Porträt

laut.de-Biographie

Fler

Es herrscht Krieg in Berlin. Hartes Gangstertum ist angesagt, das Ghetto feiert sich selbst, die besten Verkaufszahlen erzielt derjenige, der noch unterprivilegierter, noch abgewrackter und noch krimineller erscheint als der andere. B-Tight und Sido lernen sich im Royal Bunker kennen und etablieren als Royal TS einen Battle-Rap-Style von hierzulande bis dato unbekannter Härte.

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Ihre Differenzen mit dem Management des aus dem Bunker hervorgegangenen Tapelabels Mikrokosmos wachsen sich jedoch schnell zur Unüberbrückbarkeit aus. Um den Namen loszuwerden, nennen sich Royal TS ab sofort A.I.D.S., Alles Ist Die Sekte, und wechseln zu dem Label, das den selbsternannten deutschen Gangstern und Drogenopfern eine Heimat werden soll: zu Aggro Berlin.

Fler, das Heimkind aus Schöneberg, gelangt 20-jährig vergleichsweise spät ans Mikrofon. Zuvor hauptsächlich in der Sprüherszene unterwegs, rappt er erst seit zwei Jahren, als ihn Aggro Berlin im Oktober 2003 als vierten und jüngsten Künstler unter Vertrag nimmt.

Der Kontakt Flers zum soeben durchstartenden Unternehmen kommt ursprünglich über Bushido zustande, der neben A.I.D.S. Aggros zweites Zugpferd bildet. Fler und Bushido haben sich bereits zu Zeiten kennengelernt, als Fler noch im Heim lebte: eine wahre Sandkastenfreundschaft, also.

Nach seinen Inspirationsquellen befragt, führt Fler neben Fabolous und 50 selbstverständlich seine Labelgenossen an. Man sieht sich, an Selbstbewusstsein mangelt es nicht, in einer Monopolstellung: "Gute harte Rapper gibt es in Deutschland nur vier: Sido, Bushido, B-Tight und Fler. Wir sind und bleiben vier."

Fler tritt, wie Vorbild Biggie Smalls unter dem Pseudonym Frank White, bereits 2002 auf Bushidos "Carlo, Cokxxx, Nutten" in Erscheinung. Hieraus stammt auch der Track, der sich auf der ersten Aggro Label-Compilation "Ansage Nr. 1" findet. Seitdem fehlt Fler auf keinem Sampler dieser Reihe, zunächst nochmals mit Bushido, später auf mehreren Tracks mit Sido und B-Tight und ersten Solo-Gehversuchen.

Auf "Aggro Ansage Nr. 3" landet "Oh, Shit", im Grunde der Song, mit dem sich Fler endgültig ins Gespräch bringt. Es folgt 2004 der "Aggroberlina". "Neue Deutsche Welle", der Titeltrack von Flers Solo-Debütalbum aus dem Jahr 2005, kann vorab bereits der "Ansage Nummer 4" entnommen werden.

"Wir sind und bleiben vier" erweist sich nicht als zutreffende Prognose: Es kommt zum Bruch. Bushido kehrt Aggro Berlin den Rücken und wechselt zum Majorlabel Universal, Frank Whites Part auf dem 2005 erscheinenden Album "Carlo, Cokxxx, Nutten II" übernimmt Baba Saad. Ex-Homie Fler wird bei jeder sich bietenden Gelegenheit gedisst, obwohl (oder gerade weil) er die Idee zu "Carlo, Cokxxx, Nutten" für sich in Anspruch nimmt.

Auch in einer ganz anderen Auseinandersetzung gerät Fler zwischen die Fronten und muss sich von Eko Fresh in dessen "Abrechnung" mit dem Rest der Berliner Rap-Szene ausgesprochen illustrativ als "fette Kartoffel" schmähen lassen. Was selbstredend eine Antwort erfordert, diese wieder eine Entgegnung, und wieder und wieder ... Im Zuge dessen kriegt Fler sich dann auch gleich mit Azad in die kurzen Haare. Business as usual, im dreckigen Rapgame.

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Was Fler nicht weiter zu beeindrucken scheint: Er hält die Nase zu und geht seinen Weg, gemeinsam mit den alten Labelgefährten Sido und B-Tight. Denn Loyalität wird groß geschrieben, unter Gangstern und Opfern, in Berlin und anderswo. Zumindest bis zum nächsten Beef.

Fler ist selbstredend auch auf der fünften Ansage des Aggro-Labels ausgiebig vertreten und meldet sich darüber hinaus auf Bass Sultan Hengzts "Berliner Schnauze" und auf "Der Neue Standard" der Beathoavenz zu Wort. Gemeinsam mit Tomekk verwurstet er den Kris Kross-Klassiker "Jump, Jump" und stellt in diesem Rahmen seinen Schützling G-Hot der Rap-Öffentlichkeit vor. Anfang 2006 legt er mit "F.L.E.R. 90210" ein Mixtape nach.

Bis zum Sommer bekommt der durch die "Neue Deutsche Welle" aufgewirbelte Staub Gelegenheit, sich etwas zu setzen. Dann folgt mit "Trendsetter" der zweite Streich des Aggroberlinas, mit wesentlich weniger Wirbel und etwas mehr Gehalt. Die Vorabsingle lässt keinen Zweifel: "Papa Ist Zurück".

Doch es wird noch einmal finster. Maskierte Unbekannte greifen Fler, der 2007 gleich zwei Mixtapes unters Volk bringt, im November nach einem Auftritt bei MTV TRL noch im Gebäude des Musiksenders mit einem Messer an. Seine Bodyguards wehren die Attacke ab, Fler flüchtet unverletzt. Die Angreifer entkommen jedoch ebenfalls.

Mit "Fremd Im Eigenen Land" serviert Fler Anfang Februar 2008 seinen bereits für Oktober versprochenen dritten Longplayer. Reim- wie flowtechnisch dokumentiert er damit große Fortschritte, wenngleich die Thematik über weite Strecken einmal mehr das übliche Ghettodrama skizziert.

Manch einer wundert sich schon, dass man aus der Richtung der Promomaschine Aggro Berlin so gar nichts über Flers selbstbetiteltes viertes Studioalbum hört. Wenige Tage vor dem Release Ende März 2009 katapultiert sich Fler mit der Trennungsmeldung in die Schlagzeilen: Die viel strapazierten unüberbrückbaren Differenzen bestehen nun auch zwischen Fler und dem Sägeblatt-Label.

"Ich danke Aggro für den Support der letzten sechs Jahre", kommentiert Fler. "Ich habe bei dieser Zusammenarbeit viel gelernt. Mir tut außerdem die ganze Verwirrung der Vergangenheit leid ... Aber jetzt kommt die Zukunft - und auf die freue ich mich."

Kollegen vom aufstrebenden Indie-Label Selfmade Records kleben Fler einen Disstrack an die Backe, der sich zum munteren Schmähduell zwischen dem nunmehr Ex-Aggroberlina und Kollegah auswächst. So bekommt "Fler" seine Promo dann doch noch, wenn auch von unerwarteter Seite.

Mit Bushido söhnt sich Fler später wieder aus. Mit Silla macht er unter dem Banner Südberlin Maskulin, eine Referenz an Kool Savas' und Taktloss' Kollaboprojekt Westberlin Maskulin, gemeinsame Sache.

Friede, Freude, Eierkuchen übernehmen deswegen noch lange nicht die Herrschaft im Testosteron-Sumpf der Hauptstadt. Prächtig - und verkaufsträchtig battlen lässt es sich beispielsweise mit Kollegah und Farid Bang. Die bekommen, genau wie Bushido, Hipster, Gott und die Welt ihr gerapptes Fett weg. Auch, wenn das eigene Klamottenlabel einen frommen Namen trägt: Es herrscht immer noch Krieg in Berlin.

Psalm 23 bleibt nicht Flers einziger textiler Geschäftszweig. Er lanciert zudem die Linie Audio Anabolika, und auch Maskulin bewegt sich mehr und mehr in Richtung Modemarke. Vom einstigen Label Maskulin ist irgendwann auch nicht mehr viel übrig, nachdem die Schützlinge einer nach dem anderen abgesprungen sind und auch der bis zuletzt treue Silla Fler irgendwann den Rücken gekehrt hat.

Der jedoch bleibt produktiv, wirft Album um Mixtape auf den Markt und legt 2014 mit "Neue Deutsche Welle 2" den Nachfolger zu seinem Debütalbum vor. Seinen Alias Frank White reanimiert er Anfang 2015 erneut. Aus aktuellem Anlass: Bushido fügt zur gleichen zeit "Carlo, Cokxxx, Nutten", dem ehemaligen Kollabo-Projekt mit Fler, im Alleingang einen dritten Teil an.

Der Titel des Frank White-Albums, mit dem er abwechselnd seinen Vorreiter- und seinen Außenseiterstatus beschwört, könnte auch als Überschrift über Flers ganzem Leben prangen: "Keiner Kommt Klar Mit Mir". Fler versöhnt sich mit Sentino, beschwört die große, erwachsene Männerfreundschaft, nur um sich wenig später wieder garstig zu beharken. Die Künstler bei Maskulin gehen meist schneller als sie nachrücken. Bald steht nur noch Jalil an Flers Seite.

Die Schuld daran tragen alle anderen: In Deutschland, glaubt Fler, versteht man ihn einfach nicht.

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Fler - Widder: Album-Cover
  • Leserwertung: 3 Punkt
  • Redaktionswertung: 3 Punkte

2021 Widder

Kritik von Max Brandl

Schwarze Kartonage mit Schwächen. (0 Kommentare)

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Live in Köln 2009 Come to daddy! Aggro war gestern.

Come to daddy! Aggro war gestern., Live in Köln 2009 | © laut.de (Fotograf: Peter Wafzig) Come to daddy! Aggro war gestern., Live in Köln 2009 | © laut.de (Fotograf: Peter Wafzig) Come to daddy! Aggro war gestern., Live in Köln 2009 | © laut.de (Fotograf: Peter Wafzig) Come to daddy! Aggro war gestern., Live in Köln 2009 | © laut.de (Fotograf: Peter Wafzig)

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