresse in den Himmel gehoben und von den arrivierten Medien eher als sprichwörtliche 'Käseband' belächelt wird? Immerhin seid ihr doch auch kommerziell sehr erfolgreich.

Lass es mich mal so formulieren: Wir haben nicht immer den Eindruck, dass man unsere Musik vonseiten der so genannten 'Seriösen' überhaupt so richtig versteht. Nun ist das Problem in den Niederlanden nicht ganz so präsent. Da ist alles etwas kleiner als bei euch, und wir gelten mit Within Temptation als Indie. Ich weiß jetzt gar nicht so genau, wie das Echo in Deutschland und Europa ist. Aber letzten Endes ist uns das ohnehin recht egal. Menschen haben doch Ohren und können selbst entscheiden, ob sie mögen, was wir so abliefern. Der eine liebt es, der andere läuft davon. Das funktioniert doch bis jetzt ganz gut bei uns.

Liebe Sharon, ich danke dir für das schöne Gespräch.

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LAUT.DE-PORTRÄT Within Temptation

Gitarrist Robert Westerholt gründet Within Temptation 1996 im niederländischen Utrecht. Als Sängerin schwebt ihm seine Freundin Sharon den Adel vor.

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