16. Oktober 2023

"Es kann nicht verrückt genug sein"

Interview geführt von

Der Deftones-Sänger und sein Kumpel Shaun Lopez reden über ihr gemeinsames Projekt Crosses, die gemeinsamen Vorbilder und warum Gitarren auf "Goodnight, God Bless, I Love U, Delete" keine so große Rolle spielten.

Eine angenehme, freundliche Stimme ist auf der anderen Seite zu hören. Anders als im Deftones-Interview, das ich vor einiger Zeit führen durfte, wirkt Chino Moreno diesmal sehr präsent, locker und in bester Redelaune. Sein Projekt Crosses steht kurz vor der Veröffentlichung des zweiten Albums "Goodnight, God Bless, I Love U, Delete" und überzeugt mit schön 80er-angehauchtem-Wave-Pop. Bis sein Crosses-Partner Shaun Lopez, Alternative Rock-Fans auch als Mitglied von Far bekannt, in die Zoom-Konferenz zugeschaltet wird, überbrücken wir die Zeit mit etwas Small-Talk über ein Depeche Mode-Konzert.

Ich war vor Kurzem auf einem Depeche Mode-Konzert in Prag. Du bist doch auch schon ewig Fan und warst schon als Kid auf einem Konzert?

Oh wow, das ist schon wirklich schon so unfassbar lange her. Lass mich kurz nachdenken: Da war ich noch auf der Highschool und das war mein erstes Konzert. Sie waren gerade mit der Violator-Tour in unserer Stadt.

Ich kam auch darauf, weil "Pleasure", der erste Song von eurem neuen Album, mich so stark an diese Band erinnert.

Ja, ich weiß was du meinst, Shaun und ich haben ehrlich gesagt auch kein so großes Geheimnis daraus gemacht, dass Depeche Mode uns stark beeinflusst haben. Wir sind seit unserer Jugend große Fans. Wobei ich schon finde, dass wir jetzt nicht wie eine Kopie klingen, aber klar, sobald du mit diesen Synths und diesem typischen Arpeggio-Sound um die Ecke kommst, liegt es natürlich nahe, mit ihnen verglichen zu werden. Schon bevor der Song fertig war, habe ich sofort zu Shaun gesagt, dass "Pleasure" auf jeden Fall der Opener sein muss. Ich finde, man bekommt mit dieser Pop-Melodie, den Drums und den Vocals auch direkt einen guten Eindruck, wohin die weitere Reise auf dem Album geht.

Shaun: Hey sorry, Leute! Es hat nun endlich geklappt!

Hey Shaun! Wir haben uns schon etwas über Depeche Mode und euren Song "Pleasure" unterhalten. Benutzt du wie Martin Gore auch noch diese älteren Synthesizer?

Ach weißt du, ich arbeite ja eher an den Drumsounds, aber vor zehn Jahren habe ich dann mal angefangen, mich ernsthafter mit meinem E-Piano und den ganzen Möglichkeiten auseinander zu setzen. Und weil ich mit den ganzen Programmen auch mit neuerem Sound in Berührung kam, bin ich gar nicht mal so wirklich ein Retro-Typ.

Wie kam das eigentlich zur Entscheidung, dieses Album noch mehr in Richtung elektronische Sounds zu bewegen? Gitarren sind diesmal ja kaum vorhanden.

Chino: Shaun und ich kommen ja aus Gitarrenbands, und die bleiben auch weiterhin unser Ding - also nicht dass jemand nun vermutet, dass wir plötzlich damit gebrochen haben! - aber manchmal möchtest du auch mal ausbrechen, dich aus deiner Komfortzone raus bewegen und neue Sachen ausprobieren. Wir wissen ja, wie eine Band mit Gitarren funktioniert, aber mit einer Band wie Crosses lernen wir ja selber dazu und haben ein neues Feld zum Experimentieren. Es wäre auch extrem langweilig, wenn wir immer auf unserem Status Quo bleiben. Dieses ständige Verändern führt auch dazu, dass die Musik weiter für uns spannend und herausfordernd bleibt, denn wenn wir eines nicht mögen, dann Stillstand.

Du und Shaun, ihr kennt euch ja wirklich schon lange.

Chino: Eine Ewigkeit! Seitdem wir beide elf sind und in der gleichen Gegend aufwuchsen. Wir haben es damals schon geliebt, uns gegenseitig unsere Lieblingsplatten vorzuspielen und später auch unsere ersten Bands gegenseitig besucht. Diese lange Freundschaft und dieses Verständnis hilft natürlich im Studio sehr. Wir wissen eben genau, wie der andere tickt, ergänzen uns perfekt. Uns verbindet zudem auch diese absolute Neugier, auf gemeinsames Abenteuer zu gehen und Experimente zu wagen.

