laut.de-Kritik
Ein letztes Hallo an die Welt, die sie nicht mehr verstehen.
Review von Sven Kabelitz"Help the aged / One time they were just like you / Drinking, smoking cigs and sniffing glue." ["Help The Aged", Pulp]
Wenn wir nicht auf dem Weg verloren gehen, holt uns das Alter alle ein. In nicht allzu ferner Zukunft werden die Altersheime überfüllt sein mit Menschen, die sich um Playstation 3-Controller streiten. Die Gänge werden mit den Oldies von Skrillex durchflutet. Der Unterschied zwischen den Beach Boys und uns ist, dass Brian Wilson und Co. nur noch einen Wimpernschlag von ihren letzten Tagen entfernt sind. Von jenen Tagen, in denen wir unsere Mitmenschen gerne in Heimen verstecken. Ausgeschlossen von der Gesellschaft, damit sie uns nicht mehr mit ihrem Verfall beleidigen und unsere Zukunft aufzeigen.
In der momentanen Musiklandschaft gibt es wohl kaum eine Gruppe oder ein Album, das weiter vom Begriff Jugend entfernt ist wie die Beach Boys mit "That's Why God Made The Radio". Ein letztes Hallo an die Welt, die sie nicht mehr verstehen und von der sie nicht mehr verstanden werden. So wird aus dem lange angekündigten Comeback eine verklärte Erinnerung der Musiker an sich selbst. Opa erzählt ein letztes Mal seine alten Geschichten. Wenn wir doch einmal zuhören, entdecken wir Erkenntnis, Schönheit, "Pet Sounds".
Nach den großartigen Brian Wilson-Soloalben, nicht zuletzt "That Lucky Old Sun", gab es durchaus Hoffnung, dass sich mit "That's Why God Made The Radio" ein Kreis der unerfüllten Versprechungen schließt. Dass sich die ewig erzwungene Fröhlichkeit von Mike Love im Zaum halten lässt und wenigstens in Teilen ein anständiges Farewell entsteht. Doch leider hat Love wieder einmal die Oberhand behalten. Wilson ordnet sich im Rudel unter und liefert die von ihm erwarteten Songs. Sommer, Palmen, Sonnenschein, was kann schöner sein?
Es beginnt so vielversprechend. Das Intro "Think About The Days" holt uns aus der Gegenwart ab. Der große Nostalgie-Omnibus in die Vergangenheit, mit Harmonien, einem Schwur gleich. Ein Schwur, der nur zu bald gebrochen wird.
Schon die ersten Takte des Titelstücks reißen aus gedankenverlorenen Wolken zurück auf den Boden der Tatsachen. Musikalisch nur ein laues Lüftchen, deckt es zugleich ein weiteres Hauptproblem von "That's Why God Made The Radio" auf: die Texte. "Tuning in the latest star / From the dashboard of my car / Cruisin' at 7, push button heaven / Capturing memories from afar / in my car." Dass Van Dyke Parks von den Arbeiten am Beach Boys-Comeback ausgeschlossen wird, war klar. Dass die Texte deswegen zuweilen Dieter Bohlen-Niveau erreichen müssen, wäre nicht nötig gewesen. "Spring vacation / Good vibrations / Summer weather / We're back together / Easy money, ain't it funny / Hey what's it to ya / Hallelujah". Geschichten aus der Gruft.
Im ersten Teil des Albums erreichen die Songs in guten Momenten Mittelmaß und schmerzen nicht. Stellenweise lässt das Songwriting von Jim Peterik (Survivor) die Strandjungen wie eine Easy Listening-Version einer 1980er Rock-Band klingen. Ein einsamer Lichtblick bleibt "Shelter", das sich allerdings vergeblich gegen die Totalausfälle "Daybreak Over The Ocean" und "The Private Life Of Bill And Sue" auflehnt. Beide haben das Zeug, "Kokomo" als schlechtesten Beach Boys-Track abzulösen. "The Private Life Of Bill And Sue" kommt dazu einer schlechten Kopie des alten Bond-Klassikers "Under The Mango Tree" gleich.
Doch du musst dahin, wo's weh tut. Wer das alles übersteht, wird am Ende belohnt. "From There To Back Again", "Pacific Coast Highway" und allen voran "Summer's Gone" entschädigen für einige Gräueltaten. Kurz zeigen die Beach Boys, was möglich gewesen wäre. Brian Wilson wird von der Leine gelassen. Die Stimmung kippt von Dur zu Moll: "Sunlight's fading and there's not much left to say". Leider verschrecken genau diese Songs mit einem arg offensichtlichen Einsatz von Autotune. Aber ihre Stimmen sind nun nicht mehr die Jüngsten und Alter schützt vor Torheit nicht.
