laut.de-Biographie
Cassius
Hinter dem Cassius Clay (nach dem Boxer aller Boxer benennt sich das Duo) der Pariser Filterhouse-Szene verbergen sich Philippe Zdar, der eigentlich Philippe Cerboneschi heißt, und Hubert Blanc-Francart.
Hubert alias Boombass, in einem Pariser Vorort aufgewachsen, ist der Sohn eines erfolgreichen Musikproduzenten und Studiobesitzers. Naheliegend, das Hubert in die Fußstapfen des Vaters treten möchte. Doch erste Gehversuche in Sachen Musik überzeugen nicht, er selbst spricht von Schrott, und er gibt zunächst den so genannten Teaboy im Studio (auch Philippes Studiokarriere beginnt später dort - am Anfang der Nahrungskette).
Philippe dagegen verbringt seine Jugend in den französischen Alpen, seine Eltern betreiben nahe Aix-les-Bains ein Skichalet. Wie der Vater lernt er das Handwerk des Toningenieurs. Beide Garcons verbindet eine große Leidenschaft: Hip Hop.
Schon als Jugendliche kennt ihre Begeisterung wenig Grenzen, obwohl Philippe, der Schlagzeug spielt und auch mal zum Mikrofon greift, zu dieser Zeit Metal und Punk zugeneigt ist. Philippe und Hubert lernen sich 1988 kennen. Hubert, mittlerweile selbst Produzent und für MC Solaar tätig, engagiert 1991 Philippe als Studioingenieur. In der Folge produziert das Duo drei erfolgreiche Platten für den Rapstar - der Durchbruch.
Unter dem Pseudonym La Funk Mob kredenzen Boombass und Zdar zudem ihre Version von Trip Hop und veröffentlichen auf Mo'Wax verschiedene Platten, wie 1994 die "Ravers Suck Our Sound EP". Philippe, seit 1992 auf einem Rave vom Techno- beziehungsweise Housefieber angesteckt, startet gemeinsam mit Etienne de Crécy außerdem Motorbass. Deren LP "Pansoul" erscheint 1996, kann aber mangels Promotion nicht so richtig vom Hype um French House bzw. französische Elektronikbands profitieren. Die Platte gilt in DJ/Producer-Kreisen dennoch bald als Benchmark. Motorbass nennt Zdar später auch sein Pariser Studio, in dem Größen der Musikszene ein- und ausgehen.
Mittlerweile mit einem eigenen Label namens Cassius ausgestattet, bringt das Duo Zdar und Boombass alias "L'Homme qui valait trois milliards" die Single "Foxxy" heraus: ihr erster gemeinsamer Housetrack. In der Folgezeit kommen Cassius bei Virgin unter, die 1999 das Debütalbum "1999" veröffentlichen, ein schönes Potpourri aus Filterhouse, G-Funk sowie R'n'B. Cassius spielen live im New Yorker Guggenheim Museum oder beim Musikfestival Borealis und legen im Pariser Club Respect auf. Drei Jahre später folgt "Au Rêve" das neben anderen Gästen auch einen, wie man munkelt, 50.000 Dollar schweren Auftritt von Ghostface Killah bietet.
Trotz der DJ-Tätigkeit, Cassius reisen um die Welt, verbringt gerade Zdar viel Zeit im Studio. The Rapture, Franz Ferdinand und zahllose andere wie die Beastie Boys nehmen seine Dienste als Producer und Mixer in Anspruch. Den wohl größten Erfolg seiner Karriere feiert er 2010: Das von ihm gemixte Phoenix-Album "Wolfgang Amadeus Phoenix" fährt den Grammy für das beste Alternative Music Album ein. Zdar, der bereits die erste Phoenix-Platte "United" verantwortete, war auch am kreativen Prozess beteiligt.
2013 samplen Jay-Z und Kanye West einen Cassius-Track, was den Ruhm ganz nebenbei mehrt. Auf Cassius' viertem Studioalbum "Ibifornia" (2016) befindet sich dann wieder ein veritabler Clubhit "Got Up ft. Cat Power & Pharrell Williams". Den vermutlich größten hatten Cassius mit "Feeling for You" (neben "Cassius 1999") schon 1999 gelandet. Jenes Jahrzehnt, das sie entscheidend mitprägten.
Acts wie Daft Punk, Justice oder Laurent Garnier und Air mögen größer geworden sein - Boombass und Zdar gelten als Wegbereiter und Mentoren der französischen Elektroszene und kollaborieren über die Jahre mit all ihren Größen.
Im Angesicht von Grunge einerseits sowie der totalen Kommerzialisierung der Technoszene andererseits hatten Zdar und Boombass der elektronischen Musik eine Frischzellenkur verpasst, im Rahmen derer, die beiden Hip Hop-Produzenten Funk und Soul in den Chicago House injizierten, wie es Thomas Venker im Deutschlandfunk beschreibt. French House (und sein weltweiter Siegeszug) waren auf den Weg gebracht.
Im Juni 2019 stirbt Philippe Cerboneschi in Paris bei einem Unfall: Nur zwei Tage vor dem Release des neuen Cassius-Albums "Dreems" sowie Hot Chips Platte "A Bath Full Of Ecstasy", die er ebenfalls produzierte, stürzt Zdar - offenbar beim Verabschieden von Freunden - aus dem dritten Stock seines Hauses im 18. Arrondissement. Am Tag darauf wäre er im New Yorker Central Park aufgetreten.
Anteilnahme und Fassungslosigkeit in der Musikszene, nicht nur der französischen, sind gleichermaßen groß: Pharrell, Mike D von den Beastie Boys, Phoenix, Franz Ferdinand-Frontmann Alex Kapranos, Ex-Vampire Weekends Rostam Batmanglij oder Cat Power, Calvin Harris u.v.a. - alle erinnern an einen stets positiv gesinnten, der Musik verfallenen und zuvorkommenden Zeitgenossen - einen 'Musicians Musician' wie man ihn sich eben vorstellt. Auch Ed Banger-Chef und Ex-Cassius-Manager Pedro Winter veröffentlicht auf Instagram einen persönlichen und tief bewegten Abschiedsbrief. Philippe wurde nur 52 Jahre alt und hinterlässt zwei Kinder. Er ruht auf dem Friedhof von Montmartre.
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