Da wird nicht groß dem anderen reingeredet, sondern manchmal höre ich einen verrückten Sound von Shaun und gehe sofort begeistert zu ihm und frage ihn, was das gerade für ein geiler Scheiß ist. Ich habe dann augenblicklich auch eine Idee parat und schon sind wir absolut im Tunnel. Wir können uns da auch richtig gut in eine Idee eingraben und dann nicht mehr loslassen. Ok klar, manchmal gibt es auch bei uns verschiedene Meinungen, aber die lösen wir dann immer sehr freundschaftlich und ruhig. Da wird auch keine Idee verworfen oder einfach gecancelt, weil wir grundsätzlich immer gemeinsam eine Lösung finden und uns gegenseitig auch immer anstacheln bzw. motivieren.

Shaun: Ich bin da glaube auch eher auf Harmonie aus. Ich mag das absolut nicht, wenn Leute sich im Studio so Dinge wie 'Puh, das fühle ich mal gar nicht und es ist Mist' an den Kopf werfen. Das ist bei mir und Chino ganz anders. Eigentlich ist es wirklich schon Telekinese, wie wir uns manchmal anschauen, ohne ein Wort zu sagen. Nur ein Blick, und der andere checkt sofort, was gemeint ist.

Klingt etwas so, als ob das hier wirklich eine Freundschaft ist und Deftones eher in Arbeit ausarbeitet ...

Chino (energisch): Nein! Nein! Nein! Das läuft da auf einer ähnlichen Ebene ab. Und überhaupt bin ich einfach der dankbarste Mensch auf der Welt, dass ich so privilegiert bin und einfach Musik machen darf. Es kommt da gar nicht darauf an, ob ich das nun mit Deftones oder einer anderen Band mache. Es ist doch einfach schön, Zeit mit Menschen zu verbringen, die auch noch meine besten Freunde sind. Ob die Band nun Deftones oder Crosses heißt, spielt da wirklich keine Rolle und es ist definitiv keine Arbeit.

Shaun: Ich bin da ganz bei Chino. Es ist absolut egal, mit welcher Band du was macht, ebenso das Genre. Die Leute sind ja eh immer überrascht, dass ich mit so unterschiedlichen Musikern arbeite.

"Ich war überglücklich, als Robert Smith zusagte"

Ich war tatsächlich etwas überrascht, dass du mit der sehr erfolgreichen K-Pop-Gruppe Aespa zusammenarbeitest.

Shaun: Haha, die Arbeit ist tatsächlich eher aus Zufall entstanden. Ich habe da mal wieder weirden Kram im Studio entworfen, und durch Zufall hat es ein Freund gehört, der den Kontakt zu dieser Girlgroup herstellte. Ich hätte mir bis dahin auch nicht träumen lassen, dass meine Musik in diesem Kontext stattfindet, aber ich bin da auch nicht restriktiv und hab es einfach geschehen lassen.

Chio: Genau solche Dinge mag ich ja. Es kann eigentlich nicht verrückt genug sein! Das ist ja wirklich ein Wettbewerb zwischen uns beiden, uns da total heraus zu fordern und dahin zu pushen.

Shaun: Ja, ich weiß. 'Erwartet das Unerwartete' ist so eine Phrase, aber bei uns stimmt es eben auch. Wenn mir Chino spontan was rüber sendet, findet da kein Filter oder eine sofortige Bewertung wie 'Ist das jetzt gut, schlecht oder was auch immer' statt. Ich nehme das halt sofort auf und arbeite darum meine eigenen Ideen aus. Umgekehrt ist Chino manchmal etwas zu sehr Pop oder Metal, dann ändere ich die Richtung und heraus kommt dann in der Mitte eben der Crosses-Sound.

In dem auch Feature-Gäste Platz haben - wie Robert Smith von The Cure.

Ja, wir kennen uns schon seit Ende der Neunziger und seitdem sind wir befreundet. Ich wollte natürlich für Robert dann auch einen ganz speziellen Song haben. "Girls Float/Boys Cry" ist für mich persönlich auch der Höhepunkt auf dem Album, vielleicht ist das sogar eines der traurigsten Sachen, die ich je gemacht habe. Also auf diesem Album auf jeden Fall. Der Song war soweit schon ziemlich fortgeschritten, aber irgendwas hatte da noch gefehlt. Ich habe immer wieder überlegt, wie ich diesen eh schon intensiven Song noch weiter steigern kann. Und da fiel mir dann Robert Smith mit seiner unfassbar charismatischen Stimme ein. Ich war so überglücklich, als er dann auch noch zusagte und Teil dieser Reise sein wollte. Das Endergebnis war dann haargenau so, wie ich es mir vorher ausmalte. Er hat es wirklich geschafft, diese eh schon große Intensität noch einmal zu steigern. Naja, also zumindest ist das mein persönliches Empfinden, denn ich weiß ja nicht, ob die Hörer das auch so krass wie ich fühlen.

