laut.de-Kritik
Wie Picasso, gefangen in der blauen Phase.
Review von Hannes WesselkämperEin kurzer Blick auf das Cover von Jack Whites zweitem Solowerk zeigt, dass der 39-jährige noch immer in seiner blauen Phase steckt. Die bereits bei den White Stripes auf die Spitze getriebene Detailverliebtheit behält White bei, indem er auch Live-Shows und Promobilder meist in dezentem Blau hält. Special-Editions seiner beiden Alben sind natürlich als blaues Vinyl zu haben.
Ähnlich wie bei Pablo Picassos Schaffensperiode gründet auch Jack Whites blaue Phase in einem persönlichen Einschnitt. Die Zeiten des dominanten White-Stripes-Rot sind seit drei Jahren gezählt, und so wandelt Jack seither auf blauen Solopfaden in einer anderen Ecke der Farbskala. Das melancholische und stets etwas morbide Blau Picassos findet sich auf "Blunderbuss" wieder, in dem Kollege Schuh berechtigterweise in Teilen eine White Stripes-Rückschau sieht.
Mit "Lazaretto" tritt der Erblaute jedoch die Flucht nach vorne an und wagt selbstbewusste Schritte aus dem Rot-Weiß-Schwarz-Kosmos. Diese führen Jack White tiefer nach Nashville, das seit einigen Jahren seinen neuen Lebensmittelpunkt darstellt. Seinem Vinyl-Nerdtum und Produzentendasein fröhnt er in den Studios von Third Man Records, der selbst gegründeten Plattenfirma des Gitarristen. Der hauseigene Blue Room – Twin Peaks lässt grüßen – fungiert dabei als Treffpunkt der lokalen Szene und spuckt nach eigenen Showcases direkt ein Vinyl-Master des Auftritts aus.
Die Verbundenheit zu seiner Wahlheimat unterstreicht White mit Fiddle, Steel-Guitar und einer Pianobegleitung, die an schräge Unterhaltung in zwielichtigen Saloons erinnert. Aus dieser Ecke tönt es in "Just One Drink", das mit lüsterner Trunkenheit etwas prolligen Western-Flair verströmt. In Kombination mit dem biederen Rocksound des Songs ödet das Heischen um Authentizität schnell an.
Ähnlich aufgeproft und uninspiriert wirkt das Country & Western-Thema bei "Temporary Ground", das nicht mehr als einen dünnen Ohrwurm hergibt. Der Piano-Popsong "Alone In My Home", das gerade mal einen besseren Sitcom-Vorspann abgibt, sei vorsichtshalber nicht weiter erwähnt. Dass Jack White aber sehr wohl mit Nashville-Einschlag musizieren kann, zeigt dann das minimal instrumentierte Storytelling in "Entitlement". Mit künstlich gebrochener Stimme verbindet er hier klassische Folk-Ansätze mit schwärmerischem Country-Duktus.
Doch für "Lazaretto" igelt sich White nicht nur in der Musiktradition seiner Wahlheimat – egal wie authentisch oder nicht – ein. Den Platten-Nerd aus dem Nebenzimmer gibt er ebenso gut wie den rotzigen Frontman, der er als einer der hochgelobtesten Gitarristen der letzten Jahre auch sein muss. Für den nötigen Pomp greift er etwa in "Would You Fight For My Love" auf die alten Led Zeppelin zurück und bläst druckvollen Blues-Rock auf Stadiongröße auf. Ekstatische Zwischenschreie, einem Markenzeichen von Robert Plant, dürfen dabei nicht fehlen.
Zu selten, aber dann doch mit voller Wucht, vermag Jack Whites zweites Solowerk beide Pole zusammenzubringen. Gelingt die Verbindung, leiten Slide-Guitar und Piano die tonnenschweren Riffs von "High Ball Stepper" in nahezu psychedelische Gefilde, während sich für "That Black Bat Licorice" Fiddle und bluesige Gitarre gegenseitig in den Exzess schaukeln. Beide Stücke sind in ihrer unbändigen Energie und den vielschichtigen Einflüsse exzellente Beispiele moderner Rockmusik.