Ein Nachhall von "California Girls" eröffnet "Summer's Gone", den einen wirklich großartigen Moment der Platte. Mit unverblümter Direktheit stellen sich die Beach Boys unter erstaunlich unauffälliger Mithilfe von Jon Bon Jovi der Realität. "Summer's gone – I'm gonna sit and watch the waves / We laugh, we cry / We live and die / And dream about our yesterday." Ein letztes Mal geht die Sonne am Strand unter. Das Strandtuch, die Sonnencreme und die unbenutzten Surfbretter werden eingepackt und es geht nach Hause.
"In the meantime we try / Try to forget that nothing lasts forever / No big deal so give us all a feel / Funny how it all falls away." ["Help The Aged", Pulp]
9 Kommentare
Danke für Pulp
help the motherfuckin' aged!
mit denen konnte ich noch nie was anfangen... genau wie mit den Beatles oder den Stones. Diese alten "Helden" waren damals zwar DER SHIT, aber ich find´s lahm.
Sehr geehrter Bodennebel, deine Rezis und dein Musikgeschmack in allen Ehren, aber was hast du erwartet? Ein zweites "Pet Sounds" wird es in der Form nicht wieder geben. Wo Beach Boys drauf steht, sind unverkennbar selbige drin. Ich finde das Album orientiert sich mehr an Brian's "That Lucky Old Sun" denn an den "typischen Surfersachen".
Vor allem fehlt der geniale Dennis Wilson als Songschreiber, da kann man nun eben nicht Alles erwarten.
No offense, aber manchesmal hab ich den EIndruck, dass du und Herr DBA (der mir so manches Gustostück präsentiert hat) sich matchen, wer denn eine Platte besser phrasieren kann, ohne wirklich auf die Musik einzugehen
tach gunde,
frag mich zwar, warum du mich unter deinem zweitnick ansprichst, aber was solls.
natürlich habe ich kein weiteres pet sounds erwartet. ebenso kein weiteres surf's up oder sunflower. aber produktion und inhalt halten sich ja schon fast eher an das unsägliche still cruisin'.
wenn man das natürlich erwartet, wenn beach boys drauf steht, hast du recht. dann bekommt man mit "daybreak over the ocean" und "the private life of bill and sue" genau die erhofften scheusslichkeiten geliefert. vom unsäglichen sound und produktion, die stellenweise selbst carmen nebel zu schläfrig sein dürften, habe ich noch nicht einmal geschrieben.
nein, mit "that lucky old sun" hat dieses werk nur sehr wenig gemein. allein was harmonien, arrangement, texte und verlauf der songs/songwriting angeht, ist diese hier im vergleich doch eine weichspülplatte deluxe. hör' dir "that lucky old sun" doch noch einmal zum vergleich an. allein der start "morning beat" packt doch die ersten zwei drittel von "twgmtr" locker in den sack.
ja, dennis fehlt. trotzdem sind da noch genug menschen am werk, die in ihrem leben bereits so viel besseres abgeliefert haben, als dieses werk. wenn mein vergehen ist, dass ich als wohlmöglich letzte platte eine bessere fokusierung auf die eigenen stärken erwarte, dann bin ich schuldig im sinne der anklage. einfach mehr von der art der letzten drei tracks und ich wäre schon zufrieden gewesen.
Ist ja nicht mein Zweitnick, den Ersten hab ich ja damals löschen lassen, aber schön, dass du mich noch kennst und auch schön, dass du meine "Kritik" nicht gleich anfeindest. (wo sind hier eigentlich die Smileys?)
Hab jetzt auf deinen Rat hin die "Lucky..." aufgelegt. Ist schon ein kleines Meisterwerk. Kennst du die "Pacific Ocean Blue" von Dennis Wilson? Da reicht kein "Pet Sounds" ran.
Klar ist "That's Why God Made The Radio"" sehr, sehr aalglatt produziert, ich hab sie mir heute besorgt und hab sie vier mal hintereinander gehört (ohne, dass ich jetzt irgendwelche Ausreisser nach oben oder unten erwartet habe. Beach Boys sind eben Beach Boys. Ich habe Freude mit dem Album, es macht Spaß und das ist die Hauptsache
Hab jetzt die CD wieder gewechselt, was soll ich sagen, vieles was schon zig Mal gehört wurde (vielleioct auch besser) - ist eben so, genau wie bei AC/DC, dem neuen Santana Album, etc. - aber ich kaufe ja auch ein Snickers und erwarte nicht, dass es nach Mars schmeckt
Wie schon vorher geschrieben, war kein persönlicher Angriff - just my two cents. Und ich mag deine Rezis! Speziell die zu "Siamese Dreams"