Letztendlich habt ihr immerhin nach zehn Jahren Pause ein Album draußen, und wir warten alle immer noch auf ein neues The Cure-Album ...

Ich war auf einem The Cure-Konzert und fiebere natürlich dem neuen Material entgegen. Ich habe das ganze Konzert schon darauf gehofft, dass er neue Songs spielt, und was ich bis jetzt gehört habe, klingt zum Glück genau nach dem Cure-Zeug, was ich liebe. Also ok, ich mag als Fan natürlich alle ihre Alben, aber so richtig holen mich eben diese langen Drone-artigen Songs mit dem Crescendo ab. Sie scheinen wieder genau in diese Richtung zu gehen, und das macht mich natürlich sehr glücklich.

Ich traue es mich kaum zu sagen, aber ich liebe "Bloodflowers" und ernte dafür immer Spott von einem gewissen Kollegen. Überhaupt können viele Cure-Fans erstaunlich wenig damit anfangen

Hm, also ich mag es tatsächlich im Gegensatz zu den anderen Cure-Alben auch nicht so sehr, aber ich kenne auch genug Leute, die es wirklich abgöttisch lieben. Du bist also wirklich nicht der einzige Mensch auf dem Planeten, der "Bloodflowers" besonders schätzt, haha.

"Das war nicht dazu gedacht, jemand zu provozieren"

Label-Mitarbeiter: Sorry! Tut mit leid, euch zu unterbrechen, aber wir müssen in fünf Minuten zum Ende kommen.

Ok, dann lasst uns ganz kurz noch über das Artwork reden. Diese Verbindung aus unterschwelliger Erotik und Religiosität fasziniert mich stark. Auch dieser demütige, schuldbewusste Blick. Gerade wenn man so extrem katholisch aufwuchs wie ich ...

Chino: Ich würde gar nicht mal eine direkte Message in dem Artwork sehen. Es ging weniger darum, eine Botschaft damit auszudrücken, als eine Stimmung damit zu erzeugen. Also die Dinge mit Schuld, Religion usw. sind tatsächlich darin zu finden, und du hast damit sicherlich nicht unrecht, aber es soll eher ein Gefühl visuell wiedergeben. Also genau wie die Musik von Crosses, wo die Texte erstmal keine klare Botschaft raushauen, bedeutet dieses Artwork ein Stimmungsbild und funktioniert eher über Emotionen. Um also noch mal auf das Thema Religion und Sexualität zu kommen: Das war nicht dazu gedacht, jemanden mit voller Wucht zu provozieren. Es passte einfach 100%ig zu dem, wie sich Crosses anhört und anfühlt.

Wenn ich jetzt drüber nachdenke, wirkt es auch eher cineastisch. Wie aus einer Filmszene heraus geschnitten.

Shaun: Ja, genau! Ich liebe zum Beispiel auch solche Musikvideos, aus denen du jederzeit einen Screenshot aufnehmen kannst, und es einfach mit dieser Ausleuchtung und dem Setting wie eine Szene aus einem Hollywood-Film aussieht. Das ist so hochwertig, dass du es auch gleich auf einem qualitativ guten Papier ausdrucken könntest und es wie eine Filmszene wirkt. Chino und ich sind ja auch große Film-Nerds, und gerade beim Schreiben und Aufnehmen läuft auch ein Film im Hintergrund. Genau wie uns Musik beeinflusst, die wir aufschnappen, kann auch so etwas den Album-Prozess mit beeinflussen.

Ok, leider ist nun wirklich Schluss. Kommt ihr nächstes Jahr dann auf Tour zu uns rüber?

Chino: Wir arbeiten derzeit noch den Tourplan aus und haben noch keine genauen Daten. Aber Europa hat da eine große Priorität, und wir waren auch schon mit unserem letzten Album bei euch. Ich freue mich da wirklich jedes Mal drauf, wir werden auch bald die Tourdaten durchgeben. Es ist auf jeden Fall fest eingeplant.

Alles klar, ich werde auf jeden Fall auf einem der Konzerte erscheinen und extra für Chino ein PJ Harvey-Shirt tragen. Danke für das Gespräch!

Haha ok! Mach das! Wir werden dann mal nach dir Ausschau halten. Hey, alles Gute und danke für das nette Interview. Bis bald!

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