Während sich die "kopierenden Arschlöcher" der Black Keys (O-Ton White, der sich mittlerweile entschuldigt hat) mit "Turn Blue" weiter von geradlinigem Blues-Rock verabschieden, hätte der blaue Mann aus Nashville mal wieder die Rockmusik retten können. Das schier unermessliche Potenzial des Kreativlings ist auch nach 17 Jahren in der Öffentlichkeit noch nicht erschöpft. Doch auch Picasso hat seine besten Bilder im Anschluss an die blaue Phase gemalt. Vielleicht wird es also für Jack White Zeit, der Farbskala komplett zu entsagen.
9 Kommentare mit 15 Antworten
Überhaupt nicht mein Genre, aber die Vinyl-Edition klingt ja mal mega-abgefahren http://www.rollingstone.de/news/meldungen/…
Gefällt mir...nicht so. Viel zu viel Geige, female background vocals und zu wenig gitarre. Sorry Jack, nicht mein Ding.
Ja wir haben es verstaden. Jack White war mal in der Band "The White Stripes" tätig. Ist ja gut jetzt, Herr Wesselkämper... Warum auf den Titeltrack nicht eingegangen wird erschließt sich mir zwar nicht, aber hey, einem jeden seinen Geschmack...
Kopf hoch, Dude! ^_^
^^ Ich geb mir ja wirklich Mühe, nicht wie nen wütender Fanboy zu klingen, aber die Rezi enthält mir zu viel Picasso und Farben, dafür zu wenig öhm... Musik.
Ja, versteh' ich, ich find' die Rezension auch eher so lala.
Ist nur schön zu sehen, dass auch der Fanboy-Jäger #1 hier seine Lieblinge verteidigt (und das meine ich nicht im Geringsten so süffisant wie's klingt).
Macht dich nur menschlicher. (:
Fast jeder der gerne Musik hört, ist Fanboy von irgendwem. Und diejenigen, die anderen immer unterstellen, sie seien nervige Fanboys, sind meistens selber die Mega-Fanboys. Nur ist es hinsichtlich negativer Kritik natürlich weniger stressig, Jack White oder Mogwai Fan zu sein als Unheilig oder Max Herre Fan.
Ich weiß aber nicht, warum der Begriff Fanboy als Beleidigung verwendet wird. Natürlich ist das immer etwas ulkig, wenn man eingeschnappt auf Kritik an seiner Lieblingsmusik reagiert und diese verteidigt, obwohl es einem eigentlich egal sein sollte, was irgendwer schreibt aber solange dabei keine lächerlichen Kommentare wie “Der Rezensionist ist nur neidisch, weil er nicht auf Kreuzfahrtschiffen auftritt“ kredenzt werden, finde ich das voll ok.
Ich habe hier auch schon fragwürdige Sachen geschrieben, als ich mit einer Rezension nicht einverstanden war aber das ist ja verständlich, denn wenn eine Band/ein Künstler Werke geschrieben hat, die einem etwas bedeuten, kann man schon mal emotional werden
Ich hab lange drauf gewartet, mir die Vinyl vorbestellt und natürlich auf ein Meisterwerk gehofft. Die Vinyl ist eins, das Album an sich nicht. Die Vorabsingles "High Ball Stepper" und Lazaretto" sind grandios, die wahrscheinlich besten Songs des Albums. Leider ist auch viel Durchschnittsware dabei. Klar, bei Mr. White sitzt die Messlatte auch etwas höher als bei etwaigen anderen Künstlern, ich kann aber bisher auch nicht mehr als 3 von 5 erkennen. Um meinen Geschmack zu treffen müsste er aber wohl etwas mehr von seinem Nashville-Sound abrücken, was sich ja nicht gerade abzeichnet. Trotzdem, die 20 Euro haben sich gelohnt.
Achja, bevor ich es vergesse: Der Sound ist unfassbar gut, alleine das ist schon ein Erlebnis und damit den Kauf wert.
3/5 Sterne zu vergeben, find ich echt ziemlich hart. ich denke mir auch, Mr White könnte noch 'ne Schippe drauflegen, aber das Album ist fabelhaft und vor allem rund.
klar, ansonsten wäre das abspielen auf dem plattenteller wohl auch ziemlich problematisch
Von Bob Dylan (glaub ich) gibt es eine Single Vinyl in Plektrum-Form. Das geht alles!
gar nicht:
http://img15.nnm.me/c/c/b/6/7/262be7c1cfb9…
okay, dann will ich nichts gesagt haben
Für meinen Geschmack hätte der Herr White ruhig sein Können an der Gitarre ein wenig mehr zeigen können. So ist es vorallem ein ziemlich ruhiges, aber dennoch gutes Album.