Billy Talent um 15.30 Uhr? Das kann sich nur ein Festival der Superlative leisten. Das GMM in Belgien macht's vor!

Dessel (kluk) - Donnerstag, 17 Uhr, Dessel, Belgien. Man muss schon verdammt bodenständig sein, um sich hier gemeinsam mit 199.999 anderen Festivalbesuchern die Beine in den Bauch zu stehen. Der Haupteingang und die Festivalbändchenbefestigungsanlaufstelle™ sind verstopft – bereits seit dem frühen Mittag. In überkollegialer Manier erduldet man minutenlang Tabak-, Mundgeruchs- und Staubwolken (die Rede ist von solchen, die das Taschentuch nach Benutzung grau färben), ohne dem Eingang auch nur 10 Meter näher zu kommen. Danke, Axl!

Hits, Hits, Hits bei Ghost

Während auf Facebook bereits der Bär steppt, schieben die Graspop-Veranstalter die essentielle Information nach: Man kommt dann jetzt auch über den Campingplatz rein. "Hallelujah!" denken sich nicht nur die Fans, die es nach kurzem Spießrutenlauf mit Sack und Pack aufs Festivalgelände geschafft haben, um Jon Schaffers Iced Earth zu bestaunen. Auch bei Ghost geht es im Anschluss durch und durch christlich zu: Dabei weckt die abermalige Transformation der Pop-Metaller hin zum Live-Oktett die Neugierde zahlreicher Anwesender. Die zwar eine nette Show, dafür aber einen vom Winde verwehten Sound und einen zumindest anfangs am Mikro etwas unsicheren Tobias Forge abkriegen. Der Mitsingparty galore tut das natürlich keinerlei Abbruch, schließlich warten Ghost mit ihrem etablierten Setlist-Schema auf: Hits, Hits, Hits.

Anschließend Geländecheck: Auch das Betreten und Verlassen der Toilettenbereiche wird zur Sisyphusarbeit, 15 Minuten (Stuhlgang exklusive) darf man hier gerne schon einplanen. Also fast so übel wie mittags am Einlass. Nur was ist schlimmer? Black Stone Cherry zu verpassen oder im (Zeit-)Druck die eigene Hose zu beflecken? Nun ja, bei manchem bedingt wohl auch das eine das andere.

Kein Durchkommen bei Dool

Ein Blick auf die WM-Screens am Boneyard-Campingplatz verrät, dass einen zumindest die heutigen Tipico-Wetten nicht im Stich lassen. Einen Dämpfer kriegt die ganze Angelegenheit allenfalls noch mal dadurch, dass es bei Dool kein Durchkommen gibt. Hätten sie lieber mal den parallel auf der Hauptbühne exerzierenden Korn-Sänger Jonathan Davis ins Zelt verlegt. Schließlich gibt es angenehmere Beschäftigungen, als mit Madball-Soundcheck im Hintergrund ins Metal-Dome-Zelt hineinzuhorchen.

Glück im Spiel, Pech auf dem Platz. Wer soll das jetzt noch retten? Gott? Trump? Axl Rose?

Ach richtig, Axl. Immerhin stellte der sympathische Mittfünfziger W. Axl Rose wohl für nicht wenige Anwesende eines der trifftigsten Argumente für einen Ticketkauf dar. Beziehungsweise wohl eher der Umstand, dass sich Slash und Mr. McKagan am heutigen Abend für satte dreieinhalb Stunden zu ihm auf die Bühne gesellen. Und trotz gedämpfter Erwartungen nach dem petitionserprobten Berlin-Desaster machen Guns N' Roses auch im dritten Jahr ihrer "Not In This Lifetime..."-Tour noch eine ganz ansehnliche Figur auf der Bühne.

Axl geht aufs Ganze

Mit neun Covern und immerhin sieben "Appetite"-Tracks im Genick haben sich Axl, Slash und Duff ein zünftiges Päckchen geschnürt, das die hungrige Masse vor der Main Stage wahrlich gerne in Empfang nimmt. Slash brilliert in etwas zu vielen Soli, "Rhythmus"-Gitarrist Fortus ist ohnehin in Top-Form und Axl ... tja, Axl macht eben den Axl. Evergreens und zu Unrecht verpöhnte "Chinese Democracy"-Tracks stehen ihm durchaus gut zu Gesicht, doch damit mag sich der Herr ja nicht begnügen. Seine markanten Schreie rutschen teils immer wieder ins Falsett, "Civil War" ist hier ein deutliches Beispiel.

Auch bei Coverversionen keine Gnade, doch zum Glück sorgt Duff beim Soundgarden-Tribute "Black Hole Sun" für den nötigen doppelten Boden. Intensiv bleibt der Moment trotzdem. Während weiter hinten die Tropfen des letzten Flunkyball-Turniers versiegen, fließt im vorderen Block durchaus das eine oder andere Tränchen für Mr. Chris Cornell. Und nichtsahnend des sich nähernden nächsten Todesfalls der Metalgemeinde endet der Abend für zehntausende Zuschauer mit "Paradise City" dann vielleicht nicht paradiesisch, aber ohne jeden Zweifel nostalgisch und grundsolide.

Freitag, 22. Juni 2018

Ein neuer Tag, eine neue Wiese. Bezieht sich nicht nur auf den hiesigen Betäubungsmittelkonsum, sondern auch auf die erfolgreich abgetragenen Plastikmassen des Vortags. Überhaupt: Die Anzahl der hier täglich verbrauchten Einwegbecher hätte hierzulande längst für einen berechtigten Shitstorm gesorgt. So richtig angekommen ist die Thematik eben noch nicht überall. Immerhin animieren die Veranstalter mit der "Ducks Of T(h)rash"-Aktion dazu, auch einmal selbst das eine oder andere Gerstensaftbehältnis aufzuheben, um durch deren Rückgabe an verschiedenen VIP-Verlosungen teilzunehmen. Die hiesige Wegwerfkultur untergräbt man dadurch natürlich trotzdem kaum.

Kurze Hose, Sonnenbrille

Während sich also ein neuerlicher PET-Schleier um den Wiesengrund hüllt, stehen am Nachmittag unter anderem Tremonti, Hollywood Undead und Killswitch Engage auf den Hauptbühnen. Insbesondere letztere zeigen sich heute von ihrer Schokoladenseite und trumpfen mit Top-Sound und abschließendem "Holy Diver"-Cover. Sunnyboy Adam Dutkiewicz lässt sich von den eher milden Temperaturen kaum beeindrucken und joggt gewohnt lässig in kurzer Hose über die Bühne.

Purer Ernst dann anschließend bei Iron Maiden: Mit einer Setlist, die selbst den kernigsten Altmetallern schon im Vorhinein ein Tränchen entlockte, besiegeln die Briten ihren Status als All-Time-Lieblingsheadliner in Dessel. Dabei ist die "Legacy Of The Beast"-Tournee viel mehr als eine einfache Best-of-Selbstzelebrierung: Es geht um Helden, Schlachten und große Taten. Das erste Drittel widmet sich komplett dem Krieg, der laut Bruce Dickinson häufig "the worst or the best out of people" bringe. Der Beweis: Ein auf der Bühne platzierter Spitfire-Flieger, eingesetzt vom belgischen Militär im Kampf gegen Nationalsozialisten. Anschließend: "The Clansman", aus der Ära von Ex-Sänger Blaze Bayley. Im Publikum: gerührte Menschen.

Der Klang der Wälder

Weniger nostalgisch, sondern vielmehr atmosphärisch aufwühlend geht es im Metal Dome bei Wolves In The Throne Room zu, die ihren naturbelassenen Black Metal erstaunlicherweise auch auf einem Festival in Szene zu setzen wissen. Tatsächlich klauen Maiden hier aber doch eine ganze Menge Publikum, was zwar unverdient, aber auch jedem selbst überlassen zu sein scheint. Egal, welchem der beiden Tageshighlights man sich heute hingegeben hat: Weder Parkway Drive noch Neurosis gelingt es, hier trotz äußerst stattlicher Anschlussshows mitzuhalten.

Samstag, 23. Juni 2018

Dunkle Wolken ziehen am Samstagmorgen über Dessel auf. Zwar bringen diese weder Regen noch Gewitter, dafür aber die umso traurigere Kunde vom Tode Vinnie Pauls. Entsprechend viele Stücke und sogar ganze Auftritte sind heute dem ehemaligen Pantera-Drummer gewidmet.

Starke Hymnen bei Kreator, keine Aussicht auf Klassiker bei Arch Enemy

Neben Exodus, Sons Of Apollo (a.k.a. Dream Theater, wie sie sein sollten) gedenken auch Kreator dem US-amerikanischen Weggefährten – mit dem universell gültigen "Fallen Brother". Trotz nicht immer feingeschliffenem Top-Sound wissen sich Mille und Co. auf die überstarken Titeltracks der letzten fünf Alben zu stützen. Die "Gods Of Violence"-Promophase scheint fürs Erste abgeschlossen. Wäre doch nicht nötig gewesen.

Ganz anders bei Arch Enemy, die sich hier gerne ein Vorbild hätten nehmen können. Deren Set besteht zu 75 Prozent aus den jüngsten albenförmigen Gähnvorlagen. Alissa White-Gluz versucht die Hymnen nach außen hin mit viel Pathos zu verkaufen, das Ganze funktioniert aber gerade beim volljährigen Publikum eher mittelmäßig – zumindest bis "We Will Rise" und "Enter The Machine" einsetzen.

Megadave bester Laune

Die ideale Mischung aus Fan-Dienstleistung und eigener bewahrter Spielfreude gelingt heute in erster Linie tatsächlich den Thrash-Titanen: Megadeth etwa. Bandkopf Dave Mustaine räumt mit dem erstmals seit über einer Dekade live gespielten "My Last Words" zwar ebenfalls einen Vinnie-Trauermoment ein, ist aber so überschwänglich gut drauf, dass es dem vertrauten Fan beinahe gruselt. Dave Mustaine, der Dankbare.

Batushka hingegen zelebrieren zur frühen Mittagsstunde ihre ganz eigene Messe, die tatsächlich keinerlei Bezug auf den allgegenwärtigen Trauerfall nimmt. Nach einer katastrophal ermüdenden Show beim Roadburn 2017 gelingt es dem polnischen Liturgie-Kollektiv, ihr prinzipiell recht simpel gestricktes Songwriting durch geballte osteuropäische Choral-Atmosphäre zu überdecken. Und die lässt einen beinahe vergessen, dass man hier gerade in einem Festivalzelt steht, während nicht einmal 200 Meter entfernt gerade irgendein Partyschnaps-Zelt Sabaton oder Schlimmeres spielt.

Atemnot beim Linkin Park-Tribute

Während sich andere Okkult-Gruppen bei ihren Shows gerne auf den Schnuppereffekt von Weihrauch verlassen, fehlt den Graspopschen Duftwolken leider jegliche Weihe. Im Innenbereich der beiden Zelt-Stages herrschen Luftverhältnisse wie zu Zeiten Helmut Schmidts im Bundeskanzleramt. Nichtraucherschutz wird beim belgischen Gigantenfestival leider kleingeschrieben. Wie blanker Hohn wirkt da die nachmittägliche Push-Mitteilung, die auf das Indoor-Rauchverbot hinweist.

Spätestens zum Gig des Linkin Park-Tribute-Acts Living Theory herrscht blanke Atemnot. Schade, lenkt das doch nur unnütz von dem durchaus ansprechenden Gig ab, der da eine gute Stunde nach den Headlinern Volbeat und Marilyn Manson über die Bühne geht. Dass die Truppe dabei gerade zu Beginn auf mitgrölbares Frühmaterial setzt, sorgt natürlich für einfaches Spiel. Aber noch etwas anderes wird bei dieser samstäglichen Feierabendrunde klar: Die Lyrics der stark frequentierten Metal-Einstiegsdroge Linkin Park stecken nach all den Jahren auch im trvesten Schwarzmetaller drin – und sind auf Knopfdruck auch jederzeit abrufbar.

Sonntag, 24. Juni 2018

Apropos Einstiegsdroge: Die Größe des Graspops wird einem mitunter erst wieder bewusst, wenn eine Stadionband wie Billy Talent bereits um 15:30 Uhr auf der Bühne steht. In Bezug auf die Entwicklung des individuellen Musikgeschmacks verlaufen Tage wie dieser tatsächlich ganz anschaulich: Erst den eigenen Wegbereitern frönen, einmal "Fallen Leaves" und "Red Flag" anstimmen, anschließend die Bands der Stunde bestaunen und abends bei Ozzy und Rob andächtig zu den Klassikern wippen.

Viele Menschen

Dabei ist hier von Jungspund bis Sabbath-Zeitzeuge so ziemlich alles im Publikum vertreten. Kein Wunder eigentlich, verzeichnet das Graspop übers Wochenende doch erstmals über 200.000 Besucher. Und dieser Schritt spiegelt sich nicht nur in der besagten donnerstäglichen Einlasskarawane wider, sondern nun auch endgültig in den massenhaften Menschenaufläufen im Infield. Zahlreiche Facebook-Beschwerden über Platzmangel und Fehlkalkulation bei den Campingplätzen kommen hinzu.

Alles blöde also? Nö. Der Sonntag wartet mit positiven und, nun ja, interessanten Überraschungen für alle Genrefans auf. Die wichtigste Nachricht für Black-Metal-Fetischisten vorab: Niklas Kvarforth ist es gelungen, sich beim nachmittäglichen Shining-Gig mal so richtig auf die Musik zu konzentrieren und einen der besten Auftritte seit Langem abzuliefern. Na holla!

Modern Metal am Nachmittag

Anschließend das unheilige Trio: Body Count, Limp Bizkit und Bullet For My Valentine. Drei Auftritte, die bei den Anwesenden völlig konträre Reaktionen auslösen. In Kurzform:

Body Count machen richtig Party. Body Count bringen die ganze Hood mit (inklusive "Young Ice"). Body Count suchen den jüngsten Fan, um ihm "Talk Shit, Get Shot" einzubläuen. Ice-T schnallt sich eine Bodycam um, um uns "fuckers" zu filmen, wo er es doch sei, der sonst immer von Kameras verfolgt werde.

Limp Bizkit machen einfach sprachlos. Limp Bizkit spielen keine Songs von nach 2000. Limp Bizkit covern Megadeth, George Michael und Rage Against The Machine. Limp Bizkit grüßen ihren Lieblingshater Maynard James Keenan. Fred Durst unterbricht das Konzert (wenn man es so nennen mag) um eine crowdsurfende Rollstuhlfahrerin aus dem Publikum mitten auf die Bühne heben zu lassen.

Bullet For My Valentine sind einfach nicht mehr dieselben. Matt Tuck findet sich mittlerweile wirklich sehr schön. Matt Tuck singt mittlerweile leider nicht mehr wirklich sehr schön. Neu-Basser Jamie Mathias singt wesentlich schöner als Matt Tuck.

Legendenschau mit Ozzy und Rob Halford

Und auch danach gibt es keine Ruhe mehr für ewige Hauptbühnen-Pendler. Johnny Depp gibt gemeinsam mit Alice Cooper und Joe Perry als "Hollywood Vampires" seinen Rockstar-Einstand, Judas Priest sorgen mit der Panteras "Walk" als Intromusik und dem kurzen Gastspiel des an Parkinson erkrankten Glenn Tipton gleich für mehrere Gänsehaut-Momente. Auch Ozzy zeigt sich wohlauf, nutzt die seeeeeeeeeehr umfangreichen Zakk Wylde-Soli dann aber auch gerne um sich in Katzenbuckel-Manier auf seinen Mikrofonständer aufzustützen. Dann "Crazy Train", dann "Paranoid", dann "God bless you all!" Danke, Oz, dich auch.

Der Sprung von Sabbaths "Paranoid" zu Meshuggahs "Bleed" liegt dann zwar nur 100 Meter entfernt, geht dann aber eben auch ungefähr 40 Jahre zu schnell. Aber: Alles mitnehmen, was geht. Das gilt sowohl für die letzten dreißig Minuten Meshuggah, als auch für den anschließenden Main-Stage-Closer A Perfect Circle. Setting hier wie erwartet: Maynard im dunklen Hintergrund auf eigenem Riser, Maynard, der das Konzert 15 Minuten vor offiziellem Schluss für vorzeitig beendet erklärt. Doch das sei ihm ähnlich wie Marilyn Manson am Vortag zumindest halbherzig verziehen, brilliert er dafür doch mit einer stimmlichen Glanzleistung, angesichts derer die Instrumentalisten allenfalls als atmosphärisches Beiwerk durchgehen können.

Ein würdiger Abschluss, ein Abschluss zum Sinnieren. Zum Beispiel über die Frage, ob man es eigentlich länger als vier Tage mit 199.999 anderen Metalheads auf engem Raum aushalten kann. Oder will. Oder ob das angesichts solcher monströsen Line-ups einfach der Price to pay ist.

Fotos

Graspop Metal Meeting 2018 Impressionen und Atmosphäre vom belgischen XXL-Metaltreffen.

Impressionen und Atmosphäre vom belgischen XXL-Metaltreffen., Graspop Metal Meeting 2018 | © laut.de (Fotograf: Alex Klug) Impressionen und Atmosphäre vom belgischen XXL-Metaltreffen., Graspop Metal Meeting 2018 | © laut.de (Fotograf: Alex Klug) Impressionen und Atmosphäre vom belgischen XXL-Metaltreffen., Graspop Metal Meeting 2018 | © laut.de (Fotograf: Alex Klug) Impressionen und Atmosphäre vom belgischen XXL-Metaltreffen., Graspop Metal Meeting 2018 | © laut.de (Fotograf: Alex Klug) Impressionen und Atmosphäre vom belgischen XXL-Metaltreffen., Graspop Metal Meeting 2018 | © laut.de (Fotograf: Alex Klug) Impressionen und Atmosphäre vom belgischen XXL-Metaltreffen., Graspop Metal Meeting 2018 | © laut.de (Fotograf: Alex Klug) Impressionen und Atmosphäre vom belgischen XXL-Metaltreffen., Graspop Metal Meeting 2018 | © laut.de (Fotograf: Alex Klug) Impressionen und Atmosphäre vom belgischen XXL-Metaltreffen., Graspop Metal Meeting 2018 | © laut.de (Fotograf: Alex Klug) Impressionen